Gastronomie:Gourmetboom statt Wirtshaussterben

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Bayerns momentan einziger Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens (links) mit Senkrechtstarter Edip Sigl im Restaurant Es:senz im Resort Das Achental am Chiemsee bei ihrem "Four-Hands-Dinner". (Foto: Christopher Busch)

Der Trend geht in Bayern zum Schön-Essen-Gehen, die Zahl der Sterne-Restaurants wächst seit Jahren stetig. Nun wird die Gourmetbibel Guide Michelin wieder ihre Sterne verteilen - und das nicht nur in der Landeshauptstadt.

Von Franz Kotteder

Fast könnte man meinen, die bayerische Staatsregierung sei die letzte Bastion gegen die Dekadenz in Sachen Essen und Trinken. Gerade in Wahlkampfzeiten wird heftig polemisiert gegen jene, die angeblich Vorschriften für die tägliche Ernährung machen. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) scheinen sich derzeit einen regelrechten Wettbewerb zu liefern, wer die bodenständige Küche am energischsten verteidigt. Das läuft meist auf den alten bayerischen Lehrsatz hinaus, dass der Bayer Gemüse am liebsten dann isst, wenn es zuvor von der Sau gefressen wurde. Und schon vor einem Jahr verriet der Ministerpräsident der Passauer Neuen Presse: "Manchmal überrasche ich die höchsten Küchenchefs, indem ich nicht die edelste internationale Küche auswähle, sondern gern auf regionale und Hausmannskost setze."

Das ist insofern erstaunlich, als es doch gerade die bayerische Staatsregierung war, die 2016 eine eigene "Genussakademie" mit Sitz in Kulmbach gründete. Es werden dort Kurse angeboten für lernbegierige Kräfte vorwiegend aus der Gastronomie, die sich beispielsweise zum Sommelier für Wein, Bier und Käse fortbilden wollen. Der damalige Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU) hat die Genussakademie ins Leben gerufen, als Teil seiner "Premiumstrategie für Lebensmittel". Deren Qualität war ihm in seiner zehnjährigen Amtszeit ohnehin ein großes Anliegen. So hat er auch in Bayern das fortschrittlichste und strengste regionale Biosiegel aller Bundesländer eingeführt.

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Tatsächlich hat sich viel getan in Bayern, was die Kulinarik angeht. Das wird sich an diesem Dienstag wieder zeigen, wenn die Gourmetbibel Guide Michelin in Karlsruhe ihre deutschen Sterne für das Jahr 2023 verleihen wird. Insgesamt 82 waren es für Bayern im vergangenen Jahr. Zieht man einmal die 21 Sterne in der Landeshauptstadt ab, so bleiben mit einem Drei-Sterne-Restaurant und acht Zwei-Sternern immer noch 42 Lokale mit einem Stern über das gesamte Land verteilt. Vor fünf Jahren waren es bayernweit noch 16 Sterne weniger, und außerhalb Münchens nur halb so viele Zwei-Sterne-Restaurants. Auch wenn man die Einschätzungen eines Gourmetführers nicht allzu hoch bewerten sollte - es zeigt dann doch, dass sich einiges getan hat, was die Qualität der Spitzenküche angeht.

Anton Schmaus kocht im Storstad in Regensburg und ist nebenbei Teamkoch der Fußballnationalmannschaft. (Foto: Michael Krug)

Die ist keineswegs nurmehr auf den reichen Süden mit seinen idyllisch gelegenen Seen begrenzt, wo sich Menschen niederlassen, die sich mal eben so ein Abendessen für 150 oder 250 Euro (ohne Getränke, versteht sich) leisten können und wollen. Kulinarische Zentren sind inzwischen auch in Nürnberg und Regensburg entstanden. In der Frankenmetropole und Söders Heimatstadt gibt es mit dem Essigbrätlein (Chefkoch: Andree Köthe) und dem Etz (Küchenchef: Felix Schneider) bereits zwei Restaurants, die mit zwei Sternen bedacht sind. Daneben aber auch noch fünf weitere mit einem Stern. Und in Regensburg findet man mit dem Storstad von Anton Schmaus, der so nebenbei auch noch den publicityträchtigen Titel des Teamkochs der deutschen Fußballnationalmannschaft trägt, nicht nur ein Restaurant, das seit Jahren für seine hohe Qualität mit einem Stern ausgezeichnet wird. Es sind mit dem Aska und dem Roten Hahn inzwischen noch zwei weitere. Das setzt sich zum Teil auch auf dem flachen Land fort - wohin es leider nur ganz selten mal einen Michelin-Tester hin verschlägt, es sei denn, er erfährt zufällig von so einem besonderen Lokal.

Während also die einfachen Wirtshäuser zusperren müssen, weil von ein paar biertrinkenden Stammgästen und vom Schweinsbraten für durchreisende Fernfahrer und Vertreter keiner mehr leben kann, scheint das Schön-Essen-Gehen einen Boom zu erleben. Bayerns momentan einziger Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens vom Restaurant Überfahrt am Tegernsee in Rottach-Egern freut das natürlich. Er ist dieses Jahr wieder zur Michelin-Gala eingeladen, was darauf hindeutet, dass er zum zehnten Mal in Folge drei Sterne bekommen wird. "Es ist ganz wunderbar", sagt er, "dass wir hier in Bayern inzwischen so eine tolle Esskultur haben." Allein in Rottach-Egern gebe es zwei tolle Sterne-Kollegen, Alois Neuschmid mit seinem Restaurant Haubentaucher und Thomas Kellermann im Hotel Egerner Höfe. Der dürfte, nebenbei bemerkt, mit seinem komplett neu gestalteten Restaurant Dichter und seiner inzwischen sehr im Trend liegenden Fokussierung auf feine Gemüseküche ein heißer Kandidat für einen zweiten Stern sein.

Und natürlich freut es Jürgens, dass er viele ehemalige Kollegen in der bayerischen Sterne-Liga wiederfindet. Er nennt beispielsweise Cornelia Fischer, die in Volkach mit dem Restaurant Weinstock einen Stern hält, und Florian Vogel von Camers Schlossrestaurant im Schloss Hohenkammer bei Freising, ebenfalls ein Stern. "Ein tolles Gefühl, sich sagen zu können: Die haben alle schon mit dir am Herd gestanden", meint Jürgens.

Das kann er auch von Edip Sigl sagen, dem Senkrechtstarter vom Restaurant Es:senz im vor zwei Jahren neu eröffneten Golf-Resort Das Achental in Grassau am Chiemsee. Sigl bekam dort auf Anhieb zwei Sterne (hatte aber auch ein Jahr zuvor gerade zwei im Münchner Restaurant Les Deux erkocht). Vor knapp zwei Monaten trafen sich Jürgens und Sigl im Es:senz zum "Four-Hands-Dinner", richteten also zusammen ein gemeinsames Menü aus. Jürgens' Klassiker wie die mit Trüffelmousseline gefüllte "Kartoffelkiste" sind nach wie vor sensationell, und sein ironischer Umgang mit Effekten überrascht immer wieder - wenn er zum Beispiel als Dessert einen Guglhupf dekonstruiert. Der sei "leider nicht fertig geworden", serviert er ihn, die Gäste möchten ihn doch bitte selbst zusammenrühren. Es gibt dann einen Teller mit Nussbuttereis, Vanillequark und Rosinen, die perfekt aufeinander abgestimmt sind und trotzdem auf dem Teller entfernt an eine Backmischung erinnern. Edip Sigl kann da mithalten. Schon seine Amuse gueules mit der nach Speck duftenden Chiemseewolke, die an Zuckerwatte erinnert, oder die in Kirschform verpackte Entenleber namens "Mon Cherie" sind fantastische Küchenkunst. Ebenso seine Interpretationen regionaler Produkte wie der "Lachsforelle von der Thalhammer Mühle". Über kurz oder lang - die Michelin-Tester überstürzen da nichts - dürfte Sigl wohl in die Drei-Sterne-Liga aufrücken.

Beide, Christian Jürgens wie Edip Sigl, haben übrigens auch schon bei einer Legende der deutschen Gourmetküche gearbeitet, wenn auch nicht zur gleichen Zeit: Bei Heinz Winkler, dem Drei-Sterne-Koch, in seiner Residenz Heinz Winkler in Aschau am Chiemsee. Winkler ist im Oktober überraschend gestorben; sein Restaurant hatte da längst den dritten Stern verloren. Man kocht dort tapfer weiter, allzu rosig sind die Zukunftsaussichten freilich nicht. Winklers designierter Nachfolger Armin Karrer hatte die Residenz im Dezember 2022 nach kurzer Zeit mit dem Verweis auf "komplizierte Gegebenheiten" wieder verlassen, man könnte auch den Begriff "fluchtartig" verwenden.

Die Zukunft der bayerischen Gourmetküche scheint also woanders zu liegen.

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