Antisemitisches Flugblatt:Söder lässt Aiwanger im Amt

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Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei seiner kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am Sonntagvormittag. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Zwar hält Bayerns Ministerpräsident nicht alle Antworten seines Vizes zur Flugblatt-Affäre für befriedigend. Trotzdem darf er im Kabinett bleiben. Zugleich rät Söder ihm zu "Reue und Demut". Aiwanger erklärt, die "Schmutzkampagne" gegen ihn sei gescheitert.

Von Kassian Stroh und Leopold Zaak

In der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt sieht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vorerst von personellen Konsequenzen ab. Sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), dürfe im Amt bleiben, sagte Söder bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz. Eine Entlassung wäre "nicht verhältnismäßig".

Söder sprach von einem "Abwägungsprozess", er habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht, habe sie "fair" und "geordnet" treffen wollen und "nicht nur nach Medienberichten". Aiwanger habe schwere Fehler in seiner Jugend begangen, sagte Söder, sich davon aber nach seinem Eindruck glaubhaft distanziert und entschuldigt. Außerdem gebe es keinen Beweis dafür, dass Aiwanger das Flugblatt erstellt oder verteilt habe - dagegen stehe das Wort des Ministers.

Seit dem Vorfall damals habe es "nichts vergleichbares" gegeben, sagte Söder. Etliche Mitschüler Aiwangers hatten sich in den vergangenen Tagen zu dessen mutmaßlicher rechtsradikaler Gesinnung geäußert, außerdem soll er Hitlergrüße gezeigt und judenfeindliche Witze gemacht haben. Zugleich betonte Söder, dass die Geschehnisse 35 Jahre her seien. "Niemand ist heute so, wie er mit 15 war."

Söder will mit den Freien Wählern weiter regieren und schließt Schwarz-Grün aus

Aiwanger hatte am Freitagabend Antworten auf einