Festival des Spiels, des Sports und der Kunst:Jubiläumsparty im Geist von Olympia '72

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Richard Siegals "Ballet of Difference" bringt die Produktion "Triple" zum "Festival des Spiels, des Sports und der Kunst" nach München. (Foto: Thomas Schermer)

Eine Jury hat Tänzer, Musiker und Schauspieler aus München und dem Rest der Welt zu einem bunten Festival auf dem Olympiagelände eingeladen. Was geplant ist.

Von Jutta Czeguhn, Yvonne Poppek, Egbert Tholl und Michael Zirnstein

"Es war ein Wahnsinn, es war eine Freude, ein Gefühl von Weltfrieden", erinnert sich René Vollmar, Leiter der "RolliGang", an die Olympischen Spiele 1972. Gerade das Kulturprogramm begeisterte den damals 15-Jährigen, zum Beispiel die vom "Spiel-Beauftragten" Werner Ruhnau erdachte "Spielstraße" rund um den Olympiasee. Das will das Münchner Kulturreferat mit seinem neuntägigen "Festival des Spiels, des Sports und der Kunst" vom 1. bis zum 9. Juli im Jubiläumsjahr aufleben lassen. Eine Jury hat viele, viele Künstlerinnen und Künstler aus München und dem Rest der Welt eingeladen, dieses "Experimentierfeld" mit Aktionen "zum Anfassen, Mitmachen, Mitspielen, Schauen und Staunen" zu füllen. Auch Vollmar ist dabei, er hat den Song "50 Jahre Olympia" geschrieben und mit seiner für seine RolliGang, einer jungen inklusiven Gesangsgruppe, aufgenommen. Die Hymne wird immer wieder auf der Parade der Künstler Fröhlichkeit versprühen - zwischendrin wechselt sie in Moll. Denn auch an die Schrecken von 1972 wollen Vollmar, wie auch viele Teilnehmer des Jubiläums-Festivals erinnern.

Eröffnungsabend

Die dreistündige Eröffnungsfeier muss einen Spagat schaffen, der einer Rhythmischen Sportgymnastin würdig wäre: Einerseits gibt es da in der Olympiahalle das Schaulaufen der Offiziellen von Oberbürgermeister Dieter Reiter bis IOC-Präsident Thomas Bach, damaliger und aktueller Sportstars und der Waldi-Designerin; und Krzysztof Pendereckis Zeremonienmusik von 1972 soll Erinnerungen wecken. Andererseits lässt man auch kritischen Münchner Künstlern wie Moritz Ostruschnnjak mit seiner Tanzkompanie "Yester:Now" und Polina Lapkovskaja alias Pollyester freies Spiel. "Ich nehme die Herausforderung an", sagt sie, "in solchen Jubiläen steckt die Chance der Geschichtsschreibung und -überschreibung." Sie hat eine audiovisuelle Show entwickelt, die "nicht bloß im Fotoalbum blättert", auch ihr eigens komponiertes 20-Minuten-Konzert in der Gala soll tanzbar, aber doch ein intensiver, "zeitrelevanter Kommentar" sein. Mit der Interpretation eines Liedes auf Hebräisch ("Stars of September") will sie der Opfer des Attentates von 1972 gedenken.

Eröffnungsfeier, Fr., 1. Juli, 18 Uhr, Olympiahalle, kostenlose Tickets auf muenchenticket.de

Parade

Vorbild ist der Einzug der Olympioniken ins Stadion anno 1972. Doch der Marsch von der Alten Pinakothek zum Hans-Jochen-Vogel-Platz am Olympiasee soll noch mehr als eine Aneinanderreihung von Nationen sein, vielmehr ein diverses Miteinander: von Mitgliedern der Kunstvereine mit Vertretern inklusiver Institutionen, von Trachtlern mit Avantgardisten, von Zwei- und Vierbeinern, denn auch der Dackel-Club läuft mit Nachfahren des Olympiamaskottchens Waldi mit. Am See gibt es von 12 bis 18 Uhr ein buntes Bühnenprogramm.

