Krieg in Nahost:"Jetzt müssen wir zeigen, was unser ,Nie wieder' bedeutet"

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Vor dem Brandenburger Tor trafen sich Tausende Menschen bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz rufen zum Schutz des jüdischen Lebens in Deutschland auf. In Berlin demonstrieren mindestens 10 000 Menschen pro Israel.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz haben am Sonntag auf verschiedenen Veranstaltungen alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zum Schutz des jüdischen Lebens im Land aufgerufen. Dieser Schutz sei Staatsaufgabe, "aber er ist auch Bürgerpflicht", sagte Steinmeier vor Tausenden Menschen bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel am Brandenburger Tor in Berlin. "Ich bitte wirklich alle Menschen in unserem Land, diese Bürgerpflicht auch anzunehmen." An der Kundgebung nahmen laut Polizei rund 10 000 Menschen teil, nach Angaben der Veranstalter waren es rund 25 000. Scholz sprach bei der Eröffnung einer neu gebauten Synagoge in Dessau.

Angesichts antisemitischer Ausschreitungen der vergangenen Tage nannte es Steinmeier "unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder Angst haben - ausgerechnet in diesem Land". Es sei unerträglich, dass jüdische Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schickten und das Berliner Holocaust-Mahnmal von der Polizei geschützt werden müsse. "Jeder, der hier lebt, muss Auschwitz kennen und die Verantwortung begreifen, die daraus für unser Land erwächst", sagte Steinmeier. "Zeigen wir, dass wir friedlich zusammenleben können und auch wollen", forderte er und appellierte dabei an sämtliche Bevölkerungsgruppen in Deutschland.

Angehörige von vier deutschen Hamas-Geiseln auf der Bühne

Die Polizei hatte den zwei Kilometer langen Abschnitt zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule mit massiver Präsenz weiträumig abgesperrt. Vor dem Start der Kundgebung hatten sich trotz eines Demonstrations-Verbots am Potsdamer Platz mehrere Grüppchen mit den Insignien der Pro-Palästina-Bewegung versammelt; sie bildeten eine Art Spalier, an dem Besucher der Pro-Israel-Demonstration vorbeimussten. Später kam es dort zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Am Brandenburger Tor lag der Fokus der Veranstalter sowie der Besucher eher auf Verständigung, auf Sprechen und Zuhören. Das wurde besonders deutlich, als auf der Bühne die Angehörigen von vier deutschen Geiseln der Hamas begrüßt wurden. Roni Roman berichtete, wie ihre Schwester Yarden Roman-Gat mit ihrem Mann und ihrem kleinen Kind aus dem Kibbutz Be'eri entführt worden waren. Während sich Mann und Kind verstecken konnten, war Yarden Roman-Gat nach Gaza verschleppt worden. Ihre Schwester bat die Menge, gemeinsam "Happy Birthday" zu singen, an diesem Sonntag hat sie Geburtstag. Yoni Asher beschrieb seine Hilflosigkeit, als er über Social Media mit ansehen musste, wie seine Frau Doron mit den beiden kleinen Töchtern verschleppt worden war. "Unsere Liebe wird stärker sein", sagte er, "ihr werdet in meine Arme zurückkehren."

Israels Botschafter Ron Prosor kündigte an: "Wir müssen jetzt im Gazastreifen die gesamte Infrastruktur des Terrors beseitigen - und wenn wir das tun, möchte ich wirklich kein ,Ja, aber' mehr hören." Prosor sagte: "Diesmal müssen wir bis zum Ende gehen." Ähnlich sprach der Initiator der Demonstration und Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck: "Wir stehen hier, weil wir mit Israel und seinen Menschen Solidarität zeigen wollen." Jerusalem brauche keine "Schlaumeier-Hinweise aus Berlin", sagte Beck noch und bekam dafür große Zustimmung aus der Menge: "Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung."

Bundeskanzler Olaf Scholz hielt am Sonntag eine Rede bei der Einweihung der neu erbauten Synagoge in Dessau. (Foto: Hendrik Schmidt/AP)

Es gab auch wieder pro-palästinensische Demonstrationen

Anlässlich der Eröffnung der neu gebauten Synagoge am Sonntag in Dessau-Roßlau rief Bundeskanzler Scholz (SPD) dazu auf, jüdisches Leben zu schützen und zu verteidigen. "Jetzt müssen wir zeigen, was unser ,Nie wieder' bedeutet", sagte Scholz. 85 Jahre nach der Zerstörung durch die Nationalsozialisten habe die Stadt in Sachsen-Anhalt wieder ein jüdisches Gotteshaus. "Was für ein Geschenk, was für ein Glück", sagte er. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nannte die Synagoge ein Symbol des Neuanfangs: "Aber wir müssen uns auch an die Vergangenheit erinnern, uns ihr immer wieder stellen."

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Am Wochenende kamen auch wieder Tausende Menschen in mehreren deutschen Städten zu pro-palästinensischen Demonstrationen zusammen. In Düsseldorf versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 6900 Menschen zu einem Protestzug unter dem Motto "Verurteilung der Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza". In Berlin kamen laut Polizei bis zu 3500 Menschen zusammen. Nach Beendigung der Demonstration kam es laut Polizei in Neukölln erneut zu unerlaubten Ansammlungen, vereinzelt sei Pyrotechnik abgebrannt worden. Demonstrationen gab es auch in Frankfurt am Main, Hannover und Köln. Die Veranstaltungen blieben weitgehend friedlich.

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