Pflegeheime:Warum Bayern die Impfpflicht umsetzen muss

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Die allermeisten Bewohner von Pflegeheimen sind geimpft - wie im Heiliggeist-Stift im oberbayerischen Erding. Und für Mitarbeiter gilt von Mitte März an eigentlich eine Impfpflicht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ministerpräsident Söder will ungeimpften Pflegekräften die Weiterarbeit ermöglichen - obwohl der Bund ein Tätigkeitsverbot beschlossen hat. Aber darf der Freistaat das Gesetz überhaupt so auslegen, wie er will?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Vermutlich hat man sich einfach nur daran gewöhnt, dass Bayern, in diesem Zusammenhang stets Freistaat genannt, gern eigene Wege geht. Manches machen sie im Freistaat besser als anderswo. Andere Extratouren sind hoch umstritten, derzeit etwa die 10H-Regel, die den Windkraftausbau hemmt. Jedenfalls könnte es mit diesem ausgeprägten Hang zum Sonderweg zusammenhängen, dass Markus Söders jüngster Vorstoß vielfach als zwar ungünstiges, aber eben auch unabwendbares Schicksal hingenommen wurde. Bayern und sein Ministerpräsident setzen die einrichtungsbezogene Impfpflicht aus - da kann man halt nichts machen.

Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar. Bayern gehört, Freistaat hin oder her, zur Bundesrepublik Deutschland, weshalb zwischen Rosenheim und Schweinfurt deren Gesetze gelten. In einem dieser Bundesgesetze steht, vom 15. März an "müssen" die Mitarbeitenden in medizinischen Einrichtungen und Pflegeheimen geimpft oder genesen sein. "Müssen" heißt nicht "sollen" oder "könnten". Es gilt eine Impfpflicht in Deutschland. Und in Bayern.

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All dies steht in Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes. Ein Gesetz, das freilich unter meist eiligen Änderungen leidet. Manche Formulierungen sind daher missglückt, und dann kommt die Grundregel jeder Gesetzesinterpretation zum Zug: Je dunkler der Text, desto fantasievoller die Auslegung.

In Paragraf 20a gibt es einen Absatz 5, der - wenn man ihn unbedingt so lesen will - den Ländern ein Türchen öffnen könnte, um die Impfpflicht nicht so hart umzusetzen, vielleicht auch gar nicht. Dort geht es um die Rolle der Gesundheitsämter im Umgang mit Personen, die keinen Impfnachweis vorlegen. In diesem Fall "kann" das Gesundheitsamt Mitarbeitern untersagen, die jeweilige Einrichtung zu betreten. "Kann" heißt nicht "muss", auch hier ist das Gesetz beim Wort zu nehmen. Das heißt: Das Gesundheitsamt hat hier ein Ermessen.

Was Juristen unter "Ermessen" verstehen

Können die Ämter und damit die Länder also machen, was sie wollen? Tätigkeitsverbote nur dann verhängen, wenn der Personalstand wirklich gut ist, aber bis auf Weiteres auch ungeimpftes Personal auf die Pflegestation lassen?

Das ist nun gerade nicht das, was Juristen unter "Ermessen" verstehen. Rainer Schlegel, der Präsident des Bundessozialgerichts, hatte bereits am Dienstag gesagt, das Arbeitsverbot für nicht immunisiertes Personal ergebe sich direkt aus dem Gesetz, ohne Entscheidung des Amtes. "Das Gesetz sagt schon im ersten Absatz, niemand darf ungeimpft oder ungenesen dort arbeiten." Er könne sich daher nicht vorstellen, dass dies in jedem Einzelfall den Ämtern vorbehalten sei.

Ähnlich sieht es Andrea Kießling von der Ruhr-Universität Bochum, viel gefragte Fachfrau zum Infektionsschutzrecht. Die Impfpflicht gelte kraft Gesetzes. "Da müssen die Länder nichts umsetzen, Übergangsfristen sind in Paragraf 20a nicht vorgesehen." Zwar könnten die Gesundheitsämter in Ausnahmefällen auch ungeimpftes Personal zulassen: "Wenn wirklich in einer einzelnen Einrichtung eine gravierende Ausnahmesituation vorliegt, mag es vertretbar sein, in dieser Einrichtung nicht sofort Tätigkeitsverbote auszusprechen."

Die Länder müssen Bundesgesetze umsetzen

Allerdings ist der Spielraum der Ämter aus ihrer Sicht eng, und zwar deshalb, weil sie ihr Ermessen stets so ausüben müssen, wie es dem Zweck des Gesetzes entspricht. Und über den Zweck der Impfpflicht herrscht nun wirklich kein Zweifel. "Es geht um den Schutz der Bewohner beziehungsweise Betreuten der Einrichtungen, und hierzu soll das gesamte Personal der Einrichtungen geimpft sein", sagt Kießling. Die vulnerablen Gruppen sollen vor Infektion und Krankheit bewahrt werden, nicht die Verwaltung vor den Schwierigkeiten des Gesetzesvollzugs. "Eine flächendeckende Ausübung des Ermessens dahingehend, dass nirgendwo in einem Bundesland Tätigkeitsverbote ausgesprochen werden, widerspricht in jeder Hinsicht dem Normzweck", fasst die Juristin zusammen.

Und was, wenn Länder wie Bayern trotzdem stur bleiben? Die Regeln sind klar, die Länder müssen Bundesgesetze umsetzen. "Die Missachtung des Bundesrechts ist mit der aus dem Grundgesetz folgenden Pflicht zur Bundestreue der Länder unvereinbar", schreibt Rechtsanwalt Patrick Heinemann im Fachportal "Legal Tribune Online". Theoretisch gebe es sogar - in der Bundesrepublik noch nie eingesetzt - das Instrument des "Bundeszwangs": Ein Bundeskommissar könnte die Exekutivgewalt in Bayern übernehmen. Aber das ist nur eine Befugnis in größter Not. 1923 schickte das Reich Truppen nach Sachsen und Thüringen gegen die damaligen revolutionslüsternen SPD-KPD-Regierungen. Und berief sich auf den Bundeszwang, der damals noch "Reichsexekution" hieß.

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