Gedenken an den 9. November:Kein Koffer soll mehr gepackt sein

Lesezeit: 3 Min.

Zum Festakt in der Hauptsynagoge kamen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

In der Hauptsynagoge "Ohel Jakob" erinnert die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, an die Bedeutung des 9. Novembers - als Ausgangspunkt der Pogromnacht , aber auch als Startpunkt für die Rückkehr des Judentums ins Herz Münchens.

Von René Hofmann

Es gibt viele Tage, an denen in München Geschichte geschrieben wurde. Aber an keinem anderen Datum gab es so viele geschichtsträchtige Ereignisse wie am 9. November. "Wir wollen, was im Guten geworden ist. Und wir wollen, was noch werden kann. Kein Koffer soll mehr gepackt sein. Kein Herz mehr beschwert. Nicht in München. Nicht anderswo in Deutschland. Nicht in Israel. Nirgendwo", sagte Charlotte Knobloch, Ehrenbürgerin der Stadt, Shoah-Überlebende und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), am Donnerstagabend bei einem gemeinsamen Festakt mit der Landeshauptstadt in der Hauptsynagoge "Ohel Jakob".

Vom 8. auf den 9. November 1923 hatte Adolf Hitler versucht, sich im Bürgerbräukeller an die Macht zu putschen - und scheiterte. 15 Jahre später - am 9. November 1938 - gab es in der Stadt einen Gedenkmarsch der Nationalsozialisten an diesen Putsch. Nach dem Treffen der Parteiführung im Alten Rathaus hielt Propagandaminister Joseph Goebbels eine Rede, in der er judenfeindliche Aktionen lobte.

Die versammelten Gauleiter und SA-Führer verstanden das als Aufforderung. In der Nacht explodierte die Gewalt: Im ganzen Land wurden Synagogen, Geschäfte, Wohnungen gestürmt und zerstört. Mehrere hundert Juden wurden ermordet. München, von Hitler als Hauptstadt seiner Bewegung ausgerufen, war der Ausgangspunkt für die Reichspogromnacht.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Wiederum 65 Jahre nach dem finsteren Tag - am 9. November 2003 - wurde in München mit der Grundsteinlegung für die Hauptsynagoge "Ohel Jakob" ein neues Kapitel in der jüdischen Geschichte Münchens aufgeschlagen. Das Gebäude versinnbildlicht die Rückkehr des Judentums ins Herz der Stadt.

Allerdings wäre der Anlass fast zur Katastrophe geworden. Im September 2003 fand die Polizei ein Sprengstofflager: Neonazis hatten offenbar Pläne geschmiedet, vor der Grundsteinlegung eine Bombe zu zünden. In zwei Prozessen wurden insgesamt acht Frauen und Männer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

"Blankes Entsetzen bei den Gedanken an die barbarischen Taten": Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Das Gemeindezentrum wurde schließlich 2006 eingeweiht - am 9. November. Das Gebäude sei "ein festes Versprechen, dass jüdisches Leben einen Platz mitten in unserer Gesellschaft hat", sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): "Und das lassen wir uns auch nie mehr wieder nehmen." Die Synagoge sei "ein Ausrufezeichen gewesen nach all den Fragezeichen, die es nach 1945 gab", sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU). Bei der Solidarität mit Israel dürfe es "kein Aber geben - und auch keine Enthaltung".

Die Gedenkveranstaltung war geplant worden vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Wegen diesem wurde sie ungestaltet. In einer Videobotschaft aus Israel zum Auftakt schilderte Arye Sharuz Shalicar, einer der Sprecher der israelischen Armee, den immer noch anhaltenden Ausnahmezustand in dem Land. Dieses sei überrollt worden "von barbarische Bestien", so Shalicar.

Die Hamas verfolge die gleichen Ziele wie 1938 die Nazis, führte Talya Lador-Fresher, Generalkonsulin des Staates Israel für Süddeutschland aus: "die vollkommene Vernichtung aller Jüdinnen und Juden". Anders als damals seien diese heute aber nicht mehr wehrlos.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wertete den Abend als "Signal, dass wir die Geschichte kennen". (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete den Abend als "Signal": "Als Signal, dass wir die Geschichte kennen." Der Schutz jüdischen Lebens sei nicht nur aus historischer Verantwortung zwingend: "Jeder Angriff auf jüdisches Leben ist ein Angriff auf die Freiheit aller."

Die Gedenkveranstaltung fand unter aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen statt. Musikalische Akzente setzten das Streichquartett des Jewish Chamber Orchestra Munich und der Synagogen-Chor "Schma Kaulenu". Gut 400 Gäste füllten die Synagoge.

Angereist war auch Horst Köhler (CDU), von 2004 bis 2010 Bundespräsident. Seine Botschaft: Die Münchner Synagoge sei "ein Segen für München, ein Segen für unseres Land". Und - auch mit Blick auf die aktuelle Lage in Israel - "ein guter Ort, um Hoffnung und Zuversicht zu bezeugen". Dieser "Hoffnungsort" sei eng mit dem Engagement von Charlotte Knobloch verbunden, die die schrecklichen Geschehnisse in der Reichspogromnacht als Kind an der Hand ihres Vaters erlebt hatte - und die nach dem Krieg doch wieder Vertrauen in ihre bayerische Heimat fasste.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, erinnerte auch an die Opfer und die Geiseln der Hamas. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die inzwischen 91 Jahre alte IKG-Präsidentin spannte am Ende ihrer eigenen Rede ebenfalls einen großen historischen Bogen: "85 Jahre auf den Tag, nachdem hier in Deutschland die Synagogen brannten, 85 Jahre, nachdem das Tor nach Auschwitz aufgestoßen wurde, sind heute die Erinnerungen an die Gräuel an israelischen Zivilisten noch frisch", so Knobloch: "An diesem Gedenktag gedenken wir deshalb auch der Opfer dort - und der über 200 Geiseln, die von den Terroristen der Hamas weiter gefangen gehalten werden".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGedenken an Reichspogromnacht
:"Erinnerungskultur muss gerade jetzt widerständig sein"

Der Konsens des "Nie wieder!" wird immer heftiger angegriffen. Die Vergangenheit ist umkämpft. Ein Grund dafür ist laut der Leiterin des Münchner NS-Dokumentationszentrums Mirjam Zadoff, dass es an einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft mangelt.

Interview von Thomas Radlmaier

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: