Wirtschaftskrieg:Wieso ein Öl-Embargo so schwierig ist

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beklagt Kriegsverbrechen und kündigt Einschränkungen für Ölimporte an. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Kommissionspräsidentin von der Leyen verspricht dem EU-Parlament, gegen Russlands Ölexporte vorzugehen. Aber viele Regierungen sind skeptisch. Zumal die EU selbst den Stopp von Kohleimporten nicht sofort umsetzen kann.

Von Björn Finke, Straßburg

Nach dem Wort "Kriegsverbrechen" erhält Ursula von der Leyen das erste Mal Beifall im irritierend schwach besetzten Plenarsaal des Europaparlaments. Die Kommissionspräsidentin trägt am Revers eine Schleife im Blau-Gelb der Ukraine, während sie in Straßburg über "die grauenvollen Bilder" aus Butscha spricht und darüber, wie die EU nun den Druck auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin erhöhen will. Die Rede bei der Plenardebatte am Mittwoch wird noch einmal von Applaus unterbrochen, wenn auch sehr zaghaftem, als die Deutsche ankündigt, dass das am Dienstag präsentierte fünfte Sanktionspaket "nicht unser letztes" sein werde.

Ihre Behörde schlug unter anderem vor, Geschäfte mit vier weiteren russischen Banken komplett zu verbieten und Importe russischer Kohle zu stoppen. Daneben sollen die Vermögen weiterer Oligarchen in der EU eingefroren werden. Nach Angaben von EU-Diplomaten gehört dazu auch Oleg Deripaska, ein Milliardär mit vielen Beziehungen nach Österreich und Deutschland. Mit dem Paket beschäftigten sich am Mittwoch die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in Brüssel. Es wurde erwartet, dass die Diplomaten am Donnerstag erneut über den Details brüten werden. Danach müssen die Hauptstädte rasch ihre Zustimmung erteilen, in einem schriftlichen Verfahren. Gelingt das, könnten die Gesetzestexte noch am Abend im Amtsblatt der Europäischen Union erscheinen und somit in Kraft treten.

Milliardär Oleg Deripaska
:EU bereitet Sanktionen gegen weitere Oligarchen vor

Bislang wurde Oleg Deripaska verschont. Doch nun soll der Milliardär, der über Ecken an Stuttgart 21 mitverdient hat, auf der neuesten EU-Sanktionsliste stehen - auch wenn er selbst so tut, als habe er mit Putin wenig zu schaffen.

Von Björn Finke, Brüssel, Klaus Ott und Nils Wischmeyer

Von der Leyen macht in Straßburg aber klar, dass zusätzliche Sanktionen kommen werden, um die Einnahmen des Kreml aus dem wichtigen Energiegeschäft zu schmälern. Nach dem Kohleembargo "müssen wir uns nun Öl anschauen", sagt die Kommissionschefin. Sie greift zudem einen Vorschlag der estnischen Regierung auf, wonach EU-Energieimporteure Russland nur einen Teil der fälligen Rechnungen zahlen sollten; die restliche Summe soll auf ein Treuhänderkonto fließen und erst freigegeben werden, wenn Moskau den Krieg beendet und die Sanktionen aufgehoben werden. Dies sei ein Beispiel für mögliche Maßnahmen, um die Geldflüsse aus Europa nach Russland zu verringern: "Damit muss Schluss sein", verlangt die CDU-Politikerin.

Um welch riesige Beträge es geht, rechnet ihr Außenbeauftragter Josep Borrell in der Parlamentsdebatte vor. Seit Kriegsbeginn hätten EU-Staaten 35 Milliarden Euro für Energieimporte nach Russland überwiesen, sagt der Spanier. Allerdings ist ein schneller Verzicht auf russische Energie schwierig für viele Mitgliedstaaten, nicht zuletzt Deutschland. Gas ist am mühsamsten zu ersetzen, doch selbst das Kohleembargo kann nicht sofort in Kraft treten. Der Gesetzentwurf, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, soll Einfuhren noch bis Anfang Juli erlauben, sofern die entsprechenden Verträge vor Verabschiedung der Strafmaßnahme unterzeichnet wurden.

