Gipfel in Südafrika:Tagesordnungspunkt 1: Neue Weltordnung

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Das Brics-Treffen bringt Chancen und Risiken für den afrikanischen Gastgeber: Eine Frau vor der Gipfelwerbung in Johannesburg. (Foto: Jemal Countess/Imago)

Die Brics-Gruppe fordert den Westen heraus - und soll nach dem Willen Chinas und Russlands neue Staaten aufnehmen. Doch wie einig ist sich die Gruppe bei ihren Plänen?

Von Paul Munzinger und Lea Sahay, Peking/Kapstadt

In einem berühmt gewordenen Aufsatz von 2001 fügte der britische Ökonom Jim O'Neill die Anfangsbuchstaben der vier aufstrebenden Wirtschaftsmächte Brasilien, Russland, Indien und China erstmals zu einem Kunstwort zusammen: B-R-I-C. Er gilt daher als Erfinder der Bric-Gruppe, die sich 2009 auch offiziell zum ersten Mal traf und durch den Beitritt Südafrikas 2010 zu Brics anwuchs. Doch man kann nicht behaupten, dass O'Neill den Werdegang seiner Schöpfung mit väterlicher Milde beobachtet.

Bevor sich die Brics-Staaten vom 22. bis 24. August zu ihrem 15. Gipfel in Johannesburg versammeln, gab O'Neill der Financial Times ein Interview, das sich wie eine Standpauke liest. Seit ihrem ersten Treffen habe die Gruppe "rein gar nichts erreicht", sagte O'Neill. Er wisse nicht einmal, was sie "jenseits kraftvoller Symbolik" überhaupt erreichen wolle. Die Vorstellung, Brics könne den Dollar mithilfe einer eigenen Währung herausfordern, sei jedenfalls "lächerlich".

Was will Brics? Was kann Brics? Und was hält Brics im Inneren zusammen? Diese Fragen umkreisen die Gruppe seit ihrer Gründung. Und sie stehen nun wieder im Vordergrund, nachdem eine andere Frage geklärt ist, die die öffentliche Aufmerksamkeit vor dem Gipfel in Südafrika lange absorbiert hatte: Kommt Wladimir Putin trotz des Haftbefehls, den der Internationale Strafgerichtshof wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine gegen ihn verhängt hat? Seit Mitte Juli ist klar: Er kommt nicht.

Putin bleibt in Moskau und schickt Lawrow

Russlands Präsident, der sich in Südafrika gerne im Kreis von Freunden gezeigt hätte, wird den Gipfel vom Bildschirm aus verfolgen. Stattdessen reist Außenminister Sergej Lawrow an, um in Johannesburg die Präsidentenhände von Gastgeber Cyril Ramaphosa (Südafrika), Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Narendra Modi (Indien) und Xi Jinping (China) zu schütteln. Gemeinsam vertreten sie 40 Prozent der Weltbevölkerung und mehr als ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung. Und womöglich sind es bald noch mehr.

Eine Brics-Währung, da liegt Jim O'Neill nicht ganz falsch, wird es erst mal nicht geben. Die Hürden, um fünf so unterschiedliche Wirtschaftssysteme zusammenzuführen, sind offenbar (noch) zu hoch. Das Thema soll in Johannesburg keine Rolle spielen. Auch sonst ist der Großangriff auf den US-Dollar bislang eher kraftvolle Symbolik. Zwar bemüht sich China, seine Währung Yuan zur neuen Leitwährung aufzubauen. Doch selbst den Handel untereinander wickeln die Brics-Staaten noch zu fast 85 Prozent in Dollar ab, wie die Politikwissenschaftler Günther Maihold und Melanie Müller in einer aktuellen Brics-Standortbestimmung für die Stiftung Wissenschaft und Politik anmerken.

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Eines aber hat die Brics-Gruppe in jedem Fall erreicht: Sie hat sich als Gegengewicht zu einer internationalen Ordnung in Stellung gebracht, die besonders in den südlichen Teilen der Welt als Instrument zur Durchsetzung westlicher Interessen angesehen wird. Mehr als 40 Staaten möchten sich Brics nach Angaben der südafrikanischen Regierung anschließen, unter ihnen Argentinien, Ägypten und Iran. Mehr als 20 Staaten hätten einen Beitritt bereits beantragt. "Alleine das zeigt, dass Brics für viele Staaten im Globalen Süden attraktiv geworden ist", sagt Müller.

Doch das Thema legt zugleich das Machtgefälle und die Bruchlinien innerhalb der Brics-Gruppe offen. Die Autokratien China und Russland wollen im Systemkonflikt mit den USA möglichst viele Staaten an sich binden und treiben die Erweiterung voran. Die Demokratien Brasilien, Indien und Südafrika bremsen: Eine weitere Zuspitzung des Konflikts ist nicht in ihrem Interesse. Delhi bekommt den Expansionsdrang des Brics-Partners China an der gemeinsamen Grenze und im Indischen Ozean selbst zu spüren. Die vergleichsweise schmächtigen Brics-Staaten Brasilien und Südafrika fürchten außerdem um ihren Status, sollte die Gruppe wachsen.

