Das Politische Buch:Zwei deutsche Dörfer am Rio de la Plata

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Neue Heimat für viele Deutsche in Südamerika: Ein deutscher Frachter im Hafen von Buenos Aires im Jahr 1936. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Ariel Magnus hat ein ironisch-spöttisches Buch über ein ernstes Thema geschrieben. Es geht um Juden und Nazis im argentinischen Exil - und seine eigene Geschichte.

Rezension von Robert Probst

Ohne Adolf Eichmann kommt wohl kein Buch über Deutsche in Argentinien aus. Über das Wirken des Baron Maurice Hirsch ist dagegen in Deutschland eher wenig bekannt. Das liegt daran, dass man bei dem Thema immer noch an Kriegsverbrecher und NS-Größen denkt, was grundsätzlich nicht verkehrt ist. Dass aber in Argentinien auch viele deutsche Juden Aufnahme fanden vor und während der NS-Zeit, wird gern vergessen. Dass das nicht so bleibt, hat Ariel Magnus, ein argentinischer Autor mit deutsch-jüdischen Wurzeln, ein aufklärerisches und auch lustig-spöttisches Büchlein über "Nazis und Juden im argentinischen Exil" geschrieben. Bezeichnenderweise heißt es "Tür an Tür".

Warum dieser Titel? Der jüdische Großvater war 12 000 Kilometer von den Nazis entfernt in seiner neuen argentinischen Nachbarschaft auf eine überzeugte deutsche NSDAP-Anhängerin getroffen. Diese tragikomische Geschichte ist Anlass für die vorliegende Studie, die eine Mischung aus Sachbuch und Familienanekdoten ist. Bisher hatte sich Magnus, geboren 1975 in Buenos Aires, nun in Berlin lebend, in mehreren Romanen mit der Geschichte seiner Großeltern ("Zwei lange Unterhosen der Marke Hering") und den NS-Größen ("Das zweite Leben des Adolf Eichmann") auseinandergesetzt.

Eigene Zeitungen, eigene Vereine, eigene Badeplätze

Man erfährt nun also in diesem so sprunghaften wie unterhaltsamen Werk vieles über das Leben jüdischer Siedler seit dem Ende des 19. Jahrhunderts (Stichwort Baron Hirsch), wie sie ihr Leben organisierten und gern unter sich blieben. Und wie dann - schon weit vor dem Zweiten Weltkrieg - sich in Buenos Aires eine deutsch-nationalistische, antisemitische Gegenwelt etablierte mit NSDAP-Ortsgruppen und Fahnenaufzügen. Wie dann im Lauf der Zeit das liberale deutsche Dorf und das national(-sozialistische) deutsche Dorf nebeneinander existierten, mit jeweils eigenen Vereinen, eigenen Schulen, eigenen Zeitungen und eigenen Badeplätzen. Und vor allem: wie dieses mal leicht, mal stärker feindselige Klima auch nach dem Krieg noch lange fortlebte und viele alte Nazis vom "Vierten Reich" träumten.

Magnus beschreibt auf faszinierende und auch ironische Weise vor allem seine eigene Verstricktheit in diese Geschichte - etwa wie sich die jüdische Exilgemeinde in verschiedene Herkunftsgruppen ("Wir waren deutsch-deutsche Jeckes") aufteilte, die einander misstrauisch beäugten. All das wird stets faktenbasiert reflektiert, und auch wenn Ausdrücke wie "Deutsche mit Nazihintergrund" ein wenig keck anmuten mögen, hier geht es ums Verstehen, um Versöhnen in der dritten Generation, aber auch weiterhin um Wachsamkeit. "Als Jüdin oder Jude (...) ist man immer auf der Lauer, woher der nächste Pogrom kommen könnte."

Ariel Magnus: Tür an Tür. Nazis und Juden im argentinischen Exil. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023. 176 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro. (Foto: Kiepenheuer & Witsch)
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