Frankreich fürchtet hohe Spritpreise

Die Bundesregierung will Deutschland ohnehin bis Spätsommer komplett unabhängig von russischer Kohle machen. Insofern sollte der Embargostart im Juli keine allzu großen Probleme bereiten. Nach Angaben von der Leyens wird das Importverbot Russland vier Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr kosten. Aber Gas und vor allem Ölprodukte stehen für ein Vielfaches dieses Werts. EU-Ratspräsident Charles Michel erntet daher kräftigen Applaus im Europaparlament, als er sagt, dass "Maßnahmen beim Öl und sogar Gas früher oder später auch gebraucht werden". Mit der Erwähnung von Gas geht er weiter als von der Leyen, die in ihrer Plenarrede ja nur Öl als nächstes Sanktionsziel ausgibt.

Allerdings ist für solche Strafen die Zustimmung aller 27 EU-Staaten notwendig. Und das wird schon beim Öl sehr schwierig. So ist Deutschland nach Einschätzung der Bundesregierung erst zum Jahresende in der Lage, russische Ölimporte komplett aus anderen Quellen zu ersetzen.

Außerdem würde ein Verbot von Einfuhren sofort die Spritpreise an den Tankstellen hochtreiben. Diese Aussicht beunruhigt einige Regierungen. Beim EU-Finanzministertreffen in Luxemburg diese Woche habe zum Beispiel Frankreichs Vertreter Bruno Le Maire vor diesem Risiko gewarnt, sagen EU-Diplomaten. Und das, obwohl sein Chef, der wahlkämpfende Präsident Emmanuel Macron, solch einen Schritt öffentlich unterstützt hat. Schärfster Gegner derartiger Embargos ist aber wohl Ungarns autoritärer Ministerpräsident Viktor Orbán. Der gerade wiedergewählte Politiker nannte Beschränkungen für Öl und Gas am Mittwoch in Budapest "eine rote Linie" für seine Regierung.

"Beschämt wegen der Ohnmacht" Europas

Trotz solcher Hindernisse spricht sich das Europaparlament in einem Forderungskatalog für ein sofortiges Embargo auf russisches Öl und Uran aus. Die Abgeordneten werden über die Entschließung an diesem Donnerstag abstimmen, eine breite Mehrheit gilt als sicher. Darauf weist schon die Debatte mit von der Leyen und Michel am Mittwoch hin. Dort werben die großen Fraktionen für ein rasches Verbot von Ölimporten. Einer der wenigen Kritiker ist der AfD-Abgeordnete Nicolaus Fest, der einen Bann von Öl- und Gaseinfuhren "wirtschaftlichen Suizid" nennt.

Der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion, verlangt dagegen ein Ende der Öllieferungen; angesichts der russischen Kriegsverbrechen fühle er sich "ein bisschen beschämt wegen der Ohnmacht", dass Europa dies nicht habe verhindern können. Zugleich wächst bei den Christdemokraten aber die Sorge, dass Sanktionen, hohe Energiepreise und Lieferketten-Probleme die Wirtschaft in die Krise stürzen. Um Unternehmen Erleichterung zu verschaffen, schlägt die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament daher jetzt ein sogenanntes Bürokratiemoratorium vor.

In einem fünfseitigen Papier, das der SZ vorliegt, rufen die Abgeordneten Kommission und Parlament dazu auf, Gesetze zu verschieben oder abzumildern, wenn die Rechtsakte neue Einschränkungen und Kosten oder mehr Bürokratie bedeuten. Im Blickpunkt stehen vor allem Regeln zum Klima- und Umweltschutz. "Die Kommission sollte nun einmal auf die Bremse treten", sagt der Initiator und CSU-Abgeordnete Markus Ferber.

Von der Leyen wird die Kritik von Parteifreunden nicht gerne hören. Bei ihrer Rede im Parlament ist dies jedoch kein Thema. Solche Auftritte beendet sie häufig mit einem pathetischen "Es lebe Europa", manchmal gleich in mehreren Sprachen vorgetragen. Am Mittwoch fügt die Deutsche diesem Ausruf einen zweiten hinzu: "Slava Ukraini", hoch lebe die Ukraine.

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