Kampagne:Wie München gegen Hasskriminalität kämpft

Lesezeit: 3 min

"München gegen Hass": Polizeipräsident Thomas Hampel (links), Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (2. von links) und Miriam Heigl (Fachstelle für Demokratie / 2. von rechts) stellten die Kampagne zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Gruppen vor (im Bild Alexander Adler, Pia Chojnacki und Nesrin Gül). (Foto: Robert Haas)

Mehr als 400 Fälle wurden 2022 angezeigt - doch nur etwa jedes zehnte Opfer geht überhaupt zur Polizei. Eine neue Kampagne will Betroffenen nun Hilfe leisten - und Zeugen zu mehr Zivilcourage ermutigen.

Von Martin Bernstein

Der Hass ist alltäglich. Und er zeigt sich öffentlich: 414 Fälle von Hasskriminalität, darunter 56 Gewalttaten, hat die Münchner Polizei im vergangenen Jahr registriert. Verübt wurden die Taten im Wohnumfeld, im öffentlichen Nahverkehr, auf der Straße und am Arbeitsplatz. So erschreckend die Zahlen sind - sie zeigen lediglich die Spitze des Eisbergs. Denn nur etwa jeder zehnte Übergriff wird in München überhaupt aktenkundig, viel weniger als andernorts. Beides zu ändern, haben sich Stadt und Polizei jetzt vorgenommen. Am Dienstag hat die städtische Fachstelle für Demokratie die Kampagne "München gegen Hass" vorgestellt.

Dass 40 Prozent der Opfer von "Hate Crime" dauerhaft an den Folgen der verbalen oder körperlichen Attacke leiden, aber nur neun Prozent Strafanzeige stellen, hat eine 2021 veröffentlichte Studie der Stadt ergeben - und eine der Antworten, warum das so ist, gleich mitgeliefert: Mehr als die Hälfte der Betroffenen gab jeweils an, dass Zeuginnen oder Zeugen weggeschaut hätten oder weggegangen seien, und dass sie nach der Tat keine Unterstützung erfahren hätten. Deutlich wurde aber auch, dass oft das Wissen fehlt, wo man sich Hilfe holen kann, wie man Anzeige erstattet - und was Hate Crime überhaupt ist.

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Im Mittelpunkt der am Dienstag im Rathaus vorgestellten Kampagne steht deshalb die Information - für Betroffene, aber auch für mögliche Zeugen. Das Münchner Polizeipräsidium und die Fachstelle erläutern auf der Internet-Seite beispielsweise, was es mit dem "kleinen Zeugenschutz" auf sich hat, an wen man sich wenden kann, wenn man Opfer eines Hassverbrechens geworden ist - aber auch, wie Betroffene sich über mögliches Fehlverhalten der Polizei beschweren oder wen sie einschalten können, wenn ihnen nicht geglaubt wird oder sie nicht ernst genommen werden. "Hol dir Hilfe!" ist ein Kapitel der Kampagne überschrieben, die Miriam Heigl, die Leiterin der Fachstelle vorstellte. "Zeig's an!" lautet ein weiterer Appell. Aber eben auch: "Zeig Zivilcourage!"

Rassismus (die Polizeistatistik für 2022 führt 370 Fälle von "Fremdenfeindlichkeit" auf), Antisemitismus (97) und verschiedenste Formen sexistischer Übergriffe (insgesamt 53) spielen bei den meisten Hassdelikten in München eine Rolle, daneben aber auch islamfeindliche oder antiziganistische Vorurteile. Vertreter der betroffenen Gruppen kamen am Dienstag im Rathaus zu Wort. Was sie eint, ist die Hoffnung, als potenzielle Betroffene von Hate Crime jetzt "endlich gesehen und ernst genommen zu werden", wie es Pia Chojnacki für die schwarze Community formulierte.

Die Kampagne könne nur ein Startschuss sein

Mit den Vertreterinnen und Vertretern anderer Betroffenengruppen ist sich die Münchnerin aber in einer Frage einig: Die jetzt gestartete Kampagne, die einen zweiten Höhepunkt rund um den siebten Jahrestag des rassistisch motivierten OEZ-Anschlags am 22. Juli finden soll, könne nur "ein erster Schritt sein" - ein "Startschuss", wie Michael Movchin, der Vorsitzende des Verbands jüdischer Studenten in Bayern, sagte.

Vertrauen in die Behörden, Wissen um die rechtlichen Möglichkeiten, aber auch die Zivilcourage der Mitbürger: All das sei nötig, "um sich auch als Teil der Bevölkerung gesehen zu fühlen", betonte Alexander Adler aus Sicht der Sinti und Roma. "Hate Crime verletzt Menschen in ihrer Menschenwürde", sagte die Alevitin Nesrin Gül, Mitglied im Migrationsbeirat der Stadt München. Das habe Folgen - für die Betroffenen selbst, für ihr Umfeld, aber auch für das Zusammenleben in der Stadt, wie Bürgermeisterin Katrin Habenschaden am Dienstag deutlich machte.

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Die Grünen-Politikerin fragte, ob München wirklich immer und überall die bunte und weltoffene Weltstadt mit Herz sei, als die sie sich so gerne sehe: "Oder schauen wir manchmal nicht so genau hin?" Habenschadens Fazit: "Erst wenn sich auch Minderheiten überall angstfrei bewegen können, ist die Stadt wirklich tolerant." Dazu kann nach Pia Chojnackis Überzeugung jede und jeder Einzelne beitragen, denn: "Wir alle haben verinnerlichte Vorurteile." Um Hasskriminalität wirksam zu bekämpfen, seien strukturelle Veränderungen nötig.

Daran arbeitet auch die Münchner Polizei - "im ständigen Austausch mit vulnerablen Gruppen", wie es Polizeipräsident Thomas Hampel formulierte. Dieser Austausch sei wichtig, um das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu stärken, aber auch um Polizistinnen und Polizisten zu sensibilisieren und "kulturell stark" zu machen. Das Ziel der Polizei sei es, die Täter von Hassverbrechen, die sehr oft Mehrfachtäter sowohl im Netz als auch im realen Leben seien, aus ihrer Anonymität zu holen.

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