Nahostkrieg:Biden und Netanjahu tragen öffentlich ihre Kontroversen aus

Lesezeit: 3 min

US-Präsident Biden, zunächst mit Netanjahu solidarisch, sagt heute: "In meinen Augen schadet er Israel mehr, als dass er Israel hilft." (Foto: White House/Imago)

Der US-Präsident betont vor großem Publikum: Israel könne letztlich nicht Nein zu einem palästinensischen Staat sagen. Der israelische Premier widerspricht klipp und klar. So unverhüllt war die Auseinandersetzung noch nie.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Spannungen gibt es zwischen den beiden schon länger, jetzt ist es öffentlich: Benjamin Netanjahu und Joe Biden fechten massive Differenzen über das weitere Vorgehen im Gazastreifen aus. Der israelische Ministerpräsident hatte in einem kurzen Video, das sein Büro am Dienstagabend in den sozialen Medien verbreitete, selbst darauf verwiesen: Ja, es gebe Meinungsverschiedenheiten darüber, was mit Gaza nach dem Ende der Hamas geschieht, gab Netanjahu zu. Seine Position sei klar: "Ich werde nicht zulassen, dass Israel die Fehler von Oslo wiederholt."

Damit bezog sich Netanjahu auf den 1993 in Oslo eingeleiteten Friedensprozess zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), der eine Reihe von Abkommen mit sich brachte und die Weichen für den Übergang zu einer Zweistaatenlösung bilden sollte. "Nach dem großen Opfer unserer Zivilisten und Soldaten werde ich nicht erlauben, dass jene nach Gaza Zutritt erhalten, die Terrorismus lehren, unterstützen und finanzieren", sagte Netanjahu und fügte hinzu: "Gaza wird weder Hamastan noch Fatahstan werden." Damit widersetzt sich der israelische Regierungschef offen der US-Forderung, dass die von der Fatah dominierte palästinensische Autonomiebehörde künftig eine starke Rolle im Gazastreifen einnehmen müsse. Die Hamas hatte 2007 die Fatah gewaltsam aus dem Gazastreifen verdrängt und die Kontrolle über den Küstenstreifen übernommen.

Israel drohe den "größten Teil der Welt" als Unterstützer zu verlieren, warnt Biden

Netanjahu bezog sich damit offenkundig auch auf Äußerungen des palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Schtaje. In dessen bevorzugtem Szenario sei im Gazastreifen nach Kriegsende die Hamas als Juniorpartner der Autonomiebehörde vorgesehen. Netanjahu versicherte dann noch, dass es nach einem intensiven Austausch mit Biden und dessen Team die volle Unterstützung der USA für die Bodenoffensive und die Abwehr des internationalen Drucks gebe, den Krieg zu beenden.

Nach voller Unterstützung hörte sich aber nicht an, was US-Präsident Biden wenige Stunden später in Washington bei einer Veranstaltung vor Spendern seiner Wahlkampagne von sich gab. Vielmehr übte er erstmals seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober öffentlich Kritik an der israelischen Kriegsführung. Israel habe die USA, die Europäische Union und den "größten Teil der Welt" hinter sich. "Aber sie beginnen, diese Unterstützung durch wahllose Bombardierungen zu verlieren."

Der US-Präsident richtete einen direkten Appell an den israelischen Regierungschef. Netanjahu müsse sich ändern, sagte Biden und verwies auf dessen Regierungskoalition, die er als "die konservativste in der israelischen Geschichte" bezeichnete. Insbesondere der rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir und seine Leute würden eine Annäherung an eine Zweistaatenlösung ablehnen und mit den Palästinensern gar nichts zu tun haben wollen.

"Es wird keinen palästinensischen Staat hier geben", sagt der Kommunikationsminister

Diese Regierung erschwere es Netanjahu, sich zu bewegen, sagte Biden. Aber Israel könne letztlich nicht "Nein" zu einem palästinensischen Staat sagen, "wir müssen beginnen, daran zu arbeiten", sagte Biden. "Wir haben die Möglichkeit, die Region zu vereinen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass Bibi versteht, dass er sich bewegen muss." Die palästinensische Autonomiebehörde müsse gestärkt werden. Er bezeichnete Netanjahu, den er bei seinem Spitznamen Bibi nannte, als "guten Freund".

Auf Bidens Äußerungen reagierte Armeesprecher Daniel Hagari: Die israelischen Streitkräfte würden zwischen Hamas-Kämpfern und Zivilisten unterscheiden - und sie seien in engem Kontakt mit den USA. Auf politischer Ebene kam der Widerspruch von dem öffentlich weniger präsenten Kommunikationsminister: "Wir leben hier, und das ist unser Land", sagte Schlomo Karhi, der Netanjahus Likud-Partei angehört. "Es wird keinen palästinensischen Staat hier geben. Wir werden nie die Schaffung eines anderen Staates zwischen dem Fluss und dem Meer erlauben." Es werde keine Rückkehr zum Oslo-Prozess geben, denn das gefährde Israel.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Damit wiederholte er mit ähnlichen Worten, was sein Chef am Montag hinter verschlossenen Türen in einem Knesset-Ausschuss gesagt hatte. Laut israelischen Medien bezeichnete Netanjahu den Oslo-Prozess als "Mutter aller Sünden". Dabei zog er einen Vergleich, der bei den Oppositionsparteien heftige Kritik auslöste: Netanjahu sagte, die Oslo-Abkommen mit den Palästinensern hätten in den Neunzigerjahren so viele Tote wie das Massaker der Hamas am 7. Oktober gekostet, "auch wenn das über einen längeren Zeitraum" gewesen sei.

Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu daraufhin vor, trotz des Kriegs eine politische Kampagne zu führen, "deren einziger Zweck ist, ihn von Verantwortung freizusprechen, andere zu beschuldigen und Hass zu schüren". In der Tageszeitung Haaretz heißt es in einem Kommentar, dass sich Israel nun auf Wahlen Mitte kommenden Jahres einstellen könne. Das von Netanjahu ins Netz gestellte Video markiere den Start seiner Wahlkampagne.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusIsrael
:Die Schuld der anderen

Seit dem 7. Oktober ist da die Frage, wie es sein konnte, dass das bestgeschützte Land der Welt so schutzlos war. Armeechef und Geheimdienstchefs räumen ihre Verantwortung ein, nur Benjamin Netanjahu geht es um etwas ganz anderes: sein politisches Überleben.

Von Peter Münch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: