Beinahe-Unglück:"Der duat gar nix mehr"

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Die Scheinwerfer der beiden Züge erhellten am 22. Januar 2020 bei Griesen nur noch etwa 20 Meter gemeinsames Gleis. (Foto: Bundespolizei)

Im Januar 2020 entgehen zwei Züge bei Garmisch-Partenkirchen nur knapp einem Zusammenstoß. Unfallexperten machen auch die eher informelle, im Dialekt geführte Kommunikation zweier Fahrdienstleiter dafür verantwortlich.

Von Matthias Köpf, Griesen

Für Bayern, das sie selbst "Untersuchungsbezirk Südost" nennt, unterhält die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung ein eigenes Regionalbüro in Nürnberg. Trotz dieser geografischen Nähe stößt die Bundesbehörde in ihrem jüngsten Untersuchungsbericht eindeutig an ihre Grenzen. Denn der Versuch, die bairisch-alemannische Kommunikation zwischen einem Fahrdienstleiter der DB am Bahnhof Griesen bei Garmisch-Partenkirchen und seinem Tiroler Kollegen drüben in Reutte zu verschriftlichen, ist ohnehin nahezu aussichtslos. Doch genau diese eher informelle Abstimmung der beiden Fahrdienstleiter machen die Unfallermittler für ein Ereignis verantwortlich, das im schlimmsten Fall mehrere Menschen das Leben hätte kosten können.

Der Vorfall vor ziemlich genau vier Jahren ist noch einmal glimpflich ausgegangen - ganz anders als zweieinhalb Jahre später das Zugunglück im nahen Burgrain, bei dem in einer entgleisten Regionalbahn fünf Menschen starben. Die Schadensbilanz des Beinahe-Unglücks von Griesen am 22. Januar 2020 liest sich unter Punkt 2.2 des vor einigen Tagen vorgelegten Abschlussberichtes der Untersuchungsstelle vollkommen harmlos: "Es wurden keine Personen verletzt oder getötet. Es entstand kein Sachschaden."

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Das ist aber vor allem dem Lokführer der Regionalbahn von Garmisch-Partenkirchen nach Reutte zu verdanken, der seinen Zug damals per Schnellbremsung gerade noch rechtzeitig zum Stehen gebracht hat - rund 20 Meter vor dem Gegenzug Richtung Garmisch, der ihm bei Griesen plötzlich auf dem gleichen Gleis gegenüberstand und auf das Signal zum Weiterfahren wartete. Der Fahrplan war zu der Zeit ohnehin schon durcheinander, auch weil anderswo an der Strecke ein Auto an einem Bahnübergang in die geschlossene Schranke gefahren war und den Lokführer zu einer ersten Schnellbremsung veranlasst hatte.

Die beiden Fahrdienstleiter schickten laut dem Untersuchungsbericht dann beide Züge gleichzeitig und in Gegenrichtung auf die eingleisige Strecke - nach Ansicht der Ermittler als Folge einer unklaren und undisziplinierten Kommunikation. Nun lässt sich zwar auch im Dialekt exakt miteinander sprechen. Dem festgelegten Verfahren, wie Fahrdienstleiter einander Züge melden, übergeben und die jeweiligen Fahrten disponieren müssen, hat dieses "in einem lockeren Stil" geführte Gespräch laut dem Bericht aber nicht entsprochen. "Für betriebliche Meldungen vorgegebene Wortlaute wurden teils stark verkürzt oder gar nicht verwendet", heißt es dort. "Die Verwendung der deutschen Sprache sollte hierbei möglichst dialektfrei und langsam, deutlich und in normaler Lautstärke erfolgen", betonen die Ermittler außerdem - und belegen mit den eher hilflos verschriftlichten Mundart-Passagen, dass an dem Tag eher das Gegenteil der Fall war: "Vielleicht das mer nen Dreiezwanzger in Griesen auf'n Zworezwangzer stupfen."

Laut den Ermittlungen wechselten die Fahrdienstleiter auf ihre privaten Handys

Doch nicht der gesamte Dialog der beiden Fahrdienstleiter wurde automatisch aufgezeichnet. Als ihnen der Lokführer die Lage vor Augen geführt hatte ("Aber der hot gsogt der eine Zug steht äh zwischen eahm ... vor eahm"), wechselten sie laut Bericht auf ihre privaten Handys, vermutlich um ihre Fehler zu vertuschen. Auf den Vorschlag, den Zug in den zweigleisigen Bahnhof zurückzusetzen und dort den Gegenzug passieren zu lassen, ging der Lokführer nicht ein, der schon den Notfallmanager der Bahn verständigt hatte: "Na der fährt nicht mehr zurück ... hat er erzählt der duat gar nix mehr." Die Lokführer wären wohl die Ersten gewesen, die unter einem Frontalzusammenstoß zu leiden gehabt hätten. Später holte die Feuerwehr insgesamt 60 Fahrgäste aus den Zügen.

Technische Sicherungen, die Fehler der Fahrdienstleiter ausbügeln und das Einfahren zweier Züge auf ein Gleis hätten verhindern können, gibt es zwar längst. Allerdings war diese Nebenstrecke der von der DB ohnehin notorisch vernachlässigten Werdenfelsbahn 2020 nicht damit ausgestattet. Die Bahn hat nach einem ersten Zwischenbericht der Ermittler 2021 eine Art Assistenzsystem eingebaut, im Oktober dieses Jahres soll die gesamte Stellwerkstechnik in Griesen erneuert werden.

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