Das Politische Buch:Deutsche Krokodilsträne

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Niklas Frank haut gern auf den Putz, aber er weiß, wovon er spricht, wenn er vor einer neuen Diktatur in Deutschland warnt. (Foto: Josef Wirnshofer/Josef Wirnshofer)

Für den Publizisten Niklas Frank führt eine "rote Linie" vom Verschweigen der deutschen Verbrechen in der NS-Zeit zur AfD. Und der Mittelpunkt der deutschen Seele ist für ihn der Antisemitismus. Ein weises Wutbuch.

Rezension von Robert Probst

Es ist viel von Krebs die Rede in diesem Buch. Von der Krankheit Antisemitismus. Der Oberrabbi von Wien, Jaron Engelmayer, zitiert den britischen Großrabbiner Jonathan Sachs mit den Worten: "Die Krankheit, der Krebs Antisemitismus passt sich an, eben wie Krebszellen, die sich der Gesellschaft immer wieder neu anpassen und mutieren. Über Jahrtausende hinweg hat er immer wieder neue Formen angenommen. Sachs führt das darauf zurück, dass er sich auf das Anderssein konzentriert, dass die jüdische Gemeinschaft etwas anderes ist als die Mehrheitsgesellschaft um sie." Dieser Tage wütet die Krankheit weltweit in lange nicht erlebter öffentlicher Weise, d ie brutale Terrorattacke der Hamas auf Israelis am 7. Oktober hat sozusagen einen neuen Ausbruch bewirkt.

Und wenn der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, dieser Tage sagt, der Judenhass auf deutschen Straßen erinnere "an die schlimmsten Zeiten der deutschen Geschichte", dann klingt das (vor dem Terrorakt verfasste) Buch mit dem Titel "Zum Ausrotten wieder bereit ? - Wir deutschen Antisemiten und was uns blüht" geradezu apokalyptisch prophetisch.

Vom Schrecken des Holocaust

Der Publizist und frühere Stern-Reporter Niklas Frank, 84, pflegt bekanntlich seinen ganz eigenen Stil. Entwickelt hat er ihn in der Auseinandersetzung mit seinem Vater, der einstigen NSDAP-Größe Hans Frank, der 1946 in Nürnberg für seine Verbrechen als Chef des Generalgouvernements im besetzten Polen 1939-45 hingerichtet wurde. Mit dem "Schlächter von Polen" hat sich Frank in zahlreichen Abhandlungen befasst, auch diesmal spielt er wieder eine tragende Rolle. Die meisten Bücher von Frank sind eine Mischung aus akribischer Recherche, Polemik und derbem Humor. Und einer ganz großen Portion Wut. (Wer das weiß, weiß auch die plakativ-krassen Titel besser einzuschätzen.)

"Zum Ausrotten wieder bereit?" ist die Fortsetzung von " Auf in die Diktatur! Die Auferstehung meines Nazi-Vaters in der deutschen Gesellschaft. Ein Wutanfall" aus dem Jahr 2021. Die Wut von Frank konzentriert sich dabei auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die aus seiner Sicht die Schrecken der deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust nie an sich herangelassen hat und sich in voller Kenntnis aller Untaten mit Floskeln von der deutschen Verantwortung und Denkmälern das Thema, so gut es geht, vom Leibe hält. Die Deutschen hätten sich bewusst gegen das Trauern um die Opfer entschieden "und das Verschweigen gewählt, um unseren Judenhass behalten zu können".

Niklas Frank: Zum Ausrotten wieder bereit? Wir deutschen Antisemiten - und was uns blüht. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2023. 172 Seiten, 18Euro. E-Book: 15,99 Euro. (Foto: Dietz-Verlag)

Man muss diese Einschätzung nicht teilen und bekommt doch eine Fülle nachdenkenswerter Überlegungen präsentiert, vor allem in Bezug auf das Agieren und die Wortwahl von AfD-Politikern, deren Sätze gern mit Hans-Frank-Schwadronierereien verglichen werden. Für Frank führt eine "rote Linie vom Verschweigen zur AfD", von dort zum Sterben der Demokratie und in eine aufziehende Diktatur. Und sie führen zu schrecklich-schönen Sätzen: "Nicht der Wald ist der Mittelpunkt der deutschen Seele, es ist der Antisemitismus."

Besonders wertvoll gerät das Buch diesmal durch eingestreute Interviews, die Frank etwa mit dem Historiker Michael Wolffsohn, dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes, Felix Klein, oder dem Publizisten und Pädagogen Meron Mendel geführt hat. Und weil Frank nicht wie ein Journalist fragt, sondern wie ein Aktivist in eigener Sache, sind die Antworten oft sehr erhellend, manchmal aber auch erstaunlich hilflos.

Vom Differenzieren und seinen Problemen

Ja, Niklas Frank fokussiert sich sehr stark auf den rechtsextremen und den aus der Mitte der Mehrheitsgesellschaft kommenden Antisemitismus, seine Interviewpartner widersprechen ihm hier häufig, verweisen auf den muslimischen oder von links kommenden Judenhass und hinterfragen Franks "Wir". Auch das hilft bei der Einordnung. Frank hat sich übrigens das aus seiner Sicht einzig wahre Denkmal für die NS-Verbrechen nun selbst bauen lassen: eine "riesige Krokodilsträne, in der sich unsere Scheinheiligkeit täglich spiegelt". Auch darauf reagieren die meisten Interviewpartner zurückhaltend - Differenzierung sei auch bei diesem Thema nötig.

Differenzieren ist nun Niklas Franks Sache nicht ("Differenzieren birgt auch die Gefahr des Relativierens in sich"). Andererseits weist er etwa die Holocaust-Überlebende Eva Umlauf, die den Antisemitismus eine "unheilbare Krankheit" nennt, auf die Problematik des Vergleichs hin ("Das ist ein sehr gefährlicher Satz. Wenn jemand krank ist, ist er nicht mehr verantwortlich"). Zornig dichtet er bekannte Verse um auf die AfD, bietet jede Menge geschmackloser Vergleiche feil und reiht oft ungeordnet Gedanken an Gedanken. Aber weil er ein exzellenter Beobachter des Zeitgeschehens ist, erweist sich das Buch wieder mal als Fundgrube aus zahllosen, sehr bedrückenden Hinweisen auf die Diskursverschiebung und Brandmauerauflösung nach rechts außen.

Und wie weit fortgeschritten die Erosion der Demokratie aus Franks Sicht ist, kann man an der Widmung sehen: "Gewidmet der einen Million deutscher DemokratInnen, um ihre Wut anzustacheln". 2021 war er noch von etwa zehn Millionen ausgegangen.

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