Open Air:Isoliert und voll dabei

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Die Strandkorb-Open-Airs bringen wieder Festival-Stimmung für Tausende Konzert-Fans zurück. Bis kurz vor knapp mussten die Veranstalter wie der Würzburger Manfred Hertlein zittern.

Von Michael Zirnstein, Rosenheim

Kaum ein Beruf ist in der Pandemie so frustrierend wie der des Konzertveranstalters. Man tut und macht, plant, verlegt, sagt ab, und nichts kommt raus oder zurück. Derweil die Biergärten, Züge und Fußgängerzonen längst wieder brummend voll sind. So trist sieht es Manfred Hertlein. Der Würzburger ist seit 42 Jahren im Geschäft, hat mehr als 25 000 Konzerte auch in den größten Stadien des Landes gestemmt, aber so eine Krise hat er noch nie erlebt. Als der bescheiden auftretende, oft "Musikarbeiter" genannte Mann nach "14 Monaten Berufsverbot" und "langem Kampf" mit Behörden und der Staatskanzlei Anfang Juni endlich wieder loslegen zu dürfen schien, wurde es knifflig. "Alles stand auf der Kippe", sagt er.

Eigentlich hatten er und sein Team alles vorbereitet. Mehr als die Politik jedenfalls, der er "Versagen" vorwirft, "sie war einfach nicht da für uns in der Krise". Wie kaum ein anderer Veranstalter war er ins Risiko gegangen. Für zwei Festivals hatte er nicht nur Dutzende Stars von Jan Delay über Helge Schneider und Fritz Kalkbrenner bis Rolando Villazón angeworben, zudem kaufte er 1300 Strandkörbe für Hunderttausende Euro. Die Idee und die Lizenz für das Konzert-Projekt kamen aus Mönchengladbach. Dort hatten in der ersten Pandemie-Saison in 60 Veranstaltungen 50 000 Gäste wieder so etwas wie normalen Open-Air-Zauber erlebt: jeweils paarweise in Strandkörben (mit eigenem Desinfektionsspender und Kühlbox für vorab georderte Drinks) und zudem in durch Zäune getrennten Publikums-Blöcken voneinander isoliert. Das Konzept ging prima auf, so dass es heuer bundesweit 25 Ableger geben wird, in Bayern organisiert Manfred Hertlein ein fünf-wöchiges Open-Air in Rosenheim für 1000 Besucher, in Augsburg eines für 1400, weitere lokale Agenturen bespielen Nürnberg, Regensburg und Cham.

Nun können die Open Airs mit voller Kapazität starten

Beinahe hätte Hertlein alles abblasen, oder zumindest viele Ticketbesitzer wieder ausladen und entschädigen müssen. Denn bis vor einer Woche erlaubte die Staatsregierung unter freiem Himmel nur 500 Besucher (es sei denn, sie trafen sich mit 15 000 anderen zum EM-Kick). Dass Markus Söder dann auf einmal doch 1500 Kulturgäste von 1. Juli an erlaubte, war für Hertlein eine "krasse Überraschung" und erspart dem Steuerzahler viel Geld: Denn sonst hätte wohl nicht nur Hertlein Hundertausende Euro beim Bund aus dem Festival-Corona-Fonds eingefordert. Nun aber kann er mit voller Kapazität starten. Nur in Augsburg müsse er eventuell die ersten Konzerte mit Mono Inc. (2. Juli), Moop Mama (3.) und Max Giesinger (4.) noch auf 500 Plätze beschränken, weil die örtliche Behörde auf die schriftliche Verordnung der Staatskanzlei warte.

In Rosenheim war man flexibler, dort arbeitet Hertlein überaus produktiv mit der Landesgartenschau GmbH und dem Rathaus zusammen. Alle wollen den kulturell ausgehungerten Bürgern wieder etwas bieten. So fragte man bewusst die "Big Names" an, sagt Birgit Gibson, Hertleins Pressesprecherin, "Leute, die sonst auch mal Stadien füllen, aber bereit wären, auch vor weniger Zuschauern zu spielen". Gibson nutzte persönliche Kontakte, um den Weltklasse-Tenor Rolando Villazón für nur eines von zwei Konzerten in Deutschland nach Rosenheim zu locken. Dass der Mexikaner zusammen mit dem Harfenisten Xavier de Maistre am 18. Juli einen südamerikanischen Liederabend gebe, passe prima zum Urlaubsfeeling. Im Mangfall-Park sind das die deutschen Songwriter-Lieblinge Johannes Oerding (zum Start am 3. Juli, und am 5. Juli), Michael Schulte, Wincent Weiss, Joris oder Gil Ofarim, die Bayern-Popstars Hannes Ringlstetter, Werner Schmidbauer, Haindling und Claudia Koreck, und internatonale Größen wie die mit dem Amadeus-Award prämierten Austro-Musikkabarettisten Pizzera & Jaus oder der Belgier Milow (der neben Alice Merton, Joy Denalane, Element of Crime und den Münchner Symphonikern dann auch in Regensburg zu sehen ist). Bewusst setzte man auf ein populäres, buntes Programm mit Ballermann-Spaß ("Rosenheim Ole" mit Mia Julia) und Comedy-Splash, mit "brutaler Härte" (Stahlzeit) und TV-Softies wie Deine Freunde oder Ray Garvey.

Mit Jan Delay ist - dank des neuen Albums "Earth Wind & Feiern" - auch der deutsche Soul-Man der Stunde vertreten, gleich an zwei Abenden. Und kurz darauf auch in Cham und in der Messe Augsburg. Denn alle Strandkorb-Open-Airs teilen sich einen Pool an Künstlern. Sie dürfen aber eigene Schwerpunkte setzen. In Augsburg etwa mit den Gröbenzeller Mittelalter-Rockern Schandmaul oder den lokalen Italo-Pop-Überfliegern Roy Bianco & die Abbrunzati Boys.

Die Eintrittspreise sind nur ein wenig teurer als normal. Kostendeckend sei das nicht, "nee nee nee", sagt Manfred Hertlein. Er wollte es trotzdem durchziehen - für die Künstler, für das Backstage-Personal, für die Kulturfreunde. Und vielleicht auch ein wenig für sich. Damit irgendwann wieder etwas zurückkommt.

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