Verkehrswende im Landkreis:Radlhauptstadt München-Land

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Schnellverbindungen und ein fast flächendeckendes Leihsystem: Auch wenn noch nicht alle Pläne verwirklicht sind, darf sich der Landkreis München offiziell fahrradfreundliche Kommune nennen.

Von Bernhard Lohr, Landkreis

Mal wurde ein Radweg eröffnet, mal eine Mietrad-Station eingeweiht: Nichts lieferte in den vergangenen Jahren mit größerer Zuverlässigkeit Bilder von fröhlichen Kommunalpolitikern, als wenn es galt, sich aufs Fahrrad zu setzen und strampelnd dieses als Fortbewegungsmittel zu propagieren. So gesehen erscheint es fast verwunderlich, dass der Landkreis München gemeinsam mit der Gemeinde Oberschleißheim erst in der vergangenen Woche offiziell das Zertifikat "fahrradfreundliche Kommune" überreicht bekommen hat. Tatsächlich ist viel vorangebracht worden. Noch viel mehr ist in Planung und um manches wird auch noch hart gerungen.

An viele Errungenschaften haben sich die Landkreisbürger bereits gewöhnt. So trifft man an den abgelegensten Orten im Landkreis München auf die blaugrauen Räder der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Als Vorreiter in Deutschland hat der Landkreis München außerhalb einer Großstadt ein nahezu flächendeckendes Leihrad-System aufgebaut. Dieses wird als Modellprojekt wissenschaftlich begleitet. Hohe Ausleihzahlen bestätigen, dass sich der Schritt gelohnt hat. Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) weiß von Überlegungen, das Erfolgsmodell auch in Gemeinden im Landkreis Freising anzubieten.

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Das Beispiel mit den Mieträdern zeigt aus Sicht des Verkehrsexperten der Grünen im Landtag, Markus Büchler aus Oberschleißheim, dass der Landkreis München auf dem richtigen Weg ist. Die Auszeichnung des Landkreises hält er für "angemessen", wie er sagt. Im Dezember wurde eine schnelle Radhauptverbindung im Landkreis München von Sauerlach nach Geiselgasteig eröffnet. Das größte Infrastruktur-Projekt im Landkreis allerdings stockt. Wann der gerne als "Radl-Autobahn" bezeichnete Radschnellweg von München nach Garching und Unterschleißheim kommt, steht in den Sternen.

Wegen der jahrelangen Debatte über die sechs Meter breite Trasse wurde schon der Vergleich zum Berliner Hauptstadt-Flughafen gezogen, der nie fertig zu werden schien. Vergangenen August kam Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in Garching natürlich auf dem Radl angefahren, um für den Radschnellweg 2,3 Millionen Euro an Bundeszuschuss zu überreichen. Kurz vor Weihnachten gab der Kreistag 670 000 Euro für die Planung frei. Doch Zweifel bleiben. Garchings Bürgermeister Gruchmann hält nach wie vor die geplante Streckenführung an der B 471 für problematisch. Wie die Planer an dieser noch für den Autoverkehr auszubauenden Straße mit vielen Zufahren eine sechs Meter breite Fahrradspur unterbringen wollen, ist ihm ein Rätsel.

Aber die größten Probleme sieht er auf dem Gebiet der Stadt München, wo der Radschnellweg bis zum Stachus geführt werden soll. Das Projekt müsse zig Bezirksausschüsse passieren, sagt er. Die Debatten dort über wegfallende Parkplätze mag er sich gar nicht ausmalen. Bis der Radschnellweg auf Münchner Flur fertig werde, sagt Gruchmann, "ist meine Amtszeit vorbei." Markus Büchler sieht die Defizite auch auf Münchner Seite und warnt zudem davor, die Trassen im Landkreis in Frage zu stellen. Das würde alles nur weiter in die Länge ziehen.

Der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad ist auch nicht als Schnellschuss-Projekt angelegt. Die im Jahr 2012 gegründete Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Kommunen (AGFK) soll den Prozess in den Städten, Gemeinden und Landkreisen anstoßen und steuern. Der Landkreis München ist seit 2015 Mitglied in der Organisation, der außerdem acht Städte und Gemeinden aus dem Landkreis angehören; darunter Kirchheim, Unterschleißheim, Ismaning und Garching.

Einige Kommunen wie jetzt auch Oberschleißheim sind als fahrradfreundlich zertifiziert. Ungeachtet dessen sieht Verkehrsexperte Büchler ein Problem darin, dass die Kommunen im Kleinklein das Großprojekt einer Verkehrswende voranbringen sollen. Der Freistaat müsste das angehen, wie es in Baden Württemberg oder Nordrhein-Westfalen sei. Dort kämen Großprojekte wie Radschnellwege auch zügiger voran.

Dass Oberschleißheim sich jetzt die Fahrradfreundlichkeit auf die Fahnen schreibt, mag verwundern. Viele Radwege gibt es nicht. Büchler sieht in seiner Gemeinde, die 2012 sogar Gründungsmitglied der AFGK war, bis heute große Defizite. Doch bei der Zertifizierung wird Büchler zufolge sehr darauf geschaut, was das Rathaus sich für Ziele setzt. Und da hat sich nach Aussage von Rathaus-Sprecherin Doris Rohe zuletzt wieder etwas getan. 2020 war man Ausrichter der Aktion "Staffelfahrt der Nord-Allianz", Fahrradstraßen sind geplant. Vor allem war man federführend bei der Machbarkeitsstudie für einen interkommunalen Radweg entlang der Bahn. Die Verbindung von Feldmoching über Oberschleißheim, Unterschleißheim und Eching bis nach Freising wäre die zweite große Trasse im Norden. Dazu werden in den Gemeinden Radwege ausgebaut und Fahrradstellplätze geschaffen.

Im Februar soll der Kreisausschuss über ein umfassendes Radverkehrskonzept für den Landkreis beraten. Ein "Wunschroutennetz" wurde ausgearbeitet, damit man künftig flott von Ort zu Ort radeln kann.

© SZ vom 05.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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