Überleben. Was bedeutet dieses Wort? Überstehen? Mit jedem Tag, jeder Stunde, Minute und Sekunde überleben wir etwas, egal was. Überleben heißt, etwas zu schaffen. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Meine Geschichte handelt von einem Thema, das jeder zu kennen meint: Ich habe eine Essstörung. Ich ernähre mich nicht von Essen, ich ernähre mich von Zahlen. Eine Gurke hat 49 Kilokalorien, ein Apfel 71 kcal, eine Pizza 800 kcal.
Ob Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating: Alles wird unter dem Begriff der 'Essstörung' zusammengefasst. Dieses Wort kann doch keiner mehr hören. Sofort tauchen abgemagerte Mädchen vor meinem inneren Auge auf, Bilder von Waagen, einem Maßband und den Magermodels von Heidi Klum. Bilder, die jeder kennt und doch keiner versteht. Wohlstandskrankheit, die Suche nach Aufmerksamkeit, Dummheit. Auch diese Begriffe verbinde ich mit dem Wort Essstörung. Und sie stimmen alle.
Essstörungen sind psychische Krankheiten. Sie drehen sich darum, entweder nichts oder zu viel zu Essen, Essen auszukotzen oder alles zusammen. Sie werden begleitet von einem falschen und verzerrten Körperbild, Angst vor Fett, Gewicht, Essen. Isolation, Depression, Hass auf den eigenen Körper und auf alle, die einen zum Essen zwingen.
Plötzlich war alles anders
Ich versuche euch zu erklären, was es für mich heißt, einen Tag zu überleben. Jedes Überleben beginnt mit einer Geschichte. Jede Geschichte ist anders. Meine Geschichte beginnt irgendwann vor vier Jahren mit einem einzigen Satz, unauslöschbar und tief eingebrannt in mein Gedächtnis: 'Ich mag deine Stampfer.'
Es war ein vielleicht witzig gemeintes Kompliment, einfach so dahergesagt. Sicher nicht dazu gedacht, mich zu verletzen. Ein einfacher Satz, bestehend aus vier Worten, eines davon ein Synonym für 'Beine'. Dicke Beine. Stampfer. Ich weiß noch genau, wie ich damals gequält lächelte und es äußerlich ignorierte, während sich innerlich zwei Fronten bildeten, die seither mein tägliches Überleben bestimmen. 'Stampfer?' 'Habe ich wirklich so dicke Beine?', 'Das war doch nur ein Kompliment', 'Du kennst ihn doch, das sollte witzig sein', 'Denk dir nichts dabei'.
Aber ich dachte mir etwas dabei. Ich konnte nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken. Mein Body-Mass-Index (BMI) betrug irgendwas mit 19, war also ganz normal, sogar eher im unteren Bereich. Ich war nicht dick, ich hatte mich nie gewogen, immer gegessen, was ich gerade wollte, normal Sport gemacht, mich nie als zu dick empfunden.
Das alles war plötzlich anders.