Das Regierungsprogramm der kommenden sechs Jahre steht: Grüne, SPD, Rosa Liste und Volt haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Der regelt in siebzehn Fachkapiteln, wie das neue Bündnis die Stadt gestalten will, wie sich die Parteien die Spitze der Referate aufteilen und wie die Fraktionen miteinander umgehen wollen. "Mit Mut, Visionen und Zuversicht: Ganz München im Blick" steht über dem Papier. Die SZ hat sich in einem ersten Streifzug durch den Koalitionsvertrag dessen Schwerpunkte angesehen und geprüft, was die neue Stadtregierung will - und was nicht.
Umwelt und Klimaschutz
Was drin ist: Umwelt-, Klima- und Naturschutz nehmen bei Grün-Rot einen zentralen Raum in der Vereinbarung ein. Das Referat für Gesundheit und Umwelt wird deshalb geteilt - in ein Referat für Klima- und Umweltschutz und eines für Gesundheit. Bis 2035 soll München komplett klimaneutral sein, auch in der Energieerzeugung. Gelingen soll das etwa durch den deutlichen Ausbau der Photovoltaik; die Rede ist von 15 Megawatt jährlichem Zuwachs. Bäume werden stärker geschützt, Fällungen deutlich erschwert. Der öffentliche Raum wird naturnäher gestaltet. Unterirdische Stadtbäche werden an die Oberfläche geholt, die Isar wird nördlich der Praterinsel renaturiert. Bei allen Bauvorhaben wird auf Artenschutz geachtet, und es wird ein eigener Klimaschutzfonds eingerichtet, das Volksbegehren "Rettet die Bienen" wird konsequent umgesetzt. Der Stadtrat wird durch ein Expertengremium für Klima- und Naturschutz beraten. Bis 2025 soll München auch einwegplastikfrei werden.
Was fehlt: Es ist nicht ganz klar, wie Grenzwerte für Luftschadstoffbelastungen dauerhaft eingehalten werden können.
Was es bringt: Es ist ein Bekenntnis zu deutlich mehr Natur- und Klimaschutz als bisher. Viele Punkte reichen in andere Themen wie Wohnungsbau und Verkehr hinein. Die Ziele sind hoch gesteckt. Ob sie sich angesichts der finanziellen Einbrüche durch die Corona-Pandemie alle umsetzen lassen, ist offen.
Stadtplanung und Wohnen
Was drin ist: Die Sozialgerechte Bodennutzung (Sobon) gilt als schärfstes Instrument der Stadt, bei Neubauten für erträgliche Mieten und die nötige Infrastruktur zu sorgen. Diese in München prägende Regelung soll nun deutlich ausgebaut werden. Künftig sollen 50 Prozent von privaten Entwicklungsflächen an die Stadt gehen, damit sie günstigen Wohnraum und Infrastruktur für die Allgemeinheit schaffen kann. Sie kann die Flächen dann im Erbbaurecht etwa an Genossenschaften vergeben. Dazu will die Stadt Werkswohnungen bei der Neuansiedlung von Unternehmen zur Pflicht machen, soweit rechtlich möglich. Ihre Gesellschaften sollen ebenfalls mehr bauen als bisher. Die Stadtentwicklungsmaßnahme (SEM) im Nordosten, von der sich die CSU abgewandt hatte, wird vorangetrieben. Bis zu 30 000 Menschen sollen dort einmal leben. Dazu soll künftig deutlich mehr Ökologie im Bau zum Tragen kommen. Das gilt für Materialien, Dämmung, Verkehrserschließung und Energieversorgung. Wo möglich, sollen bei Neubauten Solaranlagen zur Pflicht werden. Die Sanierungsquote im Bestand soll stadtweit auf drei Prozent steigen. Viele bestehende Instrumente sollen weiter oder intensiver genutzt werden, etwa Erhaltungssatzungen oder der geförderte Wohnungsbau auf kommunalen Grundstücken. Der Wunsch nach einer Bodenreform, die Spekulationspreise verhindern soll, wird in einem Appell an die Gesetzgeber in Bund und Land formuliert.
Was fehlt: Bewusst werden Käufer von Eigenheimen nicht mehr bezuschusst. Die entsprechende Regelung soll aufgehoben werden. Unklar bleibt dagegen, wie Grün-Rot zu Hochhäusern steht.
Was es bringt: Wenn als erste Handlungsabsicht eines Kapitels ein Appell an die Bundes- und Landesregierung vermerkt ist, wirkt das durchaus desillusionierend. Ohne Hilfe von außen wird auch diese Stadtregierung das Problem mit der Wohnungsnot und den Mieten nur mildern können. Sie will die Bemühungen verstärken, hat dafür aber weniger Geld zur Verfügung als Schwarz-Rot in den vergangenen sechs Jahren. Dafür will die Stadt selbst mehr und ökologischer bauen.
Im Bau soll künftig deutlich mehr Ökologie zum Tragen kommen.
(Foto: Flughafen München GmbH)Mobilität
Was drin ist: 80 Prozent der Wege sollen künftig mit öffentlichen Verkehrsmitteln und emissionsfreien Fahrzeugen zurückgelegt werden. Der Verkehr wird so sicher gemacht wie möglich. Für Fußgänger gibt es mehr Zebrastreifen und breitere Gehwege, Fußgängerzonen und Shared Spaces. Radwege werden zumindest dort, wo kein Tempo 30 gilt, 2,30 Meter breit - jedoch nicht zulasten von Fußgängern, des Nahverkehrs oder von Bäumen und Grün. Neue Stadtquartiere werden möglichst autofrei geplant, die Altstadt soll bis 2025 weitgehend autofrei sein. Das Busangebot wird massiv ausgebaut und bis 2030 emissionsfrei. Die Tram-Westtangente, die Nordtangente, die Linie 23 möglichst bis Fröttmaning, die 24 im Münchner Norden sowie die 17 zum Entwicklungsgebiet SEM Nordost sollen in den kommenden Jahren realisiert werden. Bei der U-Bahn haben der Bau der U9 sowie die Verlängerung von U4 und U5 hohe Priorität. Jährlich sollen mindestens 500 Parkplätze abgebaut werden. Die Giesinger Brücke und der Rad- und Fußweg über die Braunauer Eisenbahnbrücke werden kommen. Die Planungen für die Tunnel in der Schleißheimer und der Tegernseer Landstraße dagegen werden eingestellt, womöglich auch die für die Landshuter Allee.
Was fehlt: Die Grünen hatten im Wahlprogramm gefordert, bis 2025 innerhalb des Mittleren Rings möglichst den motorisierten Individualverkehr abzuschaffen.
Was es bringt: Die künftige Koalition will die Verkehrswende möglichst schnell umsetzen. Das geht klar zu Lasten von Autofahrern, die weniger Platz haben werden. Dafür erhalten der öffentliche Nahverkehr, Radler und Fußgänger deutlich mehr Raum. Ein Zurück zur autogerechten Stadt wird es danach nicht mehr geben.
Geplant sind auch Großprojekte wie der Umbau des Hauptbahnhofs.
(Foto: Simulation: Auer und Weber)Soziales und Integration
Was drin ist: Die Sozialpolitik erstreckt sich über mehrere Themenblöcke. Zum einen verspricht Grün-Rot, dass auch in finanziell schwierigen Zeiten freiwillige Leistungen unangetastet bleiben. Armut und Obdachlosigkeit sollen stärker bekämpft werden, für Kinder und Jugendliche gibt es mehr Angebote und zwei neue Jugendzentren. Ausgebaut werden aber auch Fahr- und Begleitdienste für Senioren. Im Pflegebereich ist ein Pilotprojekt nach niederländischem Vorbild geplant. Frauen und Mädchen sollen bessere Betreuung nach sexuellen Übergriffen oder Gewalttaten erhalten. Inklusion ist der Koalition wichtig. Für Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen wird eine zentrale Beratungsstelle eingerichtet, inklusive Wohnformen werden gefördert, es gibt mehr Inklusionsplätze in Kitas ebenso wie mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze bei der Stadt. Die Integration von Geflüchteten und Migranten wird verstärkt. Die Koalition will ein Willkommenszentrum für internationale Fachkräfte. Vom Freistaat fordert sie die Abschaffung der staatlichen Ankereinrichtungen sowie die Schließung des Abschiebegefängnisses am Flughafen.
Was fehlt: Viele Punkte im Programm sind allgemein gehalten, offenbar sehen sich die Koalitionäre auf einem guten Weg.
Was es bringt: Wie sich insbesondere die Armut entwickeln wird, ist angesichts der Corona-Krise kaum abzusehen. Einiges, etwa die Weihnachtsbeihilfe oder die Unterbringung von Geflüchteten, ist staatliche Angelegenheit, deshalb kann die Koalition nur appellieren.