Gärtnerplatz:"Wo sollen wir denn hin?"

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Hunderte Menschen: In lauen Nächten geht es auf dem Gärtnerplatz derzeit hoch her. So lange die Clubs geschlossen sind, dürfte das auch so bleiben. (Foto: Sebastian Gabriel)

Feiern ist derzeit schwierig. Münchens Diskotheken sind zu und die einschlägigen Orte abends völlig überfüllt. Fast jede Nacht muss die Polizei den Gärtnerplatz räumen. Wie soll das weitergehen?

Reportage von Philipp Crone, München

Der junge Mann schüttelt den Kopf und holt Luft. Sechs Polizisten stehen vor ihm, einer hat seine Musikbox an sich genommen. Neben den Beamten wartet ein Anwohner und von den 600 Menschen, die am Freitag um 22.30 Uhr auf Bänken, Wiesen, Hecken oder Stufen rund um den Gärtnerplatz sitzen, schauen einige zu dem jungen Mann im schwarzen Shirt. Der Student ist mit Freunden da, eine Minute vorher dröhnte aus seiner Box noch Technomusik, die Gruppe tanzte am Seiteneingang des Gärtnerplatztheaters. Dann kamen die Beamten, es sind nur 20 Meter von der Basis, von der aus die Polizei derzeit an jedem Abend die Feierei überwacht. Der Student bleibt ruhig, bis er eben doch einmal tief Luft holt und einen Polizisten fragt: "Wo sollen wir denn hin?" Das ganze Dilemma in einem Satz.

Die Anwohner wollen ihre Ruhe. Die Nicht-Anwohner wollen ihre zentrale Freiluftbühne. So ist es an der Isar und am Gärtnerplatz seit Jahren. Seit Wochen wird es aber nun immer kritischer. Die Clubs sind zu, die Temperaturen seit Tagen so lau, dass man die ganze Nacht hier verbringen könnte. Also räumt die Polizei mittlerweile fast jeden Abend den Platz. Und an diesem Freitagabend wollen dann auch noch Hunderte Abiturienten zusätzlich ihren Abschluss begießen. Ein Feierabendrundgang auf der Suche nach einer Lösung.

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Der junge Mann bekommt die Box zurück, die Beamten bleiben bei der Gruppe, eine Polizistin erklärt in Ruhe, was erlaubt ist und was nicht, warum das mit der Party hier eben nicht geht. Und auf die Frage des Mannes, wo er denn feiern soll, zuckt sie nur mit den Schultern. An der Isar?

Dort ist es auf Höhe der Reichenbachbrücke so voll wie bei einer normalen Meisterfeier des FC Bayern auf dem Marienplatz. Es blitzt immer mal wieder, was aber nur ein paar verängstigte junge Männer aufschreckt, die ihre Getränke ins Trockene bringen wollen. Regen? Egal. Die meisten haben ein Bier in der Hand oder ihr Handy, manche beides. Auf den Displays der Smartphones leuchten blaue Wege auf den Landkarten. Freitagabend nach Sonnenuntergang, das ist eine wuselige Suche nach Feiermöglichkeiten.

Am Reichenbachkiosk herrscht ein derartiges Gedränge, dass eine junge Frau etwas hilflos ruft. "Abstand halten geht hier nicht!" Von der Brücke hört sich das Isarufer an wie ein volles Fußballstadion von Weitem: ein großes Rauschen. Vier junge Frauen sind eigens aus Marktoberdorf zum Feiern ihres Abschlusses hergefahren. Die Plastikbecher in der Hand diskutieren sie, wohin am besten. Eine Fahrradfahrerin schiebt schwankend ihr Rad vorbei und fragt jeden, an dem sie vorbeikommt: "Seid ihr auch schon Abiturienten?" Unten am Ufer parkt ein Wagen der Polizei. Ein Beamter sagt: "Es nimmt schon überhand hier."

