Belastende Vorwürfe gegen Aiwanger:Söder: "Das Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig"

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Ministerpräsident Markus Söder (rechts) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger haben sich bereits festgelegt, nach der Landtagswahl miteinander weiterregieren zu wollen. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Nach den Vorwürfen gegen seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger fordert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Aufklärung. Die Opposition will derweil eine Sondersitzung des Landtags einberufen.

Von Katja Auer, Sebastian Beck, Florian Fuchs, Andreas Glas und Johann Osel

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat am Samstagmittag in Augsburg erstmals öffentlich auf die Vorwürfe gegen seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (FW) reagiert. "Das sind schlimme Vorwürfe, die im Raum stehen", sagte Söder vor Beginn des Festumzugs zum Augsburger Plärrer. Auch Aiwanger war ursprünglich angekündigt, doch der Wirtschaftsminister sagte seine Teilnahme kurzfristig ab.

Nach SZ-Recherchen soll Aiwanger als Schüler ein antisemitisches Flugblatt in seinem Gymnasium im niederbayerischen Mallersdorf-Pfaffenberg ausgelegt haben. Zeugenaussagen zufolge wurde er als Verfasser des Pamphlets vom Disziplinarausschuss bestraft. Der Vorfall soll im Schuljahr 1987/88 passiert sein und soll in der Schule weithin bekannt gewesen sein.

Aiwanger ließ die Darstellung von einem Sprecher entschieden zurückweisen; er habe "so etwas nicht produziert" und werde "gegen diese Schmutzkampagne im Falle einer Veröffentlichung juristische Schritte inklusive Schadenersatzforderungen" ergreifen.

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:Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben

Bayerns Vizeministerpräsident verbreitete in seiner Jugend offenbar rechtsextremes Gedankengut. Das legt ein Schriftstück nahe, das nun aufgetaucht ist. Der Freie-Wähler-Chef dementiert, so etwas produziert zu haben, und spricht von einer "Schmutzkampagne".

Von Katja Auer, Sebastian Beck, Andreas Glas und Klaus Ott

"Das Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig", sagte Söder am Samstag in Augsburg. Das Schriftstück ruft zu einem angeblichen Bundeswettbewerb auf: "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Als erster Preis wird etwa ausgelobt: "Ein Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz."

Es müsse nun geklärt werden, ob die Vorwürfe stimmen, sagte Söder. Nach Informationen der SZ trat am Samstagmittag zur gleichen Zeit der Fraktionsvorstand der Freien Wähler mit Aiwanger zusammen. Spitzenvertreter der Freien Wähler waren für Stellungnahmen zunächst nicht zu erreichen.

Die bayerische Opposition reagierte am Samstag auf die Vorwürfe, die SPD-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Landtags. SPD-Fraktionschef und Spitzenkandidat Florian von Brunn teilte mit: "Abscheuliche Auftritte wie bei der Demonstration in Erding wurden bislang als Einzelereignisse abgetan. Das sind sie bei Hubert Aiwanger aber offenbar nicht. Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, das die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft - auf schlimmste Art und Weise. Es ist unvorstellbar, dass ein Verfasser derartiger Zeilen im Bayerischen Landtag sitzt oder auch nur einen Tag länger ein öffentliches Amt in unserem Land bekleidet."

Ministerpräsident Markus Söder müsse sich die Frage stellen lassen, ob er und die CSU mit Partnern wie Aiwangers Freien Wählern nicht längst mit Rechtspopulisten koalierten, während die CSU selbst Strauß-Zitate gegen Rechtsradikale plakatierte.

Brunn verwies auf Artikel 45 der Bayerischen Verfassung. Dort steht ganz einfach: Der Ministerpräsident beruft und entlässt mit Zustimmung des Landtags die Staatsminister und die Staatssekretäre.

Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag und ihr Co-Vorsitzender Ludwig Hartmann, sehen ebenfalls Söder in der Pflicht. "Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, führt kein Weg daran vorbei: Entlassen Sie Hubert Aiwanger", schreibt Hartmann in einer Mitteilung. "Dieses Flugblatt verhöhnt die Opfer des Holocausts. Das Gedankengut ist menschenverachtend. Wer so denkt, schreibt und redet, zeigt seinen Antisemitismus klar und deutlich", teilt Schulze mit.

Die Jugendorganisationen beider Parteien fordern ebenfalls Konsequenzen. Aiwanger müsse zurücktreten oder - tue er das nicht - von Söder entlassen werden. "Nach Aiwangers Rede in Erding zeigt diese aktuelle SZ-Recherche wessen Geistes Kind Aiwanger ist", teilt die Grüne Jugend mit.

Die Jusos fordern den Rücktritt und die Auflösung der Koalition von CSU und Freien Wählern.

FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen schreibt in den sozialen Medien: "Der Inhalt des Flugblatts schockiert mich zutiefst. Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen. Antisemitismus und rechtsextremes Gedankengut haben in Bayern keinen Platz."

"Erschüttert" über den Text des Flugblatts zeigt sich der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Landtag, Andreas Winhart, dies sei "ein hartes Stück". Der Rücktritt sei bei Zutreffen der Vorwürfe unausweichlich. Aiwanger und seine Freien Wähler "hetzen" ebenso wie Söders CSU "gegen uns wegen jeder kleinen Äußerung", er "arbeitet sich an uns ab und hat offenbar selber keine weiße Weste". Es möge in der AfD nicht immer jede Formulierung "so ganz schick" geraten, meint Winhart, aber "so etwas kommt bei uns nicht vor".

Auch AfD-Landeschef Stephan Protschka sagt: Wenn Aiwanger diese Dinge geschrieben habe, sei das ein "Unding" und der Mann "nicht mehr tragbar". Er warnt aber vor einer "Vorverurteilung". Aus Erfahrung von "Attacken" gegen seine AfD habe er CSU und FW schon immer zugerufen: "Je linker die Gesellschaft wird, desto mehr werdet ihr als nächste dran sein."

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