Franken:Der "Meilenstein" wird verworfen

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Für Kosten von nur einem Euro pro Tag die Nürnberger U-Bahn nutzen - das bleibt vorläufig allenfalls ein Wunsch. (Foto: imago images/IPA Photo)

Mit der Einführung des 365-Euro-Tickets für Jedermann wollte Nürnberg in die Historie eingehen. Nun haben sich CSU und SPD auf ein zumindest vorläufiges Aus geeinigt.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die "erste große Stadt in Deutschland", die sich zum 365-Euro-Ticket bekennt, wollte Nürnberg werden. So hat das Oberbürgermeister Marcus König (CSU) im Juni 2020 formuliert und angekündigt, man werde spätestens vom 1. Januar 2023 an ein solches Ticket im Stadtgebiet für alle Bürger einführen. Ein "Meilenstein" wurde in Aussicht gestellt, "Geschichte" werde man damit schreiben. Nun aber dürfte Nürnberg lediglich die erste große Stadt werden, die ein versprochenes 365-Euro-Ticket wieder cancelt.

In der kommenden Woche tritt der Stadtrat zusammen, der zentrale Diskussionspunkt soll dann das "365-Euro-Jahresabo für alle als Nürnberger Insellösung" sein. Der Beschlussvorschlag sieht vor, dass die Stadt von der vor knapp zwei Jahren einstimmig beschlossenen Ticketeinführung nun doch absehen möchte - und man erst dann wieder darüber entscheiden wolle, wenn eine "ausreichende Gegenfinanzierung" gesichert sei.

Als Grund führt die Stadt ein Gutachten an, demzufolge so ein Ticket zwar "hohe Kosten" im Verkehrsverbund nach sich ziehen würde - allerdings wohl lediglich einen geringen Zuwachs an neuen Fahrgästen. Die Verkehrsbetriebe (VGN) gehen von einem Anstieg von höchstens 3,2 Prozent aus, die sich zum Umsteigen im Nürnberger Großraum überreden lassen würden. Angesichts dieser Zahlen - und ausbleibender Förderung durch den Freistaat - hatte der VGN eine Einführung des Tickets im Verkehrsverbund abgelehnt.

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Die Zahl der Fahrgäste würde kaum steigen

Also müsste die Stadt das Ticket innerhalb der Gemarkung Nürnbergs einführen, die sogenannte Insellösung. Aber auch da erwarten die Verkehrsplaner wenig Gutes: Jährlichen Zusatzkosten von 23,6 Millionen Euro stünde angeblich lediglich eine Steigerung der Nachfrage um 3,6 Prozent gegenüber. Und auch für so ein Ticket gäbe es derzeit keine Fördermittel.

Schon vor einem Monat hatte sich das vorläufige Aus für das Ticket abgezeichnet. Da hatte die Regierung von Mittelfranken den Haushalt für 2022 zwar genehmigt, dies jedoch nur unter "strengen Auflagen". Dabei sei - so teilte die Stadt mit - "ausdrücklich" auch auf das 365-Euro-Ticket hingewiesen worden. Die flankierenden Anmerkungen von SPD-Stadtkämmerer Harald Riedel ("Die Vorgaben der Regierung von Mittelfranken sind eindeutig") sowie CSU-Rathauschef König ("Wir haben verstanden") ließen kaum einen anderen Schluss zu: Das Ticket ist schon Geschichte, ehe es eingeführt worden ist.

SPD-Stadtratschef Thorsten Brehm macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. "Mir persönlich fällt das sehr schwer", sagt er - aber ihm fehle schlicht die Fantasie, wie die Stadt jährlich 23,6 Millionen zusätzlich aufbringen solle. Zumal die Regierung ihren unmissverständlichen Hinweis der Stadt noch vor dem Ukraine-Krieg habe zukommen lassen, durch den nun weitere Belastungen auf die Stadt zukommen dürften. So sieht das auch CSU-Stadtratschef Andreas Krieglstein: "Die Aussichten werden nicht besser", sagt er - und das auch bei möglichen Fördermittelgebern nicht, für die nun anderes vordringlich sein dürfte als die "365-Euro-Insellösung für Nürnberg". Zwar will Nürnbergs SPD-Chef Nasser Ahmed noch an der Formulierung des Beschlussvorschlags gefeilt wissen, einen Akzent auf die Verkehrswende legen - im Grundsatz aber sei sich das schwarz-rote Rathausbündnis einig: kein 365-Euro-Ticket zum Ende des Jahres.

Initiative sammelt schon wieder Unterschriften

Für Titus Schüller grenzt der Vorgang an eine "Unverschämtheit". Der Linken-Stadtrat und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter hatten vor zwei Jahren bereits 20 000 Unterschriften für ein 365-Euro-Ticket gesammelt, genug um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Ehe es aber dazu kam, hatte sich die Stadt unter diesem Druck auf einen Kompromiss eingelassen: Statt bereits 2021, wie von Schüllers Initiative ursprünglich beabsichtigt, versprach man, das Ticket 2023 einzuführen. Der Kompromiss sei am großen Tisch zustande gekommen, der OB, die Fraktionen und die Initiative waren beteiligt. Nun aber sei die Initiative außen vor - "und das ist schlicht unverschämt", sagt Schüller. In weiser Voraussicht habe man längst damit begonnen, erneut Unterschriften zu sammeln.

Schüller glaubt nicht an einen angeblich geringen Fahrgastzuwachs. Und solange die Stadt an Großprojekten wie dem Frankenschnellweg festhalte, sehe die Initiative auch keinen Grund für den Verzicht auf das günstige Ticket. Ein Viertel der notwendigen Unterschriften habe man bereits zusammen, Schüller hat wenig Zweifel, dass es diesmal zum Bürgerentscheid kommen wird. Unterstützt wird seine Initiative vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der den Stadtrat auf dem Weg in die Unglaubwürdigkeit sieht: Das Bewusstsein, dass ein solches Ticket zusätzliches Geld kostet, hätte man von einem "mündigen 70-köpfigen Stadtrat" erwarten können.

Ein Bürgerentscheid? Falls der komme, müsse man "damit umgehen", sagt SPD-Mann Brehm. Zu befürchten seien dann wohl aber Einschnitte in "Soziales, Kultur und Bildung" - was man unbedingt vermeiden wolle.

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