Parade, Sa., 2. Juli, 10.30 Uhr, vom Kunstareal zum Olympiasee

Konzerte

Zum Baden wird die Südafrikanerin Moonchild Sanelly nicht an den Olympiasee kommen. Dafür gibt sie ein Konzert. (Foto: Aqua Teal)

Die Olympischen Spiele 72 riefen "die Jugend der Welt" zusammen. In diesem Sinne holt die Reihe "Olympian Drums" einige "politisch relevante Musikerinnen aus verschiedenen Teilen der Welt" ins Theatron, um sich "gegenüber nationalistischen, rassistischen oder sexistischen Gedanken abzugrenzen und für eine weltoffene, kulturell vielfältige Welt einzustehen". Die Namen der Künstlerinnen dürften vor allem Kennern etwas sagen, doch viele sind internationale Stars: Moonchild Sanelly hat mit Beyoncé, Die Antwoord, Diplo und Gorrillaz gearbeitet und ist mit ihrem "Future Ghetto Punk" eine Gigantin in Südafrika. Auch der Syrer Omar Souleymans hat es vom Hochzeitssänger dank folkloristischem Elektrosound zu Ruhm gebracht. Die Istanbulerin Gaye Su Ayol steht mit ihrem politischen Ethno-Post-Punk-Psych-Pop für eine mutige junge Generation türkischer Musikerinnen. Und die Lokalmatadore Carl Gari verbinden sich mit dem ägyptischen Dichter Abdullah Miniawy.

Olympian Drums, So., 3. Juli, 16 Uhr, Theatron

Theater

Die Versammlung des Teams um Otto Piene (3. v. re.) in der Baubaracke am Olympiagelände im September 1972. (Foto: Sammlung Prof. Jürgen Claus)

Am 11. September 1972 wollte Otto Piene über den Olympiasee einen Regenbogen aus Licht spannen. Das Sky Art Projekt des deutschen Lichtkunstpioniers war von neuester Technik: 440 Meter lange, mit Helium gefüllte Polyethylenschläuche sollten in die Luft steigen. Sie waren als Zeichen gedacht, als Gegenentwurf zu den Spielen 1936. Doch sollte diese große Kunstaktion tatsächlich durchgezogen werden, sechs Tage nach dem Attentat? Am 6. September gab es deshalb eine Versammlung, Piene, seine Mitarbeiter, verschiedene Vertreter diskutierten, am Ende gab es eine Abstimmung, alles dokumentiert in einem zweiseitigen Protokoll von Pienes Assistent Jürgen Claus. Die Münchner Kammerspiele vollziehen nun die Diskussion in einer Performance nach. Zwei Schauspielerinnen und vier Schauspieler nehmen die verschiedenen Standpunkte ein, das schwierige Für und Wider, wie man auf so eine gewaltige und schreckliche Tat reagieren soll. Am Ende können die Zuschauer mit abstimmen, ob sie die Kunstaktion durchziehen würden. Otto Piene jedenfalls sollte am Ende seinen Regenbogen in den Nachthimmel malen.

Pienes Regenbogen, Premiere, Sa., 2. Juli, 19 Uhr, bis 9. Juli, Regenbogenbaracke am Olympiasee

Installationen

Klangkunst im Olympiapark: Mariko Takahashi und Stefan Winter platzieren ihre Klangobjekte rund um den Olympiasee. (Foto: Mariko Takahashi)

Rund um den Olympiasee werden Objekte im Gras liegen, wie seltsame Blumen, Blumen aus Trichtern, Schallbechern und Megafonen. Auf einem riesigen Grammofon rotiert lärmend ein Cello, merkwürdige Röhren ragen in die Luft. Aus all diesen Dingen tönt es. Mariko Takahashi und Stefan Winter bauen acht Klangstationen um den See, die im Idealfall einen Gesamtklang über das Wasser hinweg erzeugen - der beste Platz zum Hören wäre also ein Schlauchboot. Eröffnet wird "The Games Must Go On" am 2. Juli um 20 Uhr, bis Samstag, 9. Juli, wird die Klanginstallation zu erleben sein, meist für jeweils eine Stunde zwischen 15 und 17 Uhr. Zusammen mit Mariko Takahashi ist Stefan Winter ein umtriebiger, verspielter, außerordentlich kluger Klangweltenerfinder, zuletzt etwa in der Rathausgalerie. Sein Beitrag zum Olympiajubiläum will auch an Vergangenheiten erinnern, tönend assoziativ. Daran, dass das Olympiagelände auf dem Schutt des zerbombten Münchens errichtet wurde, an die Nazi-Propaganda-Spiele von 1936. Und daran, dass die Spiele 1972 so heiter und weltoffen begannen und so schrecklich endeten. Das alles in einer sich entwickelnden Klangumgebung, die das Publikum erkunden kann.

Es gibt noch viel mehr Kunst rund um den Olympiasee zu entdecken. So bastelt das Raumlabor Berlin zusammen mit den Gästen auf einer Plattform schwimmende Objekte aus Seilen, Stoffen und aufblasbaren Elementen, die dann von der Werft aus vom Stapel gelassen werden.

The Games Must Go On, Sa., 2. Juli, 20 Uhr, bis 9. Juli, Olympiasee

Happening

Performance beim Picknick: Gemma Meulendijks lädt mit dem Alligator Gozaimasu Kollektiv zu einem Happening im Olympiapark. (Foto: Alligator Gozaimasu)

Vielleicht hat sie der Name des Biergärtchens "Olympiaalm" zu den Fotos vor einer Kuhtränke und mit elefantösen Kostümen inspiriert. Das weiß man bei der übersprudelnden Kreativität des Handarbeit-Sound-Performance-Kunst-Duos Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl ("Mediendienst Leistungshölle") nie genau. Vielleicht passiert bei ihren Happenings auf dem "Collective Futures Space", also der Wiese am Olympiabergl auch etwas ganz anderes. Fantasievoll und spielerisch sind sie, und bestens verknüpft in ihrem Alligator Gozaimasu Kollektiv: So bringen sie zu "Grass & Bass" die queer-feministische Tänzerin und Drummerin Angela Munoz Martinez mit (2.7., 16 Uhr); machen ein Picknick (Essen selbst mitbringen oder gegen Spende am Buffet nehmen) mit "Dackel Dub & Waldi Wave" zwischen Klangkunst, Blasmusik, DJing, Tanz und DIY-Experiment (5.7., 14 Uhr); und laden alle ebenso Kreativen zum "textilen Forschen" mit "Ausrangiertem und Verworfenem" ein (6.7., 16 Uhr).

Performance-Picknick mit Alligator Gozaimasu Kollektiv, 2., 5. und 6. Juli, Wiese bei der Olympiaalm, bei Regen unter Vordach der Olympiahalle

Performance

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Heute betreibt sie eine Turnschule in Arizona, USA, und hat die meisten ihrer Medaillen verkauft. In München vor 50 Jahren war Olga Korbut der Publikumsliebling. 17 Jahre, Pferdeschwänze, 38 Kilo, 1,53 Meter, man nannte die Weißrussin aus der sowjetischen Turner-Equipe den "Spatz von Minsk". Sie gewann dreimal Gold, und das Olympia-Publikum litt mit ihr, als sie am Stufenbarren trotz eines nie zuvor geturnten Rückwärtssaltos nur Silber bekam. "Der Olga-Korbut-Effekt", so nennt Künstlerin Pia Lanzinger ihre ästhetische Rekonstruktion dieses historischen Moments im Frauen-Turnen. Mit ihrer installativen Arbeit hinterfragt sie den Blick auf die weibliche Physis, herrschende Normen sexueller Zuschreibung. Korbut wurde damals ein "Mangel an Weiblichkeit" vorgeworfen, was sich auch in der schlechteren Wertung der Kampfrichter für ihre überragende Leistung am Barren niederschlug - sehr zum Unmut des Münchner Publikums, das mit einem Pfeifkonzert reagierte.