Noch ist ein letzter Rest der blauen Stunde am Himmel zu sehen, aber bald wird es dunkel sein. Dann ist es an der Isar auch nicht mehr so gemütlich, viele ziehen deshalb schon zum Gärtnerplatz durch die Reichenbachstraße. Die Straße, in der Dietrich Jakob seit 22 Jahren wohnt.

"Und 30 Minuten später ist der Platz dann wieder voll"

Jakob spricht mit leiser Stimme über dieses laute Thema. Man hört die Resignation förmlich. Eine Frage, die ihn sehr ärgert, lautet: Warum ziehst du auch hierher, wenn du deine Ruhe haben willst? "Vor 22 Jahren war hier noch nichts los. Und es gibt viele, die schon lange hier wohnen." Mittlerweile hat der 50-jährige Übersetzer das Gefühl, "als gäbe es ein Grundrecht auf Feiern, aber kein Grundrecht auf Nachtruhe". Das gibt es aber natürlich, ab 22 Uhr. Fühlt sich jemand gestört, kann er die Polizei rufen, die schreitet ein. Aber was kann sie schon machen? Wenn sie den Gärtnerplatz räumt, spült es die Menschen erst recht unter die Wohnungen von Jakob und anderen Anwohnern. "Und 30 Minuten später ist der Platz dann wieder voll." Soll die Polizei dann für alle ein Platzverbot aussprechen? Die Personalien aufnehmen? Geht nicht, schafft sie nicht. Die Beamten wirken an diesen lauen Abenden ohnehin erstaunlich entspannt. Dafür, dass sie einen geradezu unmöglichen Job machen.

Polizisten stehen vor dem Theater, man ratscht, manch einer wippt auch zur Musik kurz mit, bevor diese dann wieder unterbunden wird. Absurd: Ein groovender Mensch in Uniform, der eine Minute später die Box konfisziert, zu deren Musik er getanzt hat. Auf Twitter schreibt die Polizei: "Gemütlich zusammensitzen und feiern ist das eine. Den Englischen Garten und das Isarufer zu vermüllen und dabei so laut Musik zu hören, dass wir allein am vergangenen Wochenende mehr als 1000 Anrufe wegen Ruhestörung hatten..., das andere." 400 Einsätze an so einem Wochenende sind die Folge. "Wir verstehen, dass ihr feiern wollt. ... Aber: Nehmt Rücksicht." Etwa 15 000 Menschen haben laut Polizei an diesem Wochenende an der Isar und den Innenstadtplätzen gefeiert, Samstagabend wurden der Gärtnerplatz und der Wedekindplatz in Schwabing geräumt.

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Die Leute bekommen den ganzen Abend über von den Bars Getränke zum Mitnehmen. Die Lokale müssen ja wieder Umsatz machen. Und wer trinkt, muss pinkeln. Dementsprechend sieht der Platz in den Ecken aus, als hätte es geregnet. "Früher sind wir rausgefahren zum Feiern", sagt Anwohner Dietrich Jakob. Zum Kunstpark Ost oder noch früher zum Flughafen. Da war die Innenstadt nachts noch verwaist. Heute genießt München das mediterrane Image, dass man sich auf Straßen und Plätzen aufhält und dass die Stadt auch nachts belebt ist. Ein Ruf, auf den viele Anwohner gerne verzichten würden.

Eine Lösung? Die Theresienwiese als Feierzone? Nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol, wie es in Bremen in einigen Vierteln praktiziert wird? Beleuchtungen an der Isar, dass noch eher dort gefeiert wird? Die Leute auf dem Gärtnerplatz rauschen am Freitagabend weiter, nach Mitternacht wird es immer voller. Vielleicht ist es mittlerweile auch der Kitzel, sich mal wieder räumen zu lassen? Mittendrin zwei junge Männer, die gerade erst ankommen sind und nach einer Sitzmöglichkeit suchen. Einer sagt zum anderen: "Schau, das ist der Puls der Stadt!" Und der Puls steigt.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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