SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 108:"Es war einfach furchtbar"

Lesezeit: 2 min

Manchmal kommt es vor, dass nicht einmal durch die stärksten Schmerzmedikamente so etwas ähnliches wie ein Wohlbefinden erreicht werden kann. (Foto: YAY Images/imago images)

Dass auf der Intensivstation Menschen unter Schmerzen leiden, ist nicht ungewöhnlich. Wenn allerdings nichts dauerhaft zu helfen scheint und der Patient trotz Medikamenten unfassbar leidet, dann geht das Pola Gülberg besonders nah.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

In all den Jahren auf der Intensivstation habe ich schon viel gesehen - diverse Krankheiten und Verläufe, verschiedenste Patienten und Gemüter. Eigentlich war alles schon mal dabei. Dennoch gibt es Fälle, die mir in besonderer Erinnerung bleiben. Nicht immer ist es eine gute.

Ich kam zum Nachtdienst, mir zugeteilt war unter anderem eine Patientin, die nach einer Operation wegen eines akuten Darmverschlusses bei uns war. Sie war schwer vorerkrankt. Darmkrebs. Chemotherapie. Und eine radikale Operation, bei der ihr ein großer Teil des Darms entfernt wurde. Seitdem hatte sie jedes Mal nach dem Essen Schmerzen, weil ihr Darm nun zu klein war, um mit der Nahrung fertig zu werden.

Kurz: Der Frau ging es vor dem akuten Darmverschluss schon nicht gut. Und jetzt erst recht nicht. Sie hatte unglaubliche Schmerzen.

Direkt nach der Operation war sie noch intubiert, da war die Lage einigermaßen in Ordnung, weil wir sie höher sedieren konnten. Doch als sie extubiert war, konnten wir ihr nicht mehr solch hohe Dosen geben, sodass sie schmerzfrei oder es wenigstens annährend gewesen wäre. Nach einer Weile bekam sie zusätzlich zu ihrem ohnehin schon starken Schmerzmedikament immer wieder Morphin, das besonders schnell wirken sollte. Es reichte trotzdem nicht. Man muss sehr aufpassen mit der Dosierung solch starker Schmerzmittel, denn ist sie zu hoch, kann das zum Atemstillstand führen.

Im Laufe jener Nacht nun fing meine Patientin an, vor Schmerzen zu stöhnen. Immer wieder. Es waren grausige Laute, die mir im Herzen weh taten.

Immer wieder habe ich sie gefragt, ob sie den Schmerz lokalisieren könne. Dann hätten wir gezielt daran arbeiten können. Doch er war überall. Ich habe versucht, ihr mit Lavendelduft etwas Gutes zu tun. Später fragte ich sie, ob und welche Musik sie gerne höre - ich schaltete das Radio auf einen Klassiksender in der Hoffnung, sie damit etwas vom Trubel der übrigen Station abschirmen zu können. Denn das ist ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor. Regelmäßig habe ich ihren trockenen Mund befeuchtet. Wenn ich sie bewegt habe, dann nur noch behutsamer, als ich es ohnehin schon tue.

Nichts davon hat länger als zwei Stunden geholfen. Ich habe mich hilflos gefühlt. Es war klar, dass sie sterben würde. Meine Aufgabe war, ihr das Gehen so schmerzfrei und angenehm wie möglich zu gestalten. Doch meine Patientin litt. Es war einfach furchtbar.

Dennoch war mir eines klar: Ich habe alles in meiner Macht stehende unternommen. Es geht weniger darum, dass ich es nicht geschafft habe, sondern darum, dass ich alles versucht habe. Wäre ich nach dieser Nachtschicht mit einem schlechten Gewissen nach Hause gefahren, weil ich der Patientin nicht durchgehend helfen konnte, dann könnte ich meinen Job nicht ausführen - niemand mit solchen Gedanken könnte das dauerhaft.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAngebot zur Wohn- und Pflegeberatung
:Alles aus einer Hand

Zum November zieht der Hauptsitz des Ebersberger Pflegestützpunktes inklusive Wohnraumberatung nach Grafing in das neue Kompetenzzentrum Barrierefreiheit und Pflege. Dort wird es auch einen Ausstellungsraum für behindertengerechte Umbauten geben sowie einen Vortragsraum.

Von Johanna Feckl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: