Weimarer Dreieck:Tiefe Risse

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Bundeskanzler Olaf Scholz empfing am Freitag Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Ministerpräsident Donald Tusk (von rechts). (Foto: Fabian Bimmer/REUTERS)

Weder in Europa noch in der deutschen Bundesregierung herrscht Einigkeit darüber, wie die Ukraine künftig zu unterstützen sei. Dort spitzt sich die militärische Lage weiter zu.

Von Daniel Brössler, Berlin

Für den französischen Präsidenten kann es in der zentralen Frage, die den Kontinent derzeit bewegt, keinen Zweifel geben. "Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, wird die europäische Glaubwürdigkeit auf null reduziert", warnte Emmanuel Macron in einem Interview mit dem französischen Fernsehen über seinen Blick auf die Lage im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Da gebe es "vollständigen Konsens" mit US-Präsident Joe Biden und dem deutschen Kanzler. Seine Einigkeit mit Olaf Scholz betonte vor Ausstrahlung dieses Interviews am Donnerstag im Bundestag allerdings auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Seine Fraktion verschaffe dem Bundeskanzler den Raum für seine "besonnenen Entscheidungen". Die beiden Wortmeldungen illustrieren die Lage des Kanzlers. Auf Linie sowohl von Macron als auch von Mützenich zu sein, ist nicht nur unwahrscheinlich. Es ist unmöglich.

Gewissermaßen idealtypisch stehen Mützenich und Macron für die mittlerweile extrem divergierenden Erwartungen, die sich innen- wie außenpolitisch in Sachen Ukraine an den Bundeskanzler richten. Im Bundestag stellte Mützenich die Frage: "Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?" Was er von solchen Fragestellungen hält, hat Macron im französischen Fernsehen mehr als deutlich gemacht: "Wenn wir ihm naiv sagen, wir gehen nicht weiter als bis hierhin oder dahin, dann entscheiden wir uns nicht für den Frieden, sondern für die Niederlage." Macron erneuerte seine Forderung, die Entsendung von Bodentruppen nicht auszuschließen. Dem hat Scholz mehrfach entschieden widersprochen.

Auf kaum noch zu entwirrende Weise vermischen sich in den Streitigkeiten über die richtige Ukraine-Strategie für Scholz somit zwei große Fragen: die nach dem Zusammenhalt Europas und die nach dem Zusammenhalt der Koalition. Das prägte am Freitag auch die Erwartungen an eine ungewöhnliche Zusammenkunft im Kanzleramt. Am Mittag empfing Scholz Macron zu einem klärenden Gespräch, nachdem beide über Tage auf offener europäischer Bühne ihren Dissens ausgetragen hatten. Nach zwei Stunden stieß der polnische Ministerpräsident Donald Tusk dazu. Dem Trio ging es darum, das Weimarer Dreieck wiederzubeleben. Das Format war in den Neunzigerjahren ersonnen worden, um die europäische Integration voranzutreiben. Nun dient es womöglich auch dazu, Brücken zwischen Macron und Scholz zu schlagen.

In einem Punkt ist man sich einig in Europa: Die Lage der Ukraine wird schwieriger

In einer Hinsicht herrscht tatsächlich Einigkeit: In den europäischen Hauptstädten wird die militärische Lage in der Ukraine als äußert prekär eingeschätzt - die Gefahr eines größeren russischen Durchbruchs gilt als real. Scholz hat darauf schon vor Monaten mit dem Appell an die europäischen Verbündeten reagiert, ihre Hilfe für die Ukraine drastisch nach oben zu schrauben. Dabei verwies er darauf, dass Deutschland mit geleisteter oder zugesagter Waffenhilfe in Höhe von 28 Milliarden Euro zweitgrößter Unterstützer nach den USA sei. Nach einem Telefonat mit Scholz dankte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstag noch einmal für die "vielfältige" Unterstützung. Zumindest öffentlich kommuniziert Selenskij keinen Unmut über das Nein des Kanzlers zur Lieferung des Marschflugkörpers Taurus.

Umso deutlicher zeigt sich allerdings der tiefe Riss in der Koalition. Zwar ist die Union am Donnerstag mit dem Versuch gescheitert, ein Votum für die Taurus -Lieferung durchzusetzen, doch die vorangegangene Debatte wirkt in der Ampel nach. Alle Redner von FDP und Grünen hatten sich mehr oder weniger deutlich von der Position des Kanzlers distanziert, während Mützenich den Scholz-Kritikern "eigennützige und niedere politische Beweggründe" unterstellte. Mit der Forderung, über ein "Einfrieren" des Konflikts nachzudenken, entfernte er sich allerdings selbst von der Linie des Kanzlers, der immer vor einem "Diktatfrieden" zu den Konditionen Russlands gewarnt hatte. Immer klarer zeigt sich, dass die SPD sich und den Kanzler in den kommenden Wahlkämpfen als Garanten dafür präsentieren will, dass Deutschland nicht in den Krieg gezogen wird. Allerdings könnte genau dadurch Scholz auch in den Verdacht geraten, sich von innenpolitischen Motiven leiten zu lassen - sowohl in der Taurus-Diskussion als auch in seiner entschiedenen Ablehnung von Macrons Gedankenspielen zu Bodentruppen.

Im Anschluss an ihr Treffen bemühten sich Kanzler, Präsident und Ministerpräsident allerdings, alle "bösen Gerüchte über Meinungsunterschiede", wie Tusk es formulierte, zu widerlegen. "Wir alle drei meinen es ernst mit unserer Unterstützung für die Ukraine", versicherte Scholz. Macron begrüßte die Gelegenheit, "Einigkeit zu zeigen". Konkret verständigte sich das Trio auf eine Koalition, um der Ukraine weitreichende Raketenartillerie zur Verfügung zu stellen. Zum Abschied präsentierten sich der Deutsche, der Pole und der Franzose den Kameras lächelnd - und mit betont festem Händedruck.

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