Die Union und der "Taurus":Bammel vor dem Friedenskanzler

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Die allermeisten in der Unionsfraktion wollen der Ukraine Marschflugkörper vom Typ "Taurus" liefern. Doch es gibt auch Gegenstimmen. (Foto: Bernhard Huber/MBDA)

In CDU und CSU spüren sie, dass Olaf Scholz sein Beharren auf "Besonnenheit" politisch nutzen könnte. Nicht alle glauben, dass "Taurus"-Anträge der richtige Weg sind, um ihn vor sich herzutreiben.

Von Henrike Roßbach und Robert Roßmann, Berlin

Als die Bundestagspräsidentin am Donnerstag um kurz vor halb elf den nächsten Tagesordnungspunkt aufruft, dürften einige Abgeordnete ein gewisses Déjà-vu-Gefühl verspürt haben. Es soll jetzt um einen Unionsantrag zum Taurus gehen und darum, ob Deutschland diesen Marschflugkörper an die Ukraine liefern sollte. Nur: Dazu hat die Unionsfraktion schon in der vorangegangenen Sitzungswoche einen ähnlichen Antrag eingebracht, weshalb ihr gleich mehrere Ampel-Abgeordnete vorwerfen werden, parteipolitisch von einem Thema profitieren zu wollen, das dafür wahrlich zu ernst sei. "Ihre Platte, die sie immer wieder auflegen wollen, nervt", wird etwa der FDP-Abgeordnete Alexander Müller sagen.

Allerdings liegt es mitnichten nur an der Renitenz der Unionsfraktion, dass der Taurus schon wieder auf der Tagesordnung steht - sondern auch daran, dass die Ampel eine Befassung mit dem Unionsantrag lange hinausgezögert hatte. Schon Mitte November vergangenen Jahres war die Drucksache 20/9143 an den zuständigen Ausschuss verwiesen worden, erst jetzt kam sie von dort zurück ins Plenum.

"Eigennützige und niedere politische Beweggründe"

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ficht das aber nicht an. In keinem anderen europäischen Land, klagt er zu Beginn seiner Rede, werde über ein einzelnes Waffensystem so gestritten wie in Deutschland. Darauf aber brauche man sich nichts einzubilden, auch deshalb nicht, weil "eigennützige und niedere politische Beweggründe den Streit leider anheizen". In der Union finden sie diesen Vorwurf naturgemäß empörend, allerdings klatscht auch bei Grünen und FDP an dieser Stelle niemand. Wie auch an so ziemlich jeder anderen Stelle von Mützenichs Rede.

In Sachen Taurus geben sich zwar alle Ampel-Partner pflichtschuldig genervt von der Union. Zwei der drei Koalitionäre aber wollen eigentlich selbst nicht lockerlassen. Oder, wie es die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger mit Blick auf den jüngsten Basta-Versuch des Kanzlers formuliert: Die Gefahr sei zu groß, als dass eine Debatte einfach für beendet erklärt werden könnte.

Die Zweifel an einer "Taurus"-Abgabe sind im Osten besonders groß

Die Uneinigkeit der Ampel in dieser Frage kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in der Unionsfraktion unterschiedliche Meinungen dazu gibt, ob Taurus-Anträge wirklich das Mittel der Wahl sein sollten, um Scholz vor sich herzutreiben. Denn natürlich spüren sie in CDU und CSU, dass dem Kanzler sein Beharren auf "Besonnenheit" politisch nutzen könnte.

Eine derartige Friedenskanzler-Dividende könnte der Union schon bei der Europawahl, spätestens aber bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen schaden. In den ostdeutschen CDU-Verbänden nämlich löst der Taurus-Kurs der Bundestagsfraktion keine Begeisterung aus, er gilt als schwer vermittelbar im Wahlkampf. Die Zweifel an einer Taurus-Abgabe sind im Osten besonders groß.

Das hat sich auch in der jüngsten Sitzung der Unionsfraktion gezeigt. Es gab fast zehn Wortmeldungen zu dem Thema. Jens Koeppen aus Brandenburg, der bereits bei der ersten Taurus-Abstimmung gegen eine Lieferung der Marschflugkörper gestimmt hatte, wiederholte seine Ablehnung. Er findet, dass eine Lieferung die Gefahr berge, "den Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe zu heben". Andere, wie Florian Hahn aus der CSU und Johann Wadephul (CDU), widersprachen vehement. Teilnehmerangaben zufolge konnte man am Applaus nach den Wortmeldungen ablesen, dass die überwältigende Mehrheit der Fraktion hinter dem Kurs ihrer Spitze steht. Es sei allerdings auch klar geworden, dass das nicht so bleiben müsse, wenn weitere Taurus-Anträge gestellt würden, sagte ein Abgeordneter nach der Sitzung. Auch deshalb dürfte der Antrag vom Donnerstag der vorerst letzte derartige Vorstoß der Union gewesen sein.

Die Unionsfraktion bleibt bei der Abstimmung ziemlich geschlossen

Ohnehin waren sich in der Union bei der Frage keineswegs immer alle einig. Unvergessen ist der wüste Angriff des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter auf den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) im vergangenen Jahr. Kretschmer hatte sich damals gegen eine Abgabe der Marschflugkörper ausgesprochen. Kiesewetter wetterte daraufhin: "Mit deiner Haltung zerfällt die Ukraine und Putin setzt den Krieg gegen Moldau und die baltischen Staaten fort." Millionen Ukrainer würden "dann ihre Heimat verlassen und damit auch in Sachsen Wohnraum verknappen. Dann kannst du deine Wiederwahl ... zu Recht vergessen."

Bei der namentlichen Abstimmung nach der Bundestagsdebatte am Donnerstag stimmen dann neben Koeppen auch der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja und Emmi Zeulner von der CSU gegen die Linie ihrer Fraktion. Die Ex-Minister Peter Ramsauer und Hans-Peter Friedrich (beide CSU) sowie Heike Brehmer aus Sachsen-Anhalt enthalten sich. Die Unionsfraktion - insgesamt stellt sie 197 Abgeordnete - bleibt also noch ziemlich geschlossen.

Dazu dürfte auch die Regierungsbefragung des Kanzlers am Mittwoch beigetragen haben, in der Scholz den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hart attackiert hat. In der Debatte am Donnerstag arbeitet auch SPD-Fraktionschef Mützenich weiter daran, die Union zu einen. "Damit auch Sie von der Opposition verstehen, um was es eigentlich überhaupt geht", ruft er Richtung Unionsfraktion: Die amerikanische Regierung habe im Oktober 2022 den Einsatz taktischer Atomwaffen im Krieg in der Ukraine befürchtet. "Das sollte uns aufhorchen lassen", so Mützenich. "Zeitenwenden" seien nichts "für politische Spielernaturen".

Annette Widmann-Mauz (CDU) wirft Mützenich daraufhin haltlose Unterstellungen vor und sagt, dass es darum gehe, sich eben nicht von Drohgebärden Moskaus einschüchtern zu lassen. Der CSU-Abgeordnete Hahn ruft dem SPD-Fraktionschef zu: "Herr Kollege Mützenich, Appeasement hat noch nie gegen Tyrannen geholfen." Mitgemeint ist an diesem Vormittag im Bundestag immer auch der Kanzler. Doch dessen Platz auf der Regierungsbank bleibt leer.

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