SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 101:Schnipp, schnapp - Bart ab?

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Viele Männer tragen Bart, manche sogar einen recht extravaganten, wie man auf der Bart-Olympiade 2021 in Eging am See sehen konnte. Doch nicht immer ist die Haarpracht im Gesicht erwünscht. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Einem Patient von Pola Gülberg war über viele Wochen hinweg ein ordentlicher Rauschebart gewachsen. Ob der Mann ihn wollte, wussten die Pflegekräfte nicht - er war sediert. Doch als er wieder wach war, wurde klar, wie wichtig die Frisur im Gesicht für den Genesungsprozess sein kann.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor ein paar Wochen habe ich einen Patienten versorgt, der mittels einer Trachealkanüle geatmet hat - das ist ein Schlauch, der über einen Schnitt im Hals mit der Luftröhre verbunden ist. Wegen ebenjenem Schlauch konnte er nicht sprechen, also haben wir uns mit Händen und Füßen verständigt. Als ich ihm nun erklärte, dass ich ihn gerne etwas frisch machen möchte, tippte er immer wieder auf seinen Mundbereich. Zunächst verstand ich nicht, was er meinte: Den Mund befeuchten? Essen? Trinken? Zähneputzen? Ich fragte alles ab, doch jedes Mal deutete mir der Mann einen erhobenen Zeigefinger und schüttelte die Hand - ein Nein also. Da kam mir eine letzte Frage in den Sinn: "Möchten Sie, dass ich Sie rasiere?" Er zeigte mir den Daumen nach oben.

Mein Patient lag schon einen Monat bei uns auf der Intensivstation. Er wurde wegen einer schlimmen Lungenentzündung behandelt, mehrere Woche lang war er intubiert gewesen - er war erst Ende 50, aber es ging ihm wirklich sehr schlecht. Zeitweise stand sogar im Raum, ob man einen Teil seiner Lunge operativ entfernen muss. Dazu ist es dann Gott sei Dank nicht gekommen - irgendwann besserte sich sein Zustand. Langsam.

Mittlerweile umrahmte das Gesicht des Mannes tatsächlich schon ein richtiger Rauschebart, bestimmt fünf, sechs Zentimeter lang. Alles war einfach gewachsen, ohne Form und Schnitt - mein Patient schien sich unwohl damit zu fühlen. Also holte ich einen Langhaartrimmer, hob ihn vor ihm empor und vergewisserte mich noch einmal: "Sie möchten, dass ich Ihren Bart abrasiere - ist das richtig? Sind Sie sich sicher?" Wieder zeigte er den Daumen nach oben und nickte, so gut er es durch die Tracheotomie konnte. Also legte ich los und stutzte seinen Bart auf wenige Millimeter, am nächsten Tag folgte eine Nassrasur, um die übrigen Stoppeln loszuwerden.

Es war wichtig, dass ich mich so oft rückversichert habe. Denn einfach so dürfen wir niemanden rasieren - ist der Patient nämlich gar nicht einverstanden, dann begehen wir damit eine Körperverletzung. Deshalb wurde der Mann auch in den vier Wochen, in denen er schon bei uns war, nicht rasiert: Fragen konnten wir ihn ja nicht, er war durch die Medikamente im Dämmerschlaf, und seine Familie hatte sich für den Bart entschieden. Außerdem hat die Bartlänge natürlich nicht oberste Priorität. Der Mann hat schließlich um sein Leben gekämpft.

Eine völlig unwichtige Rolle spielen ein paar Barthaare hin oder her dennoch nicht, das habe ich nach der Rasur sofort bestätigt bekommen: Mein Patient hat gestrahlt, er sah glücklich und zufrieden aus, hat sich immer wieder über die fast glatten Wangen gestrichen. Jetzt sah er wieder mehr wie er selbst aus - er fühlte sich wohl. Und auch das unterstützt den Genesungsprozess.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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