Nahost:Schmerzhafter Spagat

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Sie wollte nach Israel, doch in Dubai dauert die Weltklimakonferenz länger: Annalena Baerbock, hier mit dem US-Sondergesandten John Kerry. (Foto: Sebastian Rau/IMAGO/photothek)

Der Opposition geht Deutschlands Unterstützung für Israel nicht weit genug. In der EU dagegen wächst der Druck für einen Waffenstillstand. Wie lange kann die Bundesregierung an ihrem Mittelweg festhalten?

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Von einer "schweren Entscheidung" spricht das Auswärtige Amt mit Blick auf die Abstimmung in der UN-Generalversammlung über eine weitere Resolution, die im Kern Israel zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen auffordert. 153 Staaten haben in New York dafür votiert bei 23 Enthaltungen und zehn Gegenstimmen, darunter die USA und Israel. Die Bundesregierung hat sich ein weiteres Mal enthalten, was erwartbar zu harter Kritik führt - aus unterschiedlichen Richtungen.

Zum einen hält ihr die Opposition in Berlin vor, sie lasse "erneut Israel und die USA im Stich", wie es Unionsfraktionsvize Johann Wadephul formuliert. Zugleich gerät die Bundesregierung in Europa zunehmend unter Druck, weil die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten Israels militärische Vorgehen im Gazastreifen deutlich kritisiert und sich immer mehr Staaten angesichts der zivilen Opfer der Forderung nach einem Waffenstillstand anschließt. 17 Regierungen stimmten der Resolution zu, so auch Frankreich und Spanien.

Die Resolution erwähnt die Ursache des Kriegs im Gazastreifen nicht

Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, das an diesem Donnerstag in Brüssel beginnt, steht das Thema wieder auf der Tagesordnung, und etliche Regierungen dürften darauf dringen, die offizielle Position des Gipfels von Ende Oktober nachzuschärfen, an der die Bundesregierung festhält. Darin ist von humanitären Pausen die Rede, nicht von einem Waffenstillstand, und zugleich wird das Selbstverteidigungsrecht Israels betont.

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Das Auswärtige Amt begründete seine Enthaltung damit, dass in der von Ägypten eingebrachten Resolution Elemente enthalten seien, die auch die Bundesregierung unterstütze: der Ruf nach besserem humanitärem Zugang oder nach der Freilassung der Geiseln. Allerdings gehe sie nicht ein auf die Ursache für den Krieg im Gazastreifen, den Terrorangriff der Hamas auf Israel.

"Erst wenn die Hamas ihre Waffen niederlegt, ist Israel nicht länger gezwungen, sich zu verteidigen", twitterte das Außenministerium. Auch am Mittwoch feuerte die Hamas wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel. Zusammen mit den USA hatte sich die Bundesregierung um Änderungen an dem Text bemüht, mit 82 Stimmen aber die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht. Die USA hatten zuvor im Sicherheitsrat ein Veto gegen einen ähnlichen Text eingelegt. UN-Generalsekretär António Guterres hatte die neuerliche Befassung des Gremiums erzwungen.

Allerdings hätte nach Ansicht von Unionsfraktionsvize Wadephul die Begründung der Enthaltung, also die fortgesetzten Attacken und die "Verneinung des Widerstandsrechts Israels eindeutig eine Ablehnung erfordert", eine Position, die in der EU nur noch Österreich und Tschechien einnehmen. Die Bundesregierung "fährt letztlich einen Schlingerkurs", sagte er.

Ägypten bringt bei der UN-Generalversammlung die Resolution für einen Waffenstillstand ein: Kairos ständiger UN-Vertreter Osama Abdelkhalek. (Foto: MICHAEL M. SANTIAGO/Getty Images/AFP)

Mit Blick auf die Teilnahme von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock an der Klimakonferenz in Dubai kritisierte Wadephul, die hätte die Grünen-Politikerin der Umweltministerin überlassen sollen. Baerbock hatte nach der Bundestagswahl die Zuständigkeit für die internationale Klimapolitik ins Auswärtige Amt geholt und verhandelte federführend für die EU den wichtigsten Streitpunkt, den Ausstieg aus fossilen Energien.

