SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 126:"Ich fühle mich hier gefangen"

Lesezeit: 2 min

In Scharen wie hier beim Marathon laufen die Patienten zwar nicht aus der Ebersberger Kreisklinik davon - aber es kommt immer mal wieder vor, dass einer partout nach Hause will. (Foto: Andreas Gora/IMAGO)

Manchmal hat es Pola Gülberg mit Patienten zu tun, die gegen ärztlichen Rat die Klinik verlassen möchten - keine leichte Situation für die Pflegerin. Manchmal gibt es aber einleuchtende Erklärungen für das uneinsichtige Verhalten.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

"Nö, ich mag das jetzt nicht mehr - hier passiert ja eh nichts, ich will jetzt heimgehen!" Es war mitten in der Nacht, als einer meiner Patienten auf einmal beschloss, dass er unbedingt nach Hause möchte. Und zwar sofort. Der Mann hatte auf einer Familienfeier darüber geklagt, dass ihm ständig schwindelig wurde, schließlich stürzte er sogar. Weil ihm und seiner Frau ein Urlaub bevorstand und er das Auto hätte fahren sollen, sagte sein Sohn zu ihm: "Papa, das musst du abklären lassen - ab ins Krankenhaus mit dir." So erzählten es uns die Angehörigen. Die ersten Untersuchungen ergaben nichts Konkretes, also sollte der Mann mindestens 24 Stunden lang am Monitor überwacht werden. Er war damit einverstanden. Zunächst jedenfalls.

Durch das Monitoring wollten die Ärzte sehen, ob der Patient Herzrhythmusstörungen hatte, die Ursache für die Schwindelanfälle waren. Da reicht es nicht aus, einfach mal ein paar Minuten oder ein, zwei Stunden lang die Werte zu beobachten.

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In der Nacht konnten wir ihn doch noch davon überzeugen, zumindest bis zum Morgen abzuwarten. Gott sei Dank, denn die Ärzte stellten schließlich bei seinen Werten Auffälligkeiten fest. Genaueres sollte ein Herzultraschall in Erfahrung bringen. Es war ein Sonntag, da können solche Untersuchungen nur in akuten Notfällen durchgeführt werden. Der Mann war aber keiner, deshalb hieß es: weiter die Werte überwachen und bis Montag warten.

Montagfrüh kam ich wieder zum Dienst. Bei der Übergabe wurde mir schon gesagt, dass der Patient vor allem gegenüber uns Pflegekräften immer renitenter geworden war. Als ich zu ihm ins Zimmer ging, hatte ein Arzt ihn gerade eben wieder beruhigen können - "ich fühle mich hier gefangen", hatte er sich beschwert und wollte sich abkabeln.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Als der Arzt zu einem Notfall gerufen wurde, ging es wieder los: "Hier wird man ja überwacht." Ich sprach mit ruhiger Stimme und erklärte ihm: "Ja, Ihre Herzqualität wird überwacht - das ist zu Ihrem eigenen Schutz." Ich habe ihm sogar angeboten, ihn vorübergehend an einen kleineren portablen Monitor anzustecken. So konnte er aufstehen und auf die Toilette gehen. Doch auch das beruhigte ihn nicht langfristig. Als er wieder zurückkam, zog er sich an und packte seine Sachen. "Ich gehe jetzt", sagte er. Es hat mich viel Deeskalationsmühe gekostet, ihn davon zu überzeugen, abzuwarten, bis ein Arzt da ist. Denn wenn jemand gegen ärztlichen Rat eine Klinik verlässt, muss ein Arzt ein entsprechendes Dokument aushändigen und vom Patienten unterschreiben lassen. Ansonsten ist die Klinik verpflichtet, die Polizei zu rufen.

Letztlich haben wir es doch geschafft, dass der Mann bei uns blieb. Und wenig später gab es auch eine Erklärung für sein uneinsichtiges Verhalten: Der Mann befand sich in einem beginnenden Delir, weil er auf Alkoholentzug war - sein Frau hatte zu Hause regelmäßig versteckte leere Weinflaschen gefunden. Leider hatte uns zunächst niemand diese wichtige Information mitgeteilt. Dann hätten wir anders reagieren können und dem Mann wohl einiges an Verwirrung und Angst ersparen können.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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