Automobilindustrie:VW und Daimler stellen die Produktion ein

Die Autokonzerne ächzen ohnehin schon unter Dieselskandal und Ausgaben für neue Elektroautos. Nun müssen sie wegen der Epidemie zusätzlich Fabriken schließen.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Stefan Mayr und Angelika Slavik

Auch gegen Mitte dieser Woche, in der sich so vieles so schnell verändert, kommt zwischendurch noch routiniert Alltägliches aus der Autoindustrie. Diese "Wir-machen-jetzt-einfach-mal-auf-Normalität"-Termine. Fiat Chrysler zum Beispiel lädt anlässlich der Premiere des Fiat Panda Hybrid und des 40. Geburtstags des Fiat Panda ein ins Motor Village Frankfurt. "Zwei Klassiker mit zukunftsweisenden Antrieben", so wirbt das Autounternehmen, könne man sich dort ansehen. Die Frage ist, ob jemand gerade die Muße hat, sich den Fiat Panda im Wandel der Zeit anzuschauen.

Ansonsten ist bei dem italienisch-amerikanischen Autohersteller gerade auch nicht mehr viel zu sehen. In den italienischen Fabriken soll zwei Wochen nicht gearbeitet werden. Natürlich geht es einerseits darum, dass das Leben in Italien ohnehin schon seit Tagen lahmgelegt ist. Aber wenn jetzt Autofabriken schließen, dann geht es nicht nur um Ansteckungswege. Es geht um eine grundsätzliche Frage: Wohin mit all den neu produzierten Autos, die momentan eh kein Mensch kauft? Wenn es gerade etwas gibt, das nicht mehr vordringlich ist im Leben der Menschen, dann ist das ein neuer Wagen. Die Freiheit des Autofahrens? Viele Menschen sind in diesen Tagen schon froh, wenn sie zum Einkaufen ihre Wohnung verlassen dürfen.

Und so schließt gerade ein Autobauer in Europa nach dem anderen die Werkstore - und wartet ab. Da ist die Opel-Konzernmutter Peugeot Citroën, die wegen der Corona-Pandemie in den kommenden Tagen 15 Autofabriken in Europa schließt, darunter die Opel-Standorte Rüsselsheim und Eisenach. Am Dienstag dann kündigt Europas größter Autohersteller eine Zwangspause an: Von diesem Freitag an soll in den meisten VW-Werken die Produktion gestoppt werden. Die "Sicherheit und Gesundheit" der Mitarbeiter sei nun das Wichtigste, sagte Volkswagen-Vorstandschef Herbert Diess. Es müsse alles getan werden, um die Ausbreitung des Virus jetzt zu verlangsamen. Ein Chef als Vorkämpfer für die Gesundheit seiner Leute? So einfach ist das nicht bei Volkswagen.

Denn auch wenn Diess bei der digital übertragenen Jahrespressekonferenz des Konzerns den entschlossenen Kämpfer gegen das Virus gab - aus dem Umfeld des Betriebsrats ist zu hören, es habe einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, um den VW-Boss von der Notwendigkeit eines Produktionsstopps zu überzeugen. Der habe lieber weiterproduzieren wollen, solange die Lieferketten bei VW noch intakt sind.

Und so sei der Entscheidung am frühen Dienstagmorgen ein hitziges Wortgefecht zwischen Vorstand und den in Wolfsburg traditionell sehr einflussreichen Arbeitnehmervertretern rund um den Betriebsratschef Bernd Osterloh vorangegangen. Wie kurzfristig der Entschluss gefallen ist, zeigt sich auch daran, dass noch nicht geklärt ist, wie VW den Stopp arbeitsrechtlich umsetzen will. Sollen die Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet werden, gilt die Unterbrechung als bezahlter Urlaub? Am Dienstagabend jedenfalls machte Osterloh kein Geheimnis daraus, dass "weitere offene Punkte" zwischen Betriebsrat und Konzernspitze erst geklärt werden müssten.

Nur so viel ist klar: Corona kostet. Und zwar viel. Auch wenn 2019 die Geschäfte noch gut liefen, die Folgen des Coronavirus stellen VW nun vor "ungekannte operative und finanzielle Herausforderungen". Welche Folgen die Schließung in Europa für VW konkret haben werde, lasse sich derzeit "nicht seriös beantworten", so VW. Im vergangenen Jahr hatte VW noch einen Rekordgewinn eingefahren; für 2020 hatte man sich wieder eine saftige Rendite vorgenommen. Jetzt fragt man sich natürlich, wo die herkommen soll.

Denn je länger das alles dauert, desto schlimmer wird es für die Industrie. Und desto mehr gefährdet es Diess' Prestigeprojekt. Das Elektroauto ID.3 soll eigentlich noch in diesem Sommer ausgeliefert werden. Der Zeitplan sei durch die Coronakrise nicht gefährdet, versicherte Diess. Vom ID.3 erhofft sich Volkswagen den Durchbruch der Elektromobilität im Massenmarkt. Aber was, wenn dieser Wagen irgendwann zwar beim Händler steht, neu, modern und elektrisch.

Aber die Zeiten eben nicht für einen Autokauf sprechen? Wer sich in der Branche umhört, bekommt dazu im Moment sehr unterschiedliche Dinge zu hören. Bei Porsche in Stuttgart standen am Dienstag zwar die Bänder still, aber nur für einen Tag. Das Unternehmen wollte es den Mitarbeitern am ersten landesweit schulfreien Tag erleichtern, die Kinderbetreuung zu organisieren. Am Mittwoch wird die Produktion wieder aufgenommen. Derzeit sei kein Stopp geplant, heißt es aus der Zentrale des Sportwagenbauers. In China hat Porsche im Februar 60 Prozent weniger Fahrzeuge verkauft als sonst. Damit stehen die Zuffenhausener aber immer noch besser da als viele andere, sagen sie. Zu den Auswirkungen des Virus auf den Absatz in Europa sagt Porsche nichts. Aber die Botschaft ist klar: Wir machen erst mal weiter, so lange es geht. Irgendwer wird die Wagen schon kaufen.

Die Nachbarn von Daimler in Stuttgart-Untertürkheim sind weniger optimistisch. Noch in dieser Woche wird ein Großteil der Produktion in Europa gestoppt - für zunächst zwei Wochen. Deshalb hat das Unternehmen auch europaweit eine zweiwöchige Betriebsruhe ausgerufen. Das heißt: Alle Mitarbeiter - bis auf wenige Ausnahmen, etwa bei Projekten kurz vor Produktionsanlauf - müssen jetzt Resturlaub und Überstunden abfeiern. Wenn beides aufgebraucht ist, müssen sie Urlaub nehmen. Und nach den zwei Wochen? Die nächste Eskalationsstufe wäre: Kurzarbeit. Zudem räumt Daimler ein, dass die Pause nicht nur eine Sicherheitsvorkehrung für das Personal ist. "Globale Lieferketten können vorübergehend nicht überall aufrechterhalten werden", teilt Daimler mit. Der Stopp solle das Unternehmen "auf vorübergehend niedrigere Nachfrage vorbereiten" und "die Finanzkraft sichern". Das klingt nach dunklen Wolken, während BMW noch auf Sonnenschein macht: "Die Werke laufen regulär", heißt es in München. Es gebe keine Auswirkungen auf die Lieferketten. Bloß keine Schwäche zeigen, nicht jetzt! Die Frage, ob deutsche BMW-Werke geschlossen würden, blieb auch auf mehrmalige Nachfrage unbeantwortet. Ja? Nein? Vielleicht? Mal sehen? Bei den Mitarbeitern kommt so etwas gar nicht gut an. Es gebe keine detaillierte Kommunikation von oben, jede Abteilung mache ihre eigene Krisenstrategie, heißt es. Vor zwei Wochen hatte BMW als eines der ersten deutschen Unternehmen einen vom Virus betroffenen Mitarbeiter im Forschungszentrum. Damals wurde massiv reagiert. Es rückten Desinfektionsteams an, einige Dutzend Mitarbeiter wurden nach Haus geschickt. Der Laden muss ja weiter laufen. Am Dienstagmittag dann sickerten erste Gerüchte durch. BMW-Werke könnten bis nach Ostern geschlossen werden. Denn, so ein Insider: Man könne sich der Lage jetzt natürlich nicht entziehen. Es wäre schon seltsam. Überall sperren sie zu. Nur in München, wo der Katastrophenfall ausgerufen ist, schraubt man munter weiter an seinen Limousinen? So sieht er also aus, der deutsche Auto-Föderalismus. Verstehen muss man das alles nicht unbedingt. Zumindest bei Audi in Ingolstadt sind sie einen Schritt weiter. Die VW-Tochter stellt die Produktion in ihren europäischen Werken und in Mexiko zum Ende der Woche ein. Wegen der "deutlich verschlechterten Absatzlage und der sich abzeichnenden Unsicherheit der Teileversorgung der Werke", so die Begründung. Am Nachmittag zieht auch Ford nach. Von Donnerstag an stoppe man die Produktion in Kontinentaleuropa und damit auch in Köln und Saarlouis, voraussichtlich für mehrere Wochen.

Was heißt das alles für eine Branche, die auch ohne Corona schon genügend Probleme hat? Nachfragerückgang, die Folgen des Dieselskandals, immer strengere CO₂-Grenzwerte, der teure Übergang ins Elektroauto-Zeitalter - eigentlich reicht das alles schon aus, um die Krise zu kriegen.

Und jetzt auch noch Corona. Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, spricht von einem dieser "seltenen Ereignisse, die die Branche total verändern". Es sei die Frage, ob Europa oder auch die USA ein "China-Szenario" erleben, also eine Beruhigung innerhalb von einigen Wochen. Dann könnte sich die Branche im Mai insgesamt wieder in Richtung Normalität bewegen - bei der Produktion wie auch beim Verkauf. Für Europa rechnet Bratzel dann mit einem Umsatzminus von mehr als 20 Prozent und im Idealfall mit einer "schwarzen Null" statt Milliardengewinnen. Die Frage sei ja, ob Kunden dann gleich wieder in die Autohäuser gehen: "Wenn hohe Unsicherheit besteht, geht die Nachfrage nach teuren Gütern stark zurück." Vielleicht könnten die Premiumhersteller schneller aus der Krise kommen, weil sie weniger Wagen absetzen müssen, um ihr Geld zu verdienen. Sie haben eine kaufkräftigere Kundschaft als Fiat oder Renault oder VW. Firmen aber, die sowieso schon in der Bredouille stecken, kämen insgesamt in eine noch schwierigere Lage. Renault und Fiat Chrysler zum Beispiel, sagt Bratzel. Die Corona-Pandemie wird in Westeuropa nach Einschätzung des Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer zu massiven Einbrüchen beim Autoabsatz führen. Vor allem in Italien, aber auch auf den anderen Hauptmärkten wie Deutschland, Frankreich und Spanien.

Vielleicht ist es doch die Zeit, sich alte und neue Pandas in Frankfurt anzuschauen. Viel mehr passiert gerade eh nicht.

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