SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 153:Patient allein im Krankenhaus

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Der Patient von Pola Gülberg war nicht ansprechbar, als er mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme kam. (Foto: Leonhard Simon)

Ein Patient von Pola Gülberg kommt als Notfall in die Klinik - schnell ist klar, dass er länger bleiben muss. Doch er will nicht, dass seine Angehörigen informiert werden. Dabei liegt er mit niemandem aus der Familie im Streit. Was ist da los?

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Mein Patient, ein schon etwas älterer Mann, kam als Notfall ins Krankenhaus - er musste intubiert werden, dann wurde er auf die Intensivstation gebracht. Als wir ihn ein paar Tage später extubieren konnten, war ich darüber gleich doppelt froh: Nicht nur, weil es ihm besser ging, sondern weil wir zum ersten Mal mit ihm sprechen konnten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Informationen über Angehörige und konnten dementsprechend niemandem Bescheid geben, dass er bei uns war. Als der Mann einigermaßen wach war, fragte ihn also die behandelnde Ärztin, ob wir jemanden anrufen sollen. "Nö, eigentlich nicht", sagte mein Patient. Die Ärztin hakte nach - keine Familie? Kinder? Frau? Wir erfuhren, dass er sehr wohl Kinder hatte, es gab auch eine Frau, von der er getrennt lebte, und eine neue Partnerin. Anrufen sollten wir trotzdem nicht.

Natürlich ist es schade, wenn ein Patient keinen Besuch haben möchte. Ich glaube, dass viele unserer Patienten unterschätzen, wie förderlich ein vertrautes Gesicht am Krankenbett für die Genesung ist: Wenn es einem psychisch nicht gut geht, weil man zum Beispiel Angst hat oder sich einsam fühlt, dann kann das dem Gesundwerden im Weg stehen. Dann hilft in vielen Fällen die Anwesenheit der Partnerin oder des Partners.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 93
:Mal schauen, was noch geht

Gerade bei sehr alten Patienten ist der Impuls stark, ihnen im Krankenhaus eine Rundumversorgung zu geben: vom Waschen über das Zähneputzen bis hin zum Essen. Doch genau das wäre falsch, sagt Pola Gülberg. Das Ziel der Pflege ist ein anderes.

Protokoll: Johanna Feckl

Trotzdem hat auch jeder Mensch das Recht, seine Ruhe haben zu wollen. Das akzeptieren wir, selbstverständlich. Und immer wieder kommt es auch vor, dass es einfach niemanden gibt, dem wir Bescheid geben könnten. Vor allem im Alter fristen viele Menschen ein einsames Dasein.

Die Situation bei meinem Patienten jedoch stellte sich anders dar. Er hatte ja Angehörige, sogar eine Partnerin, weder mit den Kindern noch der Ex-Frau lag er im Streit. Zumindest erzählte er davon nichts. Da bin ich hellhörig geworden. Konnte es tatsächlich sein, dass er niemanden sehen wollte? Dass er nicht mal telefonieren mochte? Als ich während unserer ersten Unterhaltung zudem den Eindruck hatte, dass er nicht ganz orientiert in Raum und Zeit war, fragte ich nochmal genauer nach.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Wollen Sie denn wirklich keinen Besuch?", fragte ich ihn. Daraufhin meinte mein Patient, dass er ja eh bald wieder heim dürfe. Doch das stimmte nicht. Wieder ein Zeichen dafür, dass er sich nicht so recht auskannte. Also erklärte ich ihm, dass er schon noch eine Weile hier bleiben müsse und es deshalb gar nicht so verkehrt wäre, wenn ihm jemand ein paar Sachen vorbeibringen könnte. Er war mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gekommen - im Grunde hatte er nichts bei sich. "Ach so, hm, ja, dann wäre es vielleicht doch ganz gut, wenn Sie jemanden anrufen", sagte der Mann daraufhin.

Im Nachhinein glaube ich, mein Patient hatte nie den konkreten Wunsch, alleine im Krankenhaus zu sein. Er konnte nur die Situation, in der er sich befand, nicht vollständig begreifen. Entweder wegen Nachwirkungen der Sedierung während seiner Intubation, oder aber es waren Hinweise auf eine beginnende Demenz.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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