Bahnverkehr:Menschliches Versagen und alte Technik

Beinahe-Bahn-Unglück bei Griesen

In nur noch 20 Metern Distanz standen sich zwei Regionalzüge im Januar bei Griesen gegenüber.

(Foto: Bundespolizei)

Den Zusammenstoß zweier Züge bei Griesen im Januar verhinderte ein Lokführer gerade so, doch die Gefahr auf eingleisigen Strecken bleibt. Die zuständige Fachstelle empfiehlt die Nachrüstung - wieder einmal.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Bei dem, was die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung in Bonn eine "Störung durch betriebliche Fehlhandlung" nennt, ist auf den ersten Blick nicht allzu viel passiert. Zumindest wurde an jenem späten Nachmittag des 22. Januar niemand verletzt, und außer den Kosten für die Einsatzkräfte gab es auch keinen nennenswerten Sachschaden. Das allerdings ist vor allem der Geistesgegenwart eines Lokführers zu verdanken, der seine Regionalbahn gerade noch rechtzeitig zum Stehen bringen konnte, bevor sie in der Nähe des kleinen Bahnhofs Griesen bei Garmisch-Partenkirchen in den wartenden Gegenzug gerauscht wäre. In ihrem Zwischenbericht zu dem Vorfall geht die Untersuchungsbehörde von einem menschlichen Versagen aus, übt aber auch Kritik an der technischen Ausstattung einiger deutscher Bahnstrecken.

Speziell geht es der Bundesstelle dabei um eingleisige Nebenbahnen wie eben die Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Reutte im benachbarten Tirol. Eigentlich dürfte es unter keinen Umständen vorkommen, dass sich auf eingleisigen Abschnitten zwei Züge entgegenkommen. Im konkreten Fall stand der Zug aus Tirol an einem Stoppsignal kurz vor dem Bahnhof Griesen, während der andere Zug in Gegenrichtung aus dem Bahnhof heraus auf ihn zufuhr. Nur durch eine "Schnellbremsung", die in der Bahn-Terminologie gerade noch keine "Notbremsung" ist, verhinderte der Lokführer die Kollision. Die neben den jeweiligen Lokführern mit 25 und 35 Fahrgästen besetzten Regionalzüge standen einander am Ende im Abstand von gerade einmal 20 Metern gegenüber.

Laut Fahrplan hätten sie sich nicht bei Griesen, sondern in einem anderen Bahnhof begegnen sollen, doch die Verspätung des einen Zuges hatte die fahrplanmäßigen Betriebsabläufe durcheinander gebracht. In einem solchen Fall sind die Fahrdienstleiter besonders gefordert, die Reihenfolge der Fahrten und den passenden Bahnhof festzulegen, an dem beide Züge aneinander vorbeifahren können. Der Fahrdienstleiter im Bahnhof Griesen muss dazu mit seinem Tiroler Kollegen telefonieren, der in einem regionalen elektronischen Stellwerk in Reutte sitzt.

Auch auf bayerischer Seite wird der Zugverkehr im weiteren Verlauf ab Garmisch-Partenkirchen elektronisch gesteuert. Solche Systeme verhindern automatisch, das zwei Züge auf dem gleichen Streckenabschnitt fahren - sei es zu dicht hintereinander oder gar auf Kollisionskurs wie im Januar in Griesen. Die dortige Strecke wird jedoch immer noch ohne eine solche technische Sicherung betrieben - genau wie 52 weitere Nebenstrecken in Deutschland. Insgesamt betreffe das Problem "etwa 900 Zugfahrten täglich", heißt es von der Bundesstelle. Pro Jahr fänden "somit etwa 330 000 Zugfahrten ohne technisch realisierten Folge- und Gegenfahrschutz statt".

Dies entspreche auch im Falle Griesen zwar der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung sowie den eigenen Regularien der DB Netz AG als Streckenbetreiberin. Allerdings müsste die Risikoeinschätzung, auf der diese Regularien beruhen, aus Sicht der Unfalluntersucher dringend verändert werden. Dies und die Empfehlung, solche Strecken technisch nachzurüsten, leitet die Bundesstelle aus dem Beinahe-Unfall von Griesen ab, aus dem bei einem nur etwas höheren Tempo des fahrenden Zuges ein tatsächlicher Unfall geworden wäre.

Zu einem solchen tatsächlichen Frontalzusammenstoß auf freier, eingleisiger Strecke ist es im Februar 2016 bei Bad Aibling gekommen, wo zwölf Menschen starben und 89 teils schwer verletzt wurden. Auch nach dieser Katastrophe hatte die Bundesstelle auf einen fehlenden automatischen Kollisionsschutz hingewiesen - im Abschlussbericht ebenso wie zuvor im Strafprozess am Landgericht Traunstein. Das hatte den Bad Aiblinger Fahrdienstleiter 2016 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er, von einem Handyspiel abgelenkt, entscheidende Fehler gemacht und auch eine dort vorhandene erste technische Sicherung manuell überstimmt hatte. Im Fall Griesen ermittelt die Staatsanwaltschaft München II nach eigenen Angaben gegen Unbekannt, das Verfahren dauere an.

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