Wettskandal im italienischen Fußball:Tonali und die Flucht nach vorne

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Sandro Tonali (rechts) wettete sogar auf Spiele von Vereinen, für die er selbst aktiv war - allerdings, so beteuert er, nur auf Siege. (Foto: Owen Humphreys/AP)

Italiens Verband will Sandro Tonali von Dortmunds Champions-League-Gegner Newcastle für mehrere Monate sperren. Die Strafe wirkt angesichts seiner Wetten mild - überhaupt stehen sich in der Affäre zwei Denkschulen gegenüber.

Von Oliver Meiler

Gerade war der Fußballer Sandro Tonali noch ein Wunderkind, geküsst von der Fortüne aller Götter, rundum bejubelt, Hoffnungsträger der Azzurri - ach was: die Garantie für baldige Glorie. Mit 23 Jahren. Den saudischen Besitzern von Newcastle United war der Norditaliener im Sommer 70 Millionen Euro plus Bonus wert, gerundet: 80 Millionen. In Italien nennt man ihn seither "Mister 80 milioni". Und wenn man die Berichte aus dem Norden Englands richtig deutet, dann brauchte Tonali nur ein paar Spiele, um sich auch dort in die Herzen der Fans zu spielen, wie davor schon bei der AC Milan, seinem Herzensverein, wo man eigentlich in einer romantischen Anwandlung gedacht hatte, er würde den Farben für ewig treu bleiben. Doch wer mag schon lamentieren bei 80 Millionen?

Nun ist alles anders. Nach einer schnellen Sequenz von Ereignissen steht Tonali bereits vor seinem ganz persönlichen Saisonende. Nicht wegen einer Verletzung, wie das im Sport vorkommt. Sondern wegen illegaler Wetten auf jenen Sport, in dem er selbst aktiv ist.

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Der italienische Fußballverband schickt sich an, den Mittelfeldspieler für zehn oder zwölf Monate zu sperren: Er hat regelwidrig auf Fußballspiele gesetzt. Eigentlich gilt bei dem Verstoß eine viel höhere Strafe: nämlich "mindestens drei Jahre Sperre", so steht es im Reglement. Doch Tonali hat sich selbst angezeigt, kaum hatte ihn die Polizei über Ermittlungen der Turiner Staatsanwaltschaft informiert. So konnte er seine Position markant verbessern, mit einer Flucht nach vorne also. Leugnen hätte ohnehin nichts gebracht, die Indizien waren in seinem Fall offenbar besonders erdrückend. Tonali gestand seine Spielsucht ein, von der er sich heilen wolle. Und er erzählte den Ermittlern von der Praxis auf diesen illegalen Plattformen.

Auf eine Ehrenrunde von Tonali folgt Sarkasmus in Italien: Er läuft dabei an Werbung von Wettbüros vorbei

Die Zusammenarbeit mit der Sportjustiz gereicht ihm jetzt zu diesem milden Vergleich. An die Strafe ist die Verpflichtung gebunden, während einiger Monate in Schulen aufzutreten und junge Menschen vor den Risiken der Wettsucht zu warnen. Mild nimmt sich die Sperre auch deshalb aus, weil Tonali im Gegensatz zu Nicolò Fagioli von Juventus Turin, der eine Sperre von sieben Monaten aushandeln konnte, auf Spiele jener Vereine gewettet hat, für die er selbst aktiv war: auf Brescia und Milan. Allerdings, so beteuerte er es vor den Ermittlern, wettete er nur auf Siege seiner Vereine. Das bewahrt ihn vor dem noch viel gravierenderen Vorwurf, er habe womöglich Sportbetrug begangen.

Wie ist ein Fußballprofi wie Sandro Tonali zu betrachten? Sind es einfältige Schnösel, die ihr Schicksal verspielt haben? Oder ist die Empörung darüber bigott, weil das Wetten in Italien ohnehin weitverbreitet ist? (Foto: Lee Smith/Action Images via Reuters)

Doch die Saison seines hoffnungsfrohen internationalen Durchbruchs ist nun vorbei. Denn eine solche Sperre gilt europaweit, gegenfirmiert vom europäischen Fußballverband Uefa. Sie weitet sich auch auf die Premier League aus, auf die Champions League, und, sollte das für Italien überhaupt ein Thema werden: auf die Europameisterschaft in Deutschland. Weil Newcastle an diesem Mittwoch in der Königsklasse Borussia Dortmund empfängt, wollte man in Italien möglichst vor Spielbeginn den erzielten Deal präsentieren und so verhindern, dass die Engländer Tonali noch einmal einsetzen. Theoretisch wäre das möglich: Solange die Uefa die Sperre nicht übertragen hat, ist er spielberechtigt. Doch da es in dem Verfahren nur noch um Einzelheiten geht, wäre sein Einsatz eine unziemliche Forcierung.

Tonali wurde am Wochenende im Spiel Newcastles gegen Crystal Palace noch eine Sympathiebekundung der Anhänger gewährt: Er wurde in der 69. Minute eingewechselt, unter Applaus. Am Ende durfte er sogar noch eine Ehrenrunde drehen, ein kleiner Abschied. In Italien gab es darauf sarkastische Kommentare, weil er bei seiner Runde vor Werbetafeln von Wettbüros passierte. Überhaupt sind die Gemüter in dieser Affäre stark gespalten. Es stehen sich zwei Denkschulen gegenüber: Die, die finden, diese reichen, jungen Fußballer seien einfältige Schnösel, wenn sie sich ihres Glücks nicht gewahr seien und ihr Schicksal verspielten; und jene, die sagen, Wetten seien in Italien weitverbreitet, es sei deshalb nur bigott, wenn man nun wieder empört sei, dass auch die Fußballer wetteten.

Laut ist die Kontroverse auch um jene schillernde Figur, mit der dieser neue Wettskandal an die Öffentlichkeit geraten ist. Fabrizio Corona, früher Besitzer einer Agentur für Paparazzi und seit seiner Haftentlassung Betreiber des Onlineportals Dillingernews, sieht sich mit zwei Verleumdungsklagen konfrontiert: Stephan El Shaarawy von der AS Roma und Nicolò Casale von Lazio haben Corona angezeigt, weil der sie in seinem langen Reigen von Verlautbarungen des illegalen Wettens bezichtigt hatte - ohne Belege. Die zwei Namen stehen nicht auf der Liste der Verdächtigten.

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