Stromkonzerne:Totgesagte dampfen länger

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Tagebau Hambach von RWE: Braunkohle ist nicht nur ein klimaschädlicher Brennstoff, ihr Abbau greift auch massiv in die Landschaft ein. (Foto: Oliver Berg/picture alliance/dpa)

Auch ohne Embargo verändert teures Gas den Energiemarkt: RWE verstromte Anfang 2022 mehr Braunkohle als zuvor. Deutschlands letzte Atomkraftwerke profitieren ebenfalls.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Als RWE zum Jahreswechsel drei Braunkohle-Kraftwerksblöcke im Rheinland abgeschaltet hat, dankte der Konzern der Belegschaft für mehr als vier Jahrzehnte Stromerzeugung. Nach außen freilich war das Zeichen wichtig: Der Kohleausstieg geht weiter, die besonders klimaschädliche Braunkohle wird nach und nach ersetzt.

Doch in diesem Jahr verändern die deutlich höheren Gaspreise und erst recht der russische Angriff auf die Ukraine den Energiemarkt: Auch ohne ein Embargo auf Importe aus Russland verbrennen Stromerzeuger weniger Gas in ihren Kraftwerken. RWE beispielsweise produzierte in den ersten Monaten dieses Jahres 18 Prozent weniger Strom aus Gas als im Vorjahreszeitraum; das Unternehmen betreibt Gaskraftwerke vor allem in Großbritannien und Deutschland. Denn Gas dient ja noch immer als wichtigster Brennstoff in Deutschlands Heizungen, auch viele Industriezweige benötigen Gas als Rohstoff und Energieträger.

Im Gegenzug hat RWE im ersten Quartal zwei Prozent mehr Strom aus Braunkohle erzeugt als im Vorjahreszeitraum und das, obwohl Kraftwerksblöcke vom Netz gegangen sind. Die verbliebenen Meiler waren schlichtweg besser ausgelastet. Zwar müssen Kraftwerksbetreiber in der EU Emissionsrechte kaufen für die vielen Treibhausgase, die sie ausstoßen; das läppert sich gerade bei der Braunkohle. Andererseits ist Strom ebenfalls teurer geworden. Und Unternehmen wie RWE können CO₂-Zertifikate auch Jahre im Voraus kaufen.

Während das Comeback der Kohle aus Umweltgesichtspunkten ärgerlich ist, prüft die Bundesregierung derzeit eher pragmatisch, wie Deutschland möglichst schnell unabhängig von Gasimporten aus Russland werden kann. Sie erwägt unter anderem auch, ob Betreiber wie RWE Kohlekraftwerke länger in einer Bereitschaft halten oder später abschalten könnten als bislang geplant. "Die Entscheidung trifft jedoch einzig und allein die Politik", sagt RWE-Finanzvorstand Michael Müller. Sein Konzern stehe zum Kohleausstieg, den der Bund bislang spätestens für das Jahr 2038 beschlossen hat. Wenn die Regierung den Ausstieg auf 2030 vorziehen will, stehe RWE für Gespräche zur Verfügung.

Der Atom-Gewinn sei "unerwartet noch mal richtig fett", kommentiert ein großer Investor

Für Deutschlands größten Energieversorger Eon indes sind die hohen Preise zunächst eine Last. Das Unternehmen hat seine großen Gas- und Kohlekraftwerke vor einigen Jahren in die Firma Uniper ausgelagert und sich von ihr getrennt; Eon konzentriert sich seither auf Netze und Vertrieb. Nun muss der Konzern teure Energie einkaufen - und versuchen, eigene Tarife zu erhöhen. "Wir bei Eon sind nicht gefeit vor zumindest temporären Folgen für unser Geschäft", konstatiert Vorstandschef Leonhard Birnbaum. Das Unternehmen bereite sich auf alle denkbaren Szenarien vor. "Auch eine europäische, mögliche Gasmangel-Lage gehört dazu."

Allerdings betreibt Eon bis Ende dieses Jahres auch noch ein letztes Atomkraftwerk: Isar 2 nahe Landshut. Im ersten Quartal hat dieser eine Meiler allein fast so hohe Betriebsgewinne eingefahren wie die damals noch drei Kernkraftwerke von Eon im Vorjahreszeitraum. Der Konzern verweist auf höhere Marktpreise. Der Gewinn aus der Atomstromproduktion sei in diesem Jahr "unerwartet noch mal richtig fett", kommentiert Thomas Deser von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken.

Atomkraftwerke Isar 1 und Isar 2 von Eon: Deutschland vollzieht bis Ende dieses Jahres den Ausstieg aus der Kernenergie. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Doch auch wenn die letzten Atom- und Kohlekraftwerke Deutschlands in diesem Jahr noch mal kräftig dampfen, werden sie für das Zahlenwerk der beiden größten Energiekonzerne immer unbedeutender. So hat Eon Anfang dieses Jahres 90 Prozent der Betriebsgewinne mit Netzen und Vertrieb erwirtschaftet.

RWE wiederum erzeugt mehr und mehr Ökostrom auf der halben Welt: mit Solarparks in Australien, Wasserkraft in Deutschland oder Biomasse in den Niederlanden. Kürzlich hat das Unternehmen neue Windparks in Texas oder vor der Küste Englands in Betrieb genommen. "RWE wächst - und zwar ausschließlich in grünen Kerngeschäften", sagt Vorstandsmitglied Müller. So machten erneuerbare Energieträger im ersten Quartal etwa 30 Prozent der Erzeugungskapazitäten von RWE aus. Die Mehrheit der Betriebsgewinne des Konzerns tragen sie schon heute bei.

Allerdings bleiben europäische Sanktionen gegen Russland auch nicht folgenlos für RWE. Beispielsweise hat Großbritannien im März die russische Eisenbahn sanktioniert. Da RWE in Großbritannien tätig ist, dürfe man seitdem keine Kohle aus Russland mehr annehmen. In der Folge musste das Unternehmen den Wert eines Liefervertrags, der eigentlich noch bis zum Jahr 2025 gelaufen wäre, nun abschreiben. "Der Verlust summiert sich auf rund 850 Millionen Euro", konstatiert Müller. Doch RWE kann das verkraften, dank der Erneuerbaren - und der Kohle.

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