Bundesregierung:Liefern und weniger schrill streiten

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Mit dem Urteil aus Karlsruhe stehen die Ampel und ihr Haushalt vor großen Problemen. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

An diesem Freitag treffen sich die Spitzen der Ampelparteien zum Koalitionsausschuss. Es gibt viel zu besprechen - nicht nur wegen der aktuellen Weltlage.

Von Michael Bauchmüller, Constanze von Bullion, Georg Ismar, Henrike Roßbach und Angelika Slavik, Berlin

Eine "kritische Reflexion" des Regierungshandelns hat FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner kürzlich eingefordert - nach den Wahlen in Bayern und Hessen, die den Ampelparteien zum Teil herbe Verluste beschert hatten. An diesem Freitag soll es nun damit losgehen, beim Treffen des Koalitionsausschusses. Die Tagesordnung? Zuerst Israel, der Kanzler war ja gerade erst da, und danach eine offene Aussprache.

Auf der Hand liegt das Thema Migration, schließlich steht am 6. November die nächste Bund-Länder-Runde an. Spätestens seit den AfD-Erfolgen bei den jüngsten Landtagswahlen dürfte den Ampelparteien die Brisanz dieses Themas bewusster denn je sein. Als Fortschritt betrachtet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) da schon mal die jüngste Einigung auf strengere Abschieberegeln für abgelehnte Asylbewerber. Im Gegenzug sollen Geflüchtete mit Bleibeperspektive früher als bisher arbeiten dürfen.

Vor allem führende FDP-Politiker sehen eine veränderte Lage im Land

Überhaupt ging es zuletzt etwas besser voran. In der SPD-Fraktion betont man, dass allein in der aktuellen Sitzungswoche drei große Knoten zerschlagen wurden. Die Einigung auf mehr Tempo bei Planung und Genehmigung Hunderter Autobahn-, Brücken- und Schienenprojekte, die Reform der Lkw-Maut und ein neues Verkehrsrecht: Alle Vorhaben hingen erst monatelang fest, bevor sie jetzt am Freitag verabschiedet werden sollen. FDP-Verkehrsminister Volker Wissing sagte dazu in der Regierungsbefragung am Mittwoch: "All das zeigt: Die Bundesregierung liefert." So soll es nach dem Willen der Ampelfraktionen weitergehen: liefern und weniger schrill streiten.

Redebedarf dürfte es dennoch geben am Freitagabend. Das Treffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Partei- und Fraktionsspitzen stand zwar ohnehin schon länger fest, passt aber aus zwei Gründen jetzt besonders gut: Zum einen soll über die Weltlage gesprochen werden nach den verheerenden Terrorattacken auf Israel. Zum anderen kann es nicht schaden, wenn die Ampel sich pünktlich zu ihrem zweiten Geburtstag - am 7. Dezember 2021 wurde der Koalitionsvertrag unterzeichnet - schon mal sammelt und kommende Projekte priorisiert.

Vor allem in der FDP sehen führende Politiker eine veränderte Lage im Land, auf die man reagieren müsse; allen voran in der Wirtschafts- und Migrationspolitik. Lindner etwa sagte diese Woche nach einem Treffen mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, es dürfe "kein Tabu sein", auch über die Höhe und Dauer von Leistungen für Asylbewerber zu sprechen.

Lebensmittelwerbung, Tierschutz, Mieterschutz

Damit aber wäre neuer Streit, insbesondere mit den Grünen, programmiert. Doch auch auf anderen Feldern wird das Arbeiten in der Koalition weiter als "zäh und schwierig" beschrieben. In einigen Ministerien stapeln sich nach wie vor Vorgänge, die nicht vorankommen. Schon im Februar hatte der grüne Ernährungsminister Cem Özdemir Pläne vorgelegt, an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten. Im Koalitionsvertrag ist genau das vereinbart, doch die FDP hat Vorbehalte. Nicht einmal eine Beratung mit Ländern und Verbänden hat bisher stattfinden können.

Nicht anders ist es beim Tierschutzgesetz, das mit Qualzucht Schluss machen und die Anbindehaltung in Ställen einschränken soll: Stillstand, trotz Abmachung im Koalitionsvertrag. Eine Verschärfung der Regeln für Biosprit, für die das Umweltministerium im Januar den Referentenentwurf geschrieben hatte, ruht ebenfalls; Wissings Verkehrsministerium ist dagegen.

Wie verfahren die Situation durch das sachfremde Koppeln von Projekten werden kann, zeigt sich besonders beim Mieterschutz. Der fällt in die Zuständigkeit von Justizminister Marco Buschmann (FDP), tangiert aber auch die Agenda von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) - die den Ärger über den dysfunktionalen Wohnungsmarkt in Deutschland politisch ausbaden muss. Der Mieterschutz ist ein Herzensthema der SPD, nachdem sich schon der Bau von 400 000 neuen Wohnungen im Jahr als illusorisch erwiesen hatte. Konkret geht es um die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 und die Senkung der "Kappungsgrenze" - das ist die maximal mögliche Mieterhöhung binnen drei Jahren - auf elf Prozent in angespannten Märkten. Beides steht im Koalitionsvertrag, und dem Vernehmen nach liegen beide Gesetze seit gut einem Jahr beschlussfertig im Justizministerium.

Buschmann halte sich nicht an Vereinbarungen, kritisiert SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz

Auch ein Gesetz zum kommunalen Vorkaufsrecht aus dem Bauministerium steckt in der internen Abstimmung fest - schon seit 2022. Buschmann halte sich nicht an politische Vereinbarungen, kritisiert SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz. "Das ist ein großes Problem für die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt." Von den vielen sehr dringlichen Maßnahmen sei bisher nicht eine umgesetzt.

Buschmann aber gab kürzlich gelassen zu Protokoll, die Sache eile nicht. Die Mietpreisbremse sei in Kraft und gelte bis Ende 2025, also über die Legislatur hinaus. In Wahrheit jedoch lässt er sich wohl vor allem deshalb Zeit, um im Streit um die Vorratsdatenspeicherung ein Druckmittel zu haben. Innenministerin Faeser will nämlich, dass Sexualstraftäter und Nutzer von Kinderpornografie im Netz besser identifiziert werden können, und dringt darauf, IP-Adressen von Telekommunikationsfirmen speichern zu lassen - vorübergehend, um die Täter aufzuspüren. Buschmann lehnt das ab, eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung werde es nicht geben.

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Ebenfalls fest stecken die "Versorgungsgesetze", mit denen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Vergütung der Hausärzte neu regeln und die von ihm erdachten Gesundheitskioske installieren will. Problem: Seine Ideen sind teuer - und der Finanzminister folglich wenig begeistert.

So wächst der Frust in jenen Häusern, die schon in der ersten Hälfte der Legislaturperiode nicht im Rampenlicht standen; die nicht Energiekrisen zu lösen haben, nicht für Zuwanderung zuständig sind oder sich nicht selbst mit einer Kindergrundsicherung ins Rampenlicht rücken können. Man hoffe, jetzt in einem Koalitionsausschuss endlich auch mal an die Reihe zu kommen, heißt es von einem Kabinettsmitglied.

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