"Der Olga-Korbut-Effekt", Installation mit täglicher Performance vom 1. bis 9. Juli auf einer Plattform im Olympiasee

Tanz

"A band of misfits", eine Bande Unangepasster, nennt der Choreograf Richard Siegal sein "Ballet of Difference" (BoD ), brillante Tänzerinnen und Tänzer, die aber nicht in jede Staatstheater-Compagnie passen. Sie kommen aus aller Welt, feiern die kulturelle Vielfalt, Queerness und erkunden die Zukunft des Balletts. Seit der Spielzeit 2019/20 ist Siegals Truppe am Schauspiel Köln beheimatet, gegründet aber wurde das Ensemble 2016 in München. Ein weltoffenes, athletisches Münchner Gewächs also, das den Geist von Olympia 72 weiterträgt. Am 2. Juli zeigt das BoD erstmals open air, auf der Theatron-Bühne, seine Produktion "Triple", eine Feier des Lebens und der Freiheit in einer pluralistischen Gemeinschaft.

Eine weitere ungewöhnliche Darbietung zeigen die Tänzerinnen des Staatstheaters und des Bayerischen Junior Balletts am 8. Juli, 16 Uhr, im Theatron: Zusammen mit Profi-Boxern aus Bayern und Israel steigen sie in den originalen Olympia-Box-Ring von 1972, um Körperbeherrschung und Anmut beider Bewegungskünste zu erforschen.

"Triple", Ballet of Difference, 2. Juli, 21 Uhr, Einlass 19 Uhr, Theatron

Politisches Tanzparkett

Was hat die nachher geborene Generation von Olympia 72? Die Frage stellt die Reihe "Club der Jubiliare". (Foto: Polina Lapkosvskaja)

Mit dem in eine Original-Picknickdecke von München 72 eingewickelten Cover-Model zu ihrer Reihe "Club der Jubilare" kann sich Polina Lapkovskaja alias Pollyester gut identifizieren: Eine junge Frau, die als nachher Geborene nicht recht weiß, was sie selbst mit der Olympia-Euphorie anfangen soll. Dafür hat die (Theater-)Musikerin, Performerin und DJ Pollyester einen Aufwand für die Jubiläumsfeiern wie niemand sonst betrieben. Nicht nur bei der Eröffnungsgala, sie hat zudem drei völlig unterschiedliche Erlebnistage im Theatron zu einer Utopie einer Olympiade 2072 konzipiert. Für den ersten Tag hat sie einen drucksensiblen Tanzboden für die Betonscheibe entwickelt. Jeder Besucher kann darauf mit seinen Fußabdrücken visuelle Wellen auf dem LED-Riesenschirm lostreten, was abends bei der kollektiven Tanzparty zum Tsunami führen dürfte. Für den zweiten Abend hat sie zusammen mit einer Hamburger Designerin eine skulpturale Modenschau mit 50 Gewändern aus alten Sporttrikots entworfen, die die Frage nach den Athleten der Zukunft stellen und wie körperlich diese überhaupt noch sein werden. Beim dritten Abend, "Rule 50", wird die Regel 50 aus den olympischen Richtlinien verlesen, die unpolitische, religionsfreie Spiele fordert. Die Performance - gekoppelt mit zeitgenössischer NFT-Kunst - soll diese ursprünglich friedensstiftende Idee hinterfragen und weiterentwickeln zu Großereignissen, bei denen politisches Denken nicht ausgeschlossen ist.

Club der Jubilare, Di.-Do., 5.-7. Juli, Theatron

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