Warum die Staatengruppe für Peking wichtig ist

Doch vor allem für Peking gilt: je größer, desto besser. Der Brics-Gipfel in Johannesburg spielt in China eine prominente Rolle, für Peking ist die Staatengruppe wichtig: Weltweit versucht das Regime, andere Länder dazu zu bringen, seine außenpolitische Agenda zu unterstützen - oder zumindest nicht den Vereinigten Staaten uneingeschränkt zu folgen. Die chinesische Staatspresse schwärmt von der "glorreichen Reise", die die Gemeinschaft vollbracht habe. Brics sei "Stabilisator" und "Entwicklungsbeschleuniger" und bringe "positive Energie" auf die Weltmärkte.

Im Mai 2022 verband Chinas damaliger und seit dem Verschwinden von Topdiplomat Qin Gang wieder ernannter Außenminister Wang Yi ein Treffen der Brics-Außenminister mit einem "Brics-Plus"-Gipfel, an dem neun weitere Außenminister teilnahmen, unter anderem aus Saudi-Arabien, Kasachstan, Senegal und Thailand. Die Idee hatte Wang Yi zum ersten Mal 2017 aufgebracht. Brics sei kein "verschlossener Club", sagte er. Auch Staats- und Parteichef Xi Jinping warb beim letzten (wegen Chinas Corona-Politik rein digitalen) Brics-Gipfel im Juni 2022 für eine Erweiterung. Damals waren 13 weitere Staatenlenker zugeschaltet, darunter Irans Präsident Ebrahim Raisi.

Die Brics-Gruppe ist nicht das einzige Forum, mit dem Peking versucht, neue Strukturen in der internationalen Politik aufzubauen. Als Herzstück der Machtambitionen dient die 2022 vorgestellte "Globale Sicherheitsstrategie". Das Konzept ist als Vorschlag zu verstehen, wie die internationale Ordnung nach dem Ukraine-Krieg aussehen könnte. Demnach gibt sich Peking als Friedensmacht, die Stabilität und Entwicklung garantiert; im Gegensatz zu den USA und seinen Verbündeten, die Kriege und Krise provozierten.

China profitiert vom Ukrainekrieg

China hat den russischen Angriffskrieg nie verurteilt, es stellt die USA und die Nato als Aggressor dar. Die Staatsmedien sprechen von einem Stellvertreterkrieg der Amerikaner gegen Russland. Auch wenn Peking den Krieg nicht gewollt hat, profitiert es nun von seinem Fortlaufen: Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC), in der unter anderem China, Russland, Indien und Pakistan über die Sicherheit in Zentralasien verhandeln, ist ein Beispiel. Dort baut China seinen Einfluss aus, während das geschwächte Russland an Autorität verliert.

Aus Pekings Sicht hat der russische Angriff die Dringlichkeit einer Neuordnung verstärkt: Gerade in der Nato sieht Chinas Führung eine Bedrohung, seit das Bündnis größere Nähe zu Staaten wie Südkorea, Australien und Japan sucht. Der Schulterschluss zwischen US-Präsident Biden, Japans Regierungschef Kishida und Südkoreas Präsident Yoon am Wochenende in Camp David ist für Peking ein Albtraum.

Aus der transatlantischen Einigkeit leitet China auch Rückschlüsse für einen möglichen Konflikt mit Taiwan ab: Während Peking glaubt, sich auf westliche, demokratische Staaten nicht verlassen zu können, sieht es im globalen Süden eine Chance, eine Isolation im Konfliktfall abzuwenden.

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Für viele Länder gerade in Afrika bietet die globale Frontstellung eine Chance. Sie werden umworben wie lange nicht, aus den USA und Europa ebenso wie aus China und Russland. Südafrika zeigt sich entschlossen, dieses Momentum beim Gipfel in Johannesburg zu nutzen. "Brics und Afrika" lautet dessen Motto, es soll um Wachstum, nachhaltige Entwicklung und - mit freundlichen Grüßen an die G7 - "inklusiven Multilateralismus" gehen.

Doch Südafrika ist auch das beste Beispiel dafür, dass eine Brics-Mitgliedschaft nicht nur einen direkten Draht nach Peking und Moskau beinhaltet, sondern auch das wachsende Risiko, in deren Konflikte hineingezogen zu werden. So Moskau-nah sich die Regierung in Pretoria nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine gab, so deutlich ist inzwischen ihr Bemühen, sich aus dieser potenziell verhängnisvollen Freundschaft wieder etwas zu lösen, um die USA nicht weiter zu verärgern. Die afrikanische Friedensdelegation für die Ukraine inklusive Besuch in Kiew ist dafür ein Beispiel. Die ultimative Zerreißprobe - ein Besuch Putins - bleibt Südafrika nun erspart. Doch es dürfte nicht die letzte gewesen sein.

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