Argentinische Literatur:Der Krieg und das Brett

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Ariel Magnus spielt in seinem Roman "Die Schachspieler von Buenos Aires", der 1939 am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist, mit dem Genre der Schachnovelle. Nicht nur zum Vorteil seines inteerssanten Stoffes.

Von Ralph Hammerthaler

In Buenos Aires auf der Straße Corrientes 515 lag die Buchhandlung Pigmalión. Geführt wurde sie von Lili Lebach, einer Jüdin im Exil, die ihr Sortiment nach deutschen und generell fremdsprachigen Büchern ausrichtete. Es heißt, Jorge Luis Borges sei dort ein- und ausgegangen. Außerdem brachte die Buchhandlung Stefan Zweigs "Schachnovelle" heraus, in einer Auflage von 250 nummerierten Exemplaren. So sehr Ariel Magnus in der hinterlassenen Bibliothek seines Großvaters auch stöberte - die "Schachnovelle" fand er, obwohl in einem Verzeichnis notiert, nicht. Es wäre zu schön gewesen für einen Roman, der vom Schachspielen erzählt und vom vor den Nazis geflüchteten Großvater.

Im Jahr 1939 findet die Schacholympiade zum ersten Mal außerhalb Europas statt, in Buenos Aires. Einige nicht unwichtige Mannschaften fehlen, die von Italien zum Beispiel, Japan und den USA. Aber mit Alexander Aljechin für Frankreich und José Raúl Capablanca für Kuba treten auch Weltmeister bei den mehr als neunhundert Partien im Teatro Politeama an. Während des Turniers bricht der Zweite Weltkrieg aus, in Buenos Aires schrillen frühmorgens die Sirenen und treiben die Menschen vor die Info-Tafeln. Die letzte Hoffnung auf Frieden ist geplatzt.

"Die Schachspieler von Buenos Aires" heißt Ariel Magnus' formal ambitionierter, Roman. Der Autor wurde 1973 in Buenos Aires geboren, er studierte in Deutschland, schrieb für die taz und Spiegel Online und Medien in Lateinamerika. Hierzulande ist bereits sein Erfolgsroman "Der Chinese auf dem Fahrrad" erschienen, kurz darauf "Zwei lange Unterhosen der Marke Hering", ein Porträt seiner Großmutter. Über seinen Großvater wollte er, obwohl dessen Tagebücher dem aktuellen Roman zugrunde liegen, offenbar kein Porträt verfassen. Vielmehr nutzt er die Einträge für allerlei Spiegelungen, als gelte es, das eigene Können auszustellen, leider nicht immer zugunsten der Figur. Wenigstens lässt er seinen Großvater Heinz fast den Verstand verlieren, als er auf die burschikose Schachspielerin Sonja Graf trifft. Sonja ist Deutsche, ohne dass sie für Nazi-Deutschland antreten dürfte, sie ist keine Jüdin, worüber sich Heinz zwar den Kopf zerbricht, aber nicht verzweifelt. Denn haben würde er sie trotzdem ganz gerne.

Einmal sagt der Autor über sein Buch, es sei in seinem Modernismus ein klassischer Roman. Kann man so sagen. Aber falls hier ein Label nötig sein sollte, dann doch eher das eines postmodernen Romans. Ariel Magnus zitiert, was gerade hergeht, die Tagebücher des Großvaters, die Schachbücher der realen Sonja Graf, jede Menge Zeitungsartikel, Essays und Romane. Er referiert und dichtet hinzu, teils in ein und demselben Atemzug. Ab und zu setzt er Fußnoten. Und greift als Autor in das Geschehen ein, hockt sich zu seinem Großvater, den er nie kennengelernt hat, an den Tisch und verwickelt ihn in ein Gespräch. Wenn man die läppischen, in Klammern gesetzten Kommentare (oder kommentierenden Fußnoten) übersieht, gelingen tatsächlich verblüffende Brechungen.

In einer "Vorwarnung" anstelle eines Vorworts stellt Magnus klar, alle Textauszüge, alle wörtlichen Zitate seien "gehörig kursiv gesetzt", "auch und gerade damit sie am Ende vom Kurs abkommen können". Er lässt also nichts aus. Und so steht am Ende ein kursiv gesetzter Text, der plötzlich pure Fiktion ist, sogar die Fiktion einer Fiktion, denn die letzten Worte stammen von Mirko Czentovic, einer Figur aus Zweigs "Schachnovelle".

Ohne Leidenschaft für Schach und die Bücher, die darüber geschrieben worden sind, ob von Zweig, Beckett, Borges, Miguel de Unamuno oder Roberto Arlt, wird einen dieser Roman nur halbwegs fesseln. Dass die Schachmetapher dermaßen ausgereizt wird, für den Krieg sowieso, aber auch für den Frieden, fürs Boxen und den Sex, macht sie verdächtig. In der Erzählung "Der Schatten der Züge" lässt Borges zwei Könige eine Partie Schach spielen, wobei jeder Zug eine Schlacht beeinflusst, die ihre Armeen gerade gegeneinander schlagen. Aber es war dann auch Borges, der die Schachmetapher für den Krieg als allzu abgedroschen verwarf.

Angesichts des Krieges in Europa ziehen es viele Turnierspieler vor, in Argentinien zu bleiben, auch Mitglieder der deutschen Delegation. Für Juden stellt sich die Frage der Rückkehr ohnehin nicht. Darüber gäbe es viel zu erzählen, zumal im Blick auf Buenos Aires, doch Magnus belässt es bei Andeutungen. "Heute habe ich lange geschlafen, Bilder umgeklebt, und gelesen in Brot und Wein", schreibt der Großvater ins Tagebuch. Im Nachlass entdeckt Magnus auch ein kirchliches Dokument, das eine Lüge bezeugt: Heinz sei Katholik. Weil sich der Enkel das nicht erklären kann, denkt er sich auch dazu eine Geschichte aus. Das Dokument ist für Sonja Graf bestimmt. Denn Heinz will von der deutschen Schachspielerin, die sich zu jüdischen Männern hingezogen fühlt, nicht aus Mitleid begehrt werden. Er will ihre große Liebe. Aber er bekommt sie nicht.

Ariel Magnus: Die Schachspieler von Buenos Aires. Roman. Aus dem Spanischen von Silke Kleemann. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 336 Seiten, 22 Euro.

© SZ vom 21.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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