Pegasus-Projekt:"Gegen alle Werte und Regeln"

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Pressefreiheit als "Kernwert" der EU: Ursula von der Leyen am Montag in Prag. (Foto: äimánek Vít/CTK / Bearbeitung SZ)

Als "völlig inakzeptabel" bezeichnet EU-Kommissionschefin von der Leyen, was Ungarn im Zusammenhang mit dem Pegasus-Projekt vorgeworfen wird. Sie spricht von einem "Verstoß gegen die Medienfreiheit in der EU".

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Christoph Koopmann, Berlin/Brüssel/München

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich besorgt gezeigt wegen Berichten über einen Einsatz der Spionagesoftware Pegasus gegen Journalisten und Politiker. "Wenn dies der Fall ist, dann ist das völlig inakzeptabel und ein Verstoß gegen alle Werte und Regeln, die wir in der EU in Bezug auf Medienfreiheit haben", sagte sie bei einer Pressekonferenz in Prag. Sie betonte jedoch, dass die Medienberichte, an denen unter anderen die Süddeutsche Zeitung sowie WDR und NDR mitgearbeitet haben, noch überprüft werden müssten.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, in Deutschland gelte "Recht und Gesetz". Sämtliche Maßnahmen von Ermittlungsbehörden müssten sich genau danach richten, weshalb etwa für Telekommunikationsüberwachung ein Richtervorbehalt gelte. Ob Pegasus oder etwas Vergleichbares von deutschen Stellen eingesetzt werde, wollte er nicht sagen: "Zu operativen Details der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden, etwa mit welcher Software wie gearbeitet wird, kann ich mich generell nicht äußern."

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Schikanen aller Art sind für Journalisten in Ungarn längst an der Tagesordnung. Die nun dokumentierten Spähangriffe auf die Presse haben eine neue Qualität erreicht.

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Die Berichte, wonach Pegasus im EU-Mitgliedsland Ungarn zur Ausspähung von regierungskritischen Journalisten eingesetzt werde, habe man "zur Kenntnis genommen", sagte eine Regierungssprecherin. Grundsätzlich gelte, dass freie Medien "von besonderer Bedeutung für das Funktionieren eines demokratischen Staates und einer demokratischen Gesellschaft sind".

Besorgt angesichts der Enthüllungen ist auch EU-Justizkommissar Didier Reynders. Er sagte der SZ: "Wer die gleichen Werkzeuge wie zur Bekämpfung von Terroristen und organisierter Kriminalität zur Kontrolle von Zivilgesellschaft oder Journalisten einsetzt, handelt gegen die Werte der EU." Am Dienstag wird Reynders den jährlichen Rechtsstaatsbericht der Kommission für alle 27 EU-Mitglieder vorstellen. Für Polen und Ungarn dürfte der Bericht erneut ein düsteres Bild zeichnen. 2020 hieß es im Kapitel über Ungarn, dass "unabhängige Medien systematischer Behinderung und Einschüchterung" ausgesetzt seien. Am Montagnachmittag betonte Ungarns Justizministerin Judit Varga bei einer Pressekonferenz in Brüssel, zu der nur ungarische Medien eingeladen waren, dass alle Regeln eingehalten worden seien.

Unterdessen bestreitet der Hersteller NSO, dass die Liste mit den mehr als 50 000 Telefonnummern irgendeine Rolle für die israelische Firma spiele. NSO-Mitgründer Shalev Hulio sagte der Washington Post, mit der die SZ kooperiert, über die Berichte: "Einige davon sind verstörend, sofern sie stimmen." Das Unternehmen sorge sich um Journalisten und Aktivisten. Erst im Juni hatte NSO in einem Transparenzbericht mitgeteilt, sich wegen Bedenken in Bezug auf die Menschenrechte in den vergangenen Jahren von fünf Kunden getrennt zu haben. Laut Hulio untersucht NSO alle Vorwürfe und werde gegebenenfalls weitere Verträge kündigen.

Snowden: Für solche Spionagetechnik gibt es keinen legitimen Anwendungsbereich

Edward Snowden, der 2013 die Abhörtechniken des US-Geheimdienstes NSA aufgedeckt hatte, twitterte, die israelische Firma müsse strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden für die Tötungen und Verhaftungen derjenigen, die Ziel der Überwachungsversuche mit der NSO-Technik geworden seien. Für solche Spionagetechnik gebe es keinen legitimen Anwendungsbereich. Snowden forderte ein "umfassendes Moratorium" für den Verkauf dieser Programme.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verlangte von den Sicherheitsbehörden Aufklärung darüber, ob auch deutsche Journalisten unter den Betroffenen sind. DJV-Präsident Frank Überall sprach von einem "nie dagewesenen Überwachungsskandal".

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