Folgen des Überfalls:Die heikle Frage nach dem Embargo

Folgen des Überfalls: Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen - vor allem Frauen und Kinder. Der EU-Gipfel diskutiert auch über Hilfen für Aufnahmeländer.

Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen - vor allem Frauen und Kinder. Der EU-Gipfel diskutiert auch über Hilfen für Aufnahmeländer.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU stehen schwierige Themen auf der Tagesordnung: Strafen für Russland und Wege, die hohen Energiepreise zu senken. Immerhin versprechen die USA, mehr Fracking-Erdgas zu liefern.

Von Björn Finke, Brüssel

Dieser EU-Gipfel ist etwas Besonderes, und das zeigt sich auch auf den abgesperrten Straßen vor dem Brüsseler Ratsgebäude. Dort parkt am Donnerstagabend eine beeindruckende Kolonne schwarzer Autos: der Konvoi von Joe Biden. Er ist der erste US-Präsident, der an einem Spitzentreffen der EU physisch teilnimmt. Wobei Biden nicht den kompletten Abend bleibt; er kommt später und geht früher. Nach seinem Abschied redet der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij per Videoschaltung zu den versammelten 27 Staats- und Regierungschefs.

Das Treffen ist der dritte Brüsseler Gipfel an diesem Tag, nach der Nato- und der G-7-Konferenz. Der EU-Gipfel wird aber deutlich länger dauern als die anderen beiden Veranstaltungen, denn er begann Donnerstagnachmittag und geht am Freitag weiter. Bei allen drei Gipfeln steht der Krieg in der Ukraine im Zentrum. Doch beim EU-Treffen wird es schärfere Kontroversen geben als bei den anderen Konferenzen - etwa zur Frage eines Öl- und Gasembargos gegen Russland oder zu Ansätzen, wie Regierungen die hohen Energiepreise schnell senken können.

Was der ukrainische Präsident Selenskij sagte, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Vor dem Treffen wurde erwartet, dass er von den EU-Staats- und Regierungschefs härtere Sanktionen gegen Russland fordern wird. Die USA verkündeten tatsächlich am Donnerstag neue Einschränkungen für Hunderte Abgeordnete des russischen Parlaments. Die EU hatte das schon früher gemacht. Zudem wollen die westlichen Verbündeten der russischen Zentralbank Goldgeschäfte verbieten. Mehr kommt wohl erst einmal nicht: In einem Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen, welcher der SZ vorliegt, heißt es lediglich, dass die EU "weiter bereitsteht, schnell zusätzliche abgestimmte Sanktionen zu verhängen". Allerdings geloben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Biden in einer gemeinsamen Erklärung, dass die EU und die USA zusammen schärfer gegen Schlupflöcher bei den bestehenden Sanktionen vorgehen wollen.

Wichtig ist hier die Rolle Chinas: Die USA und die EU wollen verhindern, dass Peking Russland beim Umgehen der Wirtschaftssanktionen hilft. Biden möchte bei seinem Brüssel-Besuch die Antwort des Westens auf diese Gefahr abstimmen. Praktischerweise findet Ende kommender Woche ohnehin ein EU-China-Gipfel statt, bei dem sich von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel mit der Führung in Peking austauschen. Im Entwurf der Schlussfolgerungen des EU-Gipfels mahnt die Europäische Union "alle Staaten, sich an diese Sanktionen zu halten". Versuche müssten gestoppt werden, die Einschränkungen zu umgehen oder Russland anderweitig zu unterstützen.

Scholz warnt vor einem Gasembargo

Einige osteuropäische EU-Regierungen verlangen zudem, die Sanktionen stark auszuweiten: durch ein Embargo auf Öl- und Gas-Exporte. Die Forderung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, solche Lieferungen künftig in Rubel zu begleichen, hat diese Debatte noch befeuert. Regierungen wie die deutsche, deren Wirtschaft stark auf russische Einfuhren angewiesen ist, lehnen so ein Einkaufsverbot jedoch ab. Bundeskanzler Olaf Scholz warnte jüngst erst im Bundestag, dann wären "Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr".

Die estnische Premierministerin Kaja Kallas wollte bei der Debatte am späten Donnerstagabend einen Kompromiss vorschlagen: Wenn sich die EU schon nicht auf ein Embargo verständigen kann, solle Brüssel zumindest die Einnahmen für Russland senken. Der SZ liegt ein Konzeptpapier von Kallas' Regierung vor. Demzufolge sollen sich die EU-Staaten als wichtige Abnehmer einigen, russischen Energielieferanten künftig nur einen Teil der geschuldeten Beträge zu überweisen. Der Rest soll auf ein Sperrkonto gehen und erst freigegeben werden, wenn Putin seine Armeen abgezogen hat. Oder die Milliarden könnten in einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine fließen. Kallas schätzt, dass die Energiekonzerne trotz der niedrigeren Zahlungen weiter liefern würden - mangels besserer Alternativen. Andere Staats- und Regierungschefs dürften sich bei dem Austausch darüber weniger zuversichtlich äußern.

In jedem Fall will die EU jedoch einen Solidaritätsfonds für die Ukraine aufsetzen, der dem Land während des Kriegs und danach hilft. Die Vorbereitungen dafür sollten unverzüglich starten, heißt es im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen. Zudem müsse eine internationale Geberkonferenz ausgerichtet werden. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollten ebenso über weitere Finanzhilfen für Länder wie Polen diskutieren, die bislang den Großteil der Flüchtlinge aufnehmen. Die Regierung in Warschau wünscht sich mehr Unterstützung; in den Beschlüssen wird die Kommission gebeten, zusätzliche, rasch einsatzfähige Hilfsprogramme zu entwerfen.

Die USA wollen mehr Fracking-Gas liefern

Am Freitag soll es dann unter anderem mit einer Debatte über die hohen Energiepreise weitergehen. Einige Regierungen, etwa aus Spanien, Italien, Portugal und Belgien, würden gerne ändern, wie sich in der EU der Strompreis bildet, oder gleich Obergrenzen setzen. Andere, zum Beispiel die niederländische und die deutsche Regierung, raten von heftigen Markteingriffen ab. Die Kommission schlug zudem in dieser Woche vor, dass interessierte Mitgliedstaaten künftig gemeinsam Gas ordern sollten - ganz ähnlich, wie die EU zusammen Covid-Vakzin bestellt hat. Aus der Bundesregierung heißt es aber bereits warnend, solch ein Modell würde nichts gegen das knappe Angebot bewirken.

Immerhin werden von der Leyen und Biden bei einem Auftritt am Freitag "ein neues Kapitel in unserer Energiepartnerschaft präsentieren", wie die Deutsche vorab ankündigte. Konkret geht es um langfristige Lieferzusagen der Amerikaner für Flüssigerdgas, das mit Tankschiffen transportiert wird und die Abhängigkeit Europas von russischem Gas senken soll. Bidens Regierung will dafür die heimische Gasförderung mit der umstrittenen Fracking-Technik weiter ausbauen.

Zur SZ-Startseite
Erneuerbare Energien: Windräder in Sachsen-Anhalt

MeinungEnergiepolitik
:Die Debatten, die Deutschland in Energiefragen führt, sind absurd

Jahrelang wurden erneuerbare Energien verächtlich gemacht, besonders aus der konservativen Politik. Habecks Ministerium hat alle Hände voll zu tun, um die Sünden der Vergangenheit aufzuräumen - und die Zeit drängt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: