Milliardengeschäft Erdwärme:Goldgräberstimmung im Münchner Süden

Lesezeit: 5 min

Die Gemeinde Grünwald will ihre Geothermie-Anlage in Laufzorn um zwei Bohrdubletten erweitern. Kostenpunkt: 75 Millionen Euro. (Foto: Angelika Bardehle)

Laut der TU in Garching könnten theoretisch 40 Prozent des bayerischen Wärmebedarfs aus Geothermie gedeckt werden. Grünwald und Pullach planen jetzt weitere Bohrungen - doch es kommt zur Konkurrenz mit den Stadtwerken.

Von Michael Morosow, Grünwald/Pullach

Es ist ein heißer Schatz, der unter der Erdkruste schlummert und dazu ausreichen würde, den Energiebedarf der gesamten Menschheit für Tausende von Jahren zu decken. Theoretisch. Die Praxis ist eine andere. Von der Politik vernachlässigt, kam die Geothermie im ganzen Land lange Zeit nie so richtig auf die Beine und deckt zum Beispiel aktuell gerade einmal ein halbes Prozent des gesamtbayerischen Wärmebedarfs. Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Nun aber haben Forschende der Technischen Universität München im Auftrag des bayerischen Wirtschaftsministeriums in einem Gutachten zum Masterplan Geothermie das Potenzial der Tiefengeothermie verifiziert - und das Ergebnis lässt aufhorchen: 40 Prozent des gesamten bayerischen Wärmebedarfs könnten allein durch die Erdwärme generiert werden. Laut Michaela Meier von der TU handelt es sich dabei allerdings um einen "rein theoretischen Wert". Die politisch angepeilten 25 Prozent seien als realistisch anzusehen. Wie auch immer: Die Betreiber von Geothermie-Kraftwerken im Landkreis München fordern vom Freistaat und der Bundesregierung, diesem enormen Potenzial Rechnung zu tragen, indem sie die finanziellen Förderungen dieser nachhaltigen Energieform deutlich nach oben korrigieren.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Bayern sitze geradezu auf einer Wärmflasche, hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unlängst gesagt und angekündigt, die Geothermie ausbauen und beschleunigen zu wollen. Dass der Freistaat dafür seinen Etat zur Förderung der Geothermie-Forschung gerade einmal um 2,5 Millionen auf zehn Millionen Euro aufgestockt hat, sei ein Witz, sagte zuletzt die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Claudia Köhler aus Unterhaching. Und die drei Milliarden Euro, die der Bund bis 2026 insgesamt für die erneuerbare Wärmeerzeugung aus Geothermie, Solarthermie und dem Einsatz von Großwärmepumpen sowie weitere Wärmenetzinfrastruktur zur Verfügung stellen will, bezeichnet der Geschäftsführer der kommunalen Geothermie-Gesellschaft Erdwärme Grünwald (EWG), Andreas Lederle, als geradezu "lächerlich".

"Ein Milliardenweg": Helmut Mangold (links), der Geschäftsführer der Pullacher Geothermie-Gesellschaft IEP, mit Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im örtlichen Kraftwerk. (Foto: Claus Schunk)

Auch Helmut Mangold, der Geschäftsführer der Pullacher Geothermie-Gesellschaft IEP, nimmt das Gutachten zum Anlass für eine politische Botschaft: "Der Weg dorthin ist ein Milliardenweg", sagt Mangold, und diesen Weg könnten viele weniger solvente Kommunen als Grünwald und Pullach nur beschreiten, wenn ihnen der Freistaat und dessen Haushaltsgesetz erlaubten, durch Bürgschaften abgedeckte Darlehen aufzunehmen. Ottobrunn zum Beispiel, das laut Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) selbst finanziell zu schwach ist, um Kraftwerke und Wärmenetze zu bauen und stattdessen über ein Fernwärmenetz versorgt wird, das im Besitz der Stadtwerke München ist.

Der Energiehunger der Landeshauptstadt ist nahezu unbegrenzt

Für die beiden wohlhabenden Isartalgemeinden Pullach und Grünwald dagegen ist die Finanzierung ihrer Geothermie-Anlagen zu stemmen. In beiden Orten herrscht regelrecht Aufbruchstimmung, was auch durch neue, bislang nichtöffentlich besprochene geothermische Vorhaben zum Ausdruck kommt. Grünwald, das bisher alleine in sein Leitungsnetz und die Hausanschlüsse mehr als 100 Millionen Euro gesteckt hat, will weitere 75 Millionen in die Hand nehmen, um neben dem Geothermie-Standort Laufzorn I zwei weitere Bohrdubletten zu finanzieren. Einstimmig sei dieser Beschluss im Gemeinderat gefasst worden, berichtet EWG-Geschäftsführer Lederle.

Laufzorn II soll Lederle zufolge im Endausbau circa 50 Megawatt an thermischer Leistung bereitstellen, ausreichend zur Versorgung von 6000 Haushalten. Auch Pullach wird laut dem Vorstandsvorsitzenden der IEP, Andreas Most, noch einen Zahn zulegen. Über das geplante, inzwischen aber auf der Kippe stehende Joint Venture mit den Stadtwerken München (SWM) hinaus, das ursprünglich sechs Bohrungen bei Baierbrunn vorsah, wird laut Most die IEP separat auf eigenem Terrain zwei weitere Bohrungen niederlassen. Most rechnet dabei mit Kosten in zweistelliger Millionenhöhe. Darüber werde demnächst im Gemeinderat gesprochen, so der Geschäftsführer, der aber nicht ausschließen will, dass noch eine Einigung mit den SWM erzielt werden könnte.

Aller Augen richten sich auf die Geothermie: Die Anlage in Kirchstockach bei Brunnthal ist mittlerweile im Besitz der Stadtwerke München. (Foto: Claus Schunk)

In den Überlegungen von Pullach und Grünwald, aber auch in anderen Gemeinden im Landkreis München spielt dabei der riesige Wärmebedarf der Landeshauptstadt eine große Rolle. Die geothermischen Aktivitäten im Landkreis München werden seit jeher von den Münchner Stadtwerken mit großem Interesse verfolgt, ist doch der Energiehunger der Landeshauptstadt unbegrenzt und soll zum Teil mit geothermischer Wärme aus dem Umland gestillt werden. Das ist aus Sicht der Forschenden der TU München auch sinnvoll. Verbundleitungen könnten flächendeckende Nutzung ermöglichen, heißt es in ihrem Gutachten.

Die Stadtwerke strecken dazu seit Jahren schon ihre Fühler in das Umland aus, um Kooperationen mit den Gemeinden einzugehen, wenn nicht gar in Eigenregie die Heißwasserquellen anzuzapfen. So gehören die Geothermie-Kraftwerke im Brunnthaler Gemeindeteil Kirchstockach, im Ayinger Gemeindeteil Dürnhaar und in Sauerlach heute ebenso den Stadtwerken wie die ehemaligen Fernwärmenetze der Energieversorgung Ottobrunn und der Bioenergie Taufkirchen. Erklärtes Ziel des städtischen Energieversorgers ist, die Fernwärmenetze in München und dem Umland zusammenwachsen zu lassen. Die Kosten dafür sind freilich horrend: Verbundleitungen mit einem halben Meter Durchmesser kosten circa fünf Millionen Euro pro Kilometer, das Verteilernetz schlägt mit bis zu zwei Millionen Euro pro Kilometer zu Buche.

Ein Joint Venture zwischen der Stadt und Pullach steht auf der Kippe

Ein enormes Wärmepotenzial versprechen sich die SWM von Kooperationen mit den Pullacher und Grünwalder Geothermie-Gesellschaften, die allerdings noch längst nicht unter Dach und Fach sind. Gerade das angestrebte Joint Venture mit Pullach steht inzwischen auf der Kippe, weil der Gemeinde das Geschäftsgebaren der Münchner missfällt. Diese strebten nicht nur eine Mehrheit in der Gesellschafterversammlung an, sondern wollten auch die Risikoübernahme - die Rede ist von einer Risikotranche von bis zu 60 Millionen Euro - überwiegend zu Lasten der IEP geregelt sehen, monierten die Pullacher. "Risiken auf die Gemeinde abwälzen und uns dominieren zu wollen, das brauchen wir nicht", sagt Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne). So wird möglicherweise die Gemeinde im Alleingang ein neues Fass anzapfen, wenn auch ein kleineres, als vorgesehen war. Zwei weitere Bohrungen plant die IEP jetzt auf Baierbrunner Gemeindegebiet, sechs könnten es bei Mitwirken der Stadtwerke werden, womit die größte Geothermie-Anlage Deutschlands entstehen würde.

Die Stadtwerke wollen sich zu den laufenden Verhandlungen mit beiden Isartalgemeinden gegenwärtig nicht äußern. Zurückhaltend gibt sich auch EWG-Geschäftsführer Andreas Lederle: "Grünwald sondiert weiter Möglichkeiten einer Kooperation", sagt er nur. Das gemeinsame Vorhaben läuft unter dem Namen "Projekt Perlenschnur", weil sich die acht von SWM und EWG bislang erschlossenen Quellen im Münchner Südosten wie eine Perlenschnur aneinanderreihen. In einem Joint Venture wollen die Partner nun weitere Geothermie-Anlagen erschließen und ihre Fernwärme-Netze deutlich ausbauen. Geschäftsführer Lederle blickt dabei vor allem nach Unterhaching, wo die Wärmeabnehmer dicht an dicht wohnen und viel Gewerbe angesiedelt ist.

Dass die Stadtwerke München kein einfacher Verhandlungspartner sind, davon könnte auch eine Wortmeldung von FDP-Kreisrat Manfred Riederle zeugen: Mit ihrer Finanzmacht sei die SWM der "Goliath in der Mitte, gegenüber dem wir alle nur Zwerge sind". Wenn die SWM die Bedingungen diktierten, dann zögen die Kommunen den Kürzeren. Der Landkreis München sollte deshalb einen Schutzmantel um die Kommunen breiten.

Das macht dieser jetzt auch, über die im Dezember gegründete Arbeitsgemeinschaft (Arge) "Wärmewende", mit der mehrere Kommunen künftig ihre Interessen geschlossen vertreten wollen. Die Initiative dazu war von den Gemeinden Höhenkirchen-Siegertsbrunn und Hohenbrunn, insbesondere von Hohenbrunns Klimaschutzmanagerin Ilona von Schaubert gekommen. Betreut wird die Arge von der Energieagentur Ebersberg-München. Inzwischen haben auch Grasbrunn, Putzbrunn, Taufkirchen und Brunnthal ihren Beitritt zur Arge erklärt. Ein erstes Treffen ist bereits für Anfang Januar geplant, möglicherweise sitzen bis dahin weitere Kommunen mit im Boot.

Das Gutachten zum Masterplan Geothermie Bayern wurde im Auftrag des bayerischen Wirtschaftsministeriums von Forschenden der Geothermie-Allianz erstellt, von denen ein Großteil an der Technischen Universität in München arbeitet. In einer früheren Fassung war irrtümlich von Studenten am TU-Standort in Garching die Rede. Der Bund will die drei Milliarden Euro für die erneuerbare Wärmeerzeugung aus Geothermie, Solarthermie und dem Einsatz von Großwärmepumpen sowie weitere Wärmenetzinfrastruktur zudem bis 2026 zur Verfügung stellen. In einer früheren Fassung stand fälschlich 2016.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusEnergiekrise
:"Es gibt Fälle, wo man Kunden eventuell abschalten muss"

Bisher konnten die Gemeindewerke Haar ihre Preise für Gas und Strom stabil halten, doch zum Jahreswechsel müssen auch sie erhöhen. Ein Gespräch mit dem scheidenden Chef und seinem Nachfolger über die aktuellen Herausforderungen und den Wert kommunaler Versorger.

Interview von Bernhard Lohr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: