Bayerischer Landtag:Der Redefluss der Einzelkämpfer

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Der Landtag dürfe nicht zum Ort für die "Verrohung der politischen Kultur" werden, sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner, als sie eine geplante Reform des Abgeordnetengesetzes vorstellte. (Symbolfoto) (Foto: Peter Kneffel/dpa)

So viele fraktionslose Abgeordnete wie in dieser Wahlperiode gab es seit Jahrzehnten nicht. Und sie dürfen alle im Plenarsaal ans Pult. Herrscht Änderungsbedarf?

Von Johann Osel

Fast ganz am Schluss kommt noch ein Einzelkämpfer ans Rednerpult. Neulich, letzte Landtagssitzung dieser Wahlperiode, die letzte Antragsberatung vor der Wahl - es geht um ein Lehrkräfte-Konzept der FDP. Der fraktionslose Abgeordnete Michael Busch - im Sommer 2022 aus der SPD ausgetreten - darf sprechen, nach ihm wird nur noch der Kultusminister dran sein. Er wolle ein paar Gedanken aus Sicht eines fraktionslosen Abgeordneten loswerden, sagt Busch. Und attestiert dem Parlament als Ganzes "respektloses Übereinander-Schimpfen", anstatt Lösungen für komplexe Themen zu finden. Als Fraktionsloser habe er nicht mehr Gründe suchen müssen, warum er einen Antrag taktisch ablehne, sondern warum er einer guten Idee zustimme; wie hier in seinen Augen von der FDP. Diese Art, Politik zu machen, bezeichnet Busch als "befreiend".

Für die Rede bekommt er sogar Zustimmung, ein Klatschen mit der Hand auf den Tisch, von Markus Söder. Wobei der Ministerpräsident damit womöglich auch die Person würdigen wollte, Busch war vor dem Einzug ins Maximilianeum 2018 zehn Jahre Coburger Landrat. Dem nächsten Landtag wird er nicht mehr angehören, wie die anderen Fraktionslosen auch. In dieser Wahlperiode gab es so viele davon wie seit vielen Jahrzehnten nicht: acht. Insgesamt waren es sogar zehn, ein fraktionsloser Ex-AfD-Politiker ist gestorben, sein Nachrücker wurde mit Verzögerung in der Fraktion aufgenommen. Diese hohe Zahl ist ein Phänomen einer ansonsten auch nicht gerade gewöhnlichen Wahlperiode.

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Außer Ex-SPD-Mann Busch sind das aus dem Lager der CSU Alfred Sauter, den seine Fraktion wegen üppiger Maskenprovisionen in der Pandemie schasste, sowie der im Zuge der Regensburger Korruptionsaffäre verurteilte Franz Rieger. Dazu kommen all die AfD-Leute, die wegen Kritik am Rechtsrutsch ihrer Truppe oder persönlichen Streits ausgetreten sind; darunter zwei einstige AfD-Fraktionschefs, Markus Plenk und Christian Klingen. Gab es in den ersten beiden Wahlperioden des Landtags bis Mitte der Fünfzigerjahre jeweils noch eine zweistellige Zahl an Fraktionslosen (die junge Parteienlandschaft musste sich erst finden), waren solche Abgeordneten seit den Sechzigerjahren reinste Exoten: oft gab sogar es keinen einzigen.

Was machen die eigentlich? Das wollte eine Bürgerin kürzlich bei einer Veranstaltung des Landtags in Rosenheim von Präsidentin Ilse Aigner (CSU) wissen. Tatsächlich ist der Plenarsaal die Bühne der Solitäre, sie entscheiden nicht regulär in Ausschüssen über Gesetzesentwürfe, tagen nicht in Arbeitskreisen oder Fraktionssitzungen. Ihr Rederecht bei Vollsitzungen nehmen die Besagten unterschiedlich stark wahr; manche Fraktionslose sind seltener anwesend, der Ex-AfD-Mann Ralph Müller ließ sich zwei Jahre gar nicht mehr blicken. Andere reden gerne und viel. Je nach Debatten-Format werden Fraktionslosen anderthalb bis zu vier Minuten eingeräumt, laut Beschluss des Ältestenrat zu Beginn der Wahlperiode. Häufig lässt sich im Plenum in den Fraktionsreihen Augenrollen beobachten, wenn gegen Ende eines Tagesordnungspunkts auch noch die Einzelmeinungen den Fortgang der Sitzung lähmen; erst recht bei vollgepackten Tagungen, die eh bis in die Nachtstunden dauern.

Den Eindruck hatte auch die Fragestellerin in Rosenheim, Aigner schien ihn zu teilen. "Mich stört's auch", sagte sie. So hätten einzelne Fraktionslose oft halb so viel Zeit wie die kleinste Fraktion, die FDP, für ihren Vertreter aller zwölf Mandate. Würden, ein Gedankenspiel, alle acht Fraktionslosen reden wollen, käme ihre Redezeit addiert in die Dimension der Regierungsfraktionen. Man habe schon über eine Reduzierung nachgedacht, sagte Aigner. Was wegen des freien Mandats aber eine schwierige Materie sei. Eine Sprecherin des Landtagsamts erklärt auf Nachfrage der SZ: Es gelte "einerseits das verfassungsrechtlich verbürgte Rederecht des Abgeordneten, andererseits aber auch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments" genau abzuwägen. Beides "Werte mit Verfassungsrang". Die Redezeit müsse lang genug sein, damit der Fraktionslose seine Position zum Beratungsgegenstand darlegen könne.

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Über all dem schwebt Thomas Wüppesahl. Ende der Achtziger hatte der aus der Grünen-Fraktion im Bundestag ausgeschlossene Politiker vor dem Bundesverfassungsgericht mehr Rechte erkämpft - bis heute die Richtschnur auch im Freistaat. Wüppesahl war dann übrigens dafür berüchtigt, alle Redespielräume auszureizen, bei einer Lesung zur Wiedervereinigung soll er im Alleingang gut 500 Änderungsanträge vorgelegt haben. So weit ist es in Bayern keineswegs gekommen. Allerdings dürften sich Ältestenrat und Präsidium im Herbst erneut der Frage annehmen; auch wenn der neue Landtag zunächst mit null Fraktionslosen starten wird.

Die kleinere, oft unbeachtete Bühne nutzten die jetzigen Fraktionslosen übrigens nicht - die Fachausschüsse, wo die eigentliche Sacharbeit stattfindet. Sie hätten Antrag auf beratende Mitgliedschaft ohne Stimmrecht stellen können. Laut Landtagsamt hat dies keiner getan.

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