Im Nahen Osten sei die Bundesaußenministerin "letztlich kein wahrnehmbarer Faktor, was Deutschlands Verantwortung und Rolle nicht gerecht wird", bemängelte Wadephul weiter. Allerdings setzt Baerbock nicht auf laute Verkündungen, sondern mehr auf stille Diplomatie, auf vertrauliche Gespräche mit vielen Akteuren im Nahen Osten und enge Abstimmung vor allem mit den USA, von denen ungeachtet der Voten bei den UN inzwischen sehr scharfe Kritik an der Kriegsführung Israels kommt. US-Präsident Joe Biden warf Israel am Dienstag "wahllose Bombardierungen" in Gaza vor und warnte Premier Benjamin Netanjahu, er verliere gerade den weltweiten Krieg um die öffentliche Meinung.

Statt eines Besuchs gab es nur ein Telefonat mit Benny Gantz

Baerbock wollte von Dubai eigentlich aus zum vierten Mal seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober nach Israel reisen. Nachdem die Klimakonferenz in die Verlängerung ging, blieb es bei einem Telefonat mit Benny Gantz, Mitglied im dreiköpfigen Kriegskabinett Netanjahus. In den Vereinigten Arabischen Emiraten traf sie zudem ihre Kollegen aus Bahrain und Oman. Der Kontakt zu Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, den Emiraten und Katar ist intensiv, am Freitag wird der geschäftsführende libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib in Berlin erwartet.

Baerbock hat früh deutlich gemacht, dass Deutschland das Leid der Palästinenser im Gazastreifen nicht ignoriert. Sie ist nach Ramallah gereist. Die Bundesregierung hat die humanitäre Hilfe für die Palästinensergebiete auf 179 Millionen Euro aufgestockt, davon sind 106 Millionen Euro nach dem 7. Oktober freigegeben worden. Deutschland ist damit einer der größten internationalen Geber. Zudem drängt sie in Israel auf besseren Zugang für internationale Hilfsorganisationen. Israel hat inzwischen der Öffnung des Grenzübergangs Kerem Schalom in Aussicht gestellt, eine Forderung, die auch aus den USA kam.

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Was sie ebenso wie die USA bislang nicht getan hat, und das werfen Kritiker gerade ihr als Verfechterin einer feministischen und wertebasierten Außenpolitik vor: den israelischen Militäreinsatz offen zu verurteilen oder von mutmaßlichen Kriegsverbrechen zu sprechen, wie es andere Regierungen in Europa inzwischen tun.

Mit den arabischen Regierungen reden über einen dauerhaften Frieden

Kanzler Olaf Scholz sagte in seiner Regierungserklärung am Mittwoch, die Diskussion in Europa müsse sich auch auf die Zeit nach den Kampfhandlungen richten, auf eine tragfähige Sicherheitsordnung. Sich an der Seite der USA an diesem Prozess zu beteiligen, ist das Motiv von Baerbocks Diplomatie. Sie war bereits im Mai nach Saudi-Arabien und Katar gereist, um das Verhältnis mit den beiden Golfstaaten zu verbessern, hat mit Frankreich, Jordanien und Ägypten für eine Zweistaatenlösung geworben, als in Washington niemand darüber redetet.

Jetzt versucht die Bundesregierung im Gespräch zu bleiben mit den arabischen Regierungen, vor allem Ägypten, Jordanien und den Golfstaaten, die als unverzichtbar gelten, wenn es um eine dauerhafte Friedensregelung für den Gazastreifen und das Westjordanland gehen soll - und zugleich Solidarität mit Israel zu üben. Noch verharrt die Bundesregierung in diesem Spagat. Doch mit jedem Tag, an dem Israel Bomben auf den Gazastreifen wirft und Zivilisten getötet werden, ist diese Position schwieriger durchzuhalten. Die USA jedenfalls haben Israel sehr deutlich signalisiert, dass die Kampfhandlungen in dieser Intensität nicht mehr lange weitergehen können.

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