Mein Patient war schon über 90 Jahre alt - sympathisch und geistig völlig fit. In der Nacht zuvor kam er von Normalstation als Notfall auf die Intensiv: Er wurde wegen Vorhofflimmerns überwacht, sein Herz setzte immer wieder aus - ganz kurz nur, höchstens zwei Sekunden. Dann begann sein Herz von allein wieder seine Arbeit. Dieses Mal jedoch dauerte die Pause wesentlich länger. Zehn Sekunden - das ist eine irrsinnig lange Zeit, wenn das Herz nicht schlägt. Zur weiteren Abklärung verlegten ihn seine Ärzte zu uns.
Als ich ihn zum ersten Mal sah, habe ich mich beinahe ein bisschen erschrocken. Sein Gesicht war ganz blau, weil er zu Hause gestürzt und drauf gefallen war. Später erzählte er mir, dass das bereits sein dritter Sturz innerhalb relativ kurzer Zeit gewesen war. Immer wieder sei ihm schwindelig geworden, und manchmal eben so sehr, dass ihm die Knie versagten. Ein Kollaps also: Man bricht zusammen, ohne dass es dafür einen mechanischen Grund gibt, also zum Beispiel weil man gestolpert oder ausgerutscht ist. Auf Medizinisch heißt das: ein plötzlicher Schwächeanfall aufgrund eines Versagens des peripheren Kreislaufs und verminderter Hirndurchblutung. Das kann mit einer Ohnmacht einhergehen, muss es aber nicht.
SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 114:Hitze auf der Intensivstation
Eigentlich sorgt eine Lüftungsanlage für angenehme Temperaturen auf der Station von Pola Gülberg - allerdings nicht, wenn sie kaputt ist. Bei der Pflegerin sorgt das für einen Blick in die Zukunft: Wie soll das werden, wenn es immer häufiger so heiß sein wird?
Ein Kollaps kann verschiedene Ursachen haben. Im Sommer kann es im Zusammenhang mit Hitze stehen, ältere oder vorerkrankte Menschen haben dafür ein erhöhtes Risiko, ebenso wie Kinder oder Schwangere. Gerade wenn Seniorinnen und Senioren aber auch unabhängig der Temperatur immer mal wieder sagen: "Mei, ich bin schon wieder hingefallen, aber ist nichts passiert, bloß ein blauer Fleck" - dann sollte man hellhörig werden. Denn in solchen Fällen kann es gut sein, dass der Kollaps im Zusammenhang mit Herzrhythmusstörungen steht. So war es schließlich auch bei meinem Patienten. Jetzt brauchte er einen Herzschrittmacher.
Im Gespräch habe ich gemerkt, dass er sich unsicher war: Brauchte er das überhaupt noch, in seinem hohen Alter? "Mir wär's Wurst: Dann falle ich halt hin und wache nicht mehr auf", sagte er zu mir. Ich verstand das auf eine gewisse Art, dennoch hatte er einen Denkfehler: Er fiel ständig hin, aber wachte jedes Mal ja wieder auf und hatte sich bei den Stürzen Blessuren zugezogen, obwohl er ansonsten noch sehr fit war. Das kann's ja nicht sein, erklärte ich ihm.
Er stimmte mir zu. Dennoch blieb sein Unbehagen beim Gedanken an den Herzschrittmacher. Das erlebe ich immer wieder: Viele denken, mit einem Herzschrittmacher könnten sie nicht mehr sterben - denn das Gerät würde schließlich dafür sorgen, dass die Pumpe immer weiter schlägt. Aber das stimmt nicht. Der Herzschrittmacher gibt lediglich einen Impuls, wenn der Herzschlag unter eine individuell einstellbare Mindestfrequenz rutscht. Aber reagieren auf diesen Impuls, das muss das Herz schon ganz allein. Wenn es zu schwach und krank dafür ist, dann hört es auf zu schlagen - Herzschrittmacher hin oder her. Mein Patient war beruhigt. Und er bekam einen Herzschrittmacher.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.