Ärzte-Ausbildung:Gutachter sehen Medizincampus Niederbayern kritisch

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Die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen in Bayern wird zunehmend schwieriger. Auch deshalb soll in Niederbayern ein Medizincampus entstehen. (Foto: imago)

Wissenschaftsminister Bernd Sibler, die örtlichen Kliniken und viele Niederbayern wollen ihn unbedingt - externe Gutachter erkennen bei dem Konstrukt aber grundlegende Probleme.

Von Deniz Aykanat, Regensburg

Niederbayern ist der einzige bayerische Regierungsbezirk ohne medizinische Fakultät. Gleichzeitig ist die medizinische Versorgung in der Region gefährdet, warnt zum Beispiel der Präsident der bayerischen Ärztekammer, Gerald Quitterer, selbst Niederbayer. Die Zahl der Medizinstudierenden in Bayern steigt zwar. Nur praktizieren davon zu wenige später in Niederbayern - weil sich Medizinerinnen dort niederlassen, wo sie studiert haben, so die These.

Deshalb soll Niederbayern einen Medizincampus bekommen, ein kompliziertes Konstrukt, bei dem die Universität Passau entweder mit der Universität Regensburg oder mit der Technischen Universität München (TUM) kooperiert. In Regensburg oder München wären die Studierenden eingeschrieben, den klinischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren sie dann in Niederbayern. An mehreren niederbayerischen Kliniken würden pro Jahrgang etwa 100 Studierende ausgebildet. Als Standorte waren zunächst Deggendorf, Landshut, Passau und Straubing geplant. Dazu müssten dort Hörsäle und Seminarräume geschaffen und Professuren eingerichtet werden.

Wissenschaftsminister Bernd Sibler sagt: "Als Niederbayer ist es mir wichtig, dieses Projekt zum Erfolg zu führen." (Foto: Robert Haas)

TUM und Uni Regensburg haben im Frühling 2021 jeweils Konzepte beim Wissenschaftsministerium eingereicht. Diese wurden von externen Experten einer Universität außerhalb Bayerns begutachtet. Wissenschaftsminister Bernd Sibler hat sich seither nur vage dazu geäußert, wie das Fazit der Gutachter denn nun ausfiel.

In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse sprach er von "Nachholbedarf", den die Gutachter den Machbarkeitsstudien der TU München und Universität Regensburg beschieden hätten. Der SZ liegt die externe Begutachtung vor. Das Fazit der Gutachter klingt weniger nach bloßem "Nachholbedarf" als eher nach grundlegenden Problemen, die gegen einen Medizincampus in Niederbayern sprechen.

Es geht darum, die künftigen Ärzte in der Region zu halten

Das primäre Ziel des Medizincampus, eine Art "Klebeeffekt" zu erzeugen, der dazu führt, dass die Studierenden eine Bindung an die Region entwickeln und dann dort bleiben wollen, sehen die Gutachter nicht erfüllt. Solange die Lebensverhältnisse in Niederbayern "nicht als hinreichend attraktiv gesehen" würden, werde der Ansatz keine Früchte tragen. Die Lebensverhältnisse seien aber der wesentliche Entscheidungsfaktor für Wohn- und Arbeitsort. Die Gutachter schreiben etwa in ihrem Fazit zum Konzept der Uni Regensburg, es bestehe "kaum eine Chance auf eine nachhaltige Strukturförderung für die Region".

Wissenschaftsminister Bernd Sibler gibt sich im Gespräch mit der SZ weiter kämpferisch; als Dämpfer sieht er das Fazit der Gutachter nicht. "Wir sind gut damit beraten, uns Expertise von Außen einzuholen. Das ist völlig normal." Die Konzepte befinden sich gerade in einer zweiten Runde, die nachgebesserten Versionen werden vom Wissenschaftsministerium geprüft.

"Als Niederbayer ist es mir wichtig, dieses Projekt zum Erfolg zu führen", sagt Sibler. Und ein Erfolg wäre es, wenn sich mehr medizinischer Nachwuchs in Niederbayern niederlassen würde. Man muss also passende Bewerber auswählen und rekrutieren.

Die niedrigeren Lebenshaltungskosten gelten als Standortvorteil

Wie das ausgerechnet mit Rückkehrern aus Riga und Budapest funktionieren soll, wird im Gutachten etwa kritisiert. Der Niederbayern-Studiengang des TUM-Konzeptes etwa richtet sich an Studierende, die die Vorklinik schon an einer anderen Universität absolviert haben, vor allem im Ausland in Riga und Budapest. Viele deutsche Abiturienten, die nicht den nötigen Abi-Schnitt haben, wählen diesen Weg - wenn sie das nötige Geld dafür haben. Nach bestandener Vorklinik wollen die meisten wieder an eine deutsche Uni.

Einen Teil dieser Rückkehrer will die TUM für den Studiengang in Niederbayern gewinnen. Laut Gutachtern ist allerdings fraglich, ob diese offensichtlich "international sehr mobilen" Studierenden nach dem Studium ausgerechnet in Niederbayern bleiben. Ob die TUM an diesem Modell festhält, muss sich noch zeigen.

In Passau ist man zuversichtlich, was den "Klebeeffekt" angeht: "Dass Medizinstudenten sich entscheiden, auch ihre Facharztweiterbildung an Kliniken eines Medizincampus Niederbayern zu absolvieren und danach in der Region zu bleiben, halten wir für sehr wahrscheinlich. Hier macht sich auch jetzt schon bemerkbar, dass Regionen mit günstigeren Lebenshaltungs- und Wohnkosten als die Ballungszentren an Attraktivität gewinnen werden", sagt Matthias Wettstein, Ärztlicher Direktor des Klinikums Passau, das Teil des Campus sein soll.

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Minister Sibler favorisiert offenbar aber ohnehin eine andere Art der Rekrutierung: aus der Region für die Region quasi. Er verweist auf den Medizincampus Oberfranken, der vor Kurzem startete. "Dort beobachtet man, dass es viele Bewerber aus der Region gibt." Sibler geht davon aus, dass dies auch in Niederbayern der Fall sein wird und dass sich diese Studierenden anschließend dort niederlassen werden. "Aus heimatlicher Verbundenheit."

Den Verweis auf Oberfranken hört man oft, dabei gibt es große Unterschiede. Die Unis Erlangen-Nürnberg und Bayreuth kooperieren nur mit zwei Kliniken. Bei den vielen Akteuren in Niederbayern hingegen ist laut Gutachtern unklar, wer die Gesamtverantwortung haben wird. "Ich habe viele, viele Gespräche mit Kommunalpolitikern geführt, ich kenne die Protagonisten in den Landratsämtern und Rathäusern, in den Kliniken: Ich spüre eine hohe Bereitschaft, die Probleme konstruktiv zu lösen", sagt Sibler. "Das gibt Anlass zu Optimismus."

"Als Niederbayer bin ich ins Gelingen verliebt"

Oder Anlass für Begehrlichkeiten. In den überarbeiteten Konzepten soll laut Wettstein, dem Ärztlichen Direktor des Klinikums Passau, eine "Reduktion der beteiligten Standorte und Kliniken und eine stärkere Konzentration der zentralen Lehreinrichtungen vorgesehen" sein. Das dürfte so mancher Stadt nicht schmecken. In Landshut geht bei Kliniken und Lokalpolitik inzwischen die Sorge um, dass ausgerechnet die Bezirkshauptstadt als Standort gestrichen werden könnte.

Selbst bei einer Reduktion der Standorte bleibt aber ein weiteres Problem: die Versorgungsstufen der beteiligten Häuser. Auch hier hinkt der Vergleich mit dem Medizincampus Oberfranken. Dort kooperieren die Unis mit der Uniklinik in Erlangen und dem Klinikum in Bayreuth, ein Haus mit Versorgungsstufe III, also Maximalversorgung. Die Kliniken beim Medizincampus Niederbayern haben alle lediglich die Versorgungsstufe I oder höchstens II. Die externen Gutachter gaben auch deshalb zu bedenken, dass ein Medizinstudium zweiter Klasse geschaffen werde.

Und auch den Zeitplan - 2023 soll es schon losgehen - sehen die Gutachter kritisch. Im Oktober 2025 tritt eine neue Approbationsordnung für das Medizinstudium in Kraft. Vorklinik und Klinik sollen künftig viel stärker verzahnt werden. Das macht das Konstrukt Medizincampus noch komplizierter. Ob die Unis in Regensburg und München diese Probleme lösen konnten, wird derzeit im Wissenschaftsministerium geprüft.

Minister Sibler gibt aber schon mal die Marschroute vor: "Als Niederbayer bin ich ins Gelingen verliebt." Er erwarte noch im ersten Quartal des Jahres konkrete Ergebnisse, dann soll bald das Kabinett entscheiden. Eine erneute Prüfung durch Gutachter wird es nicht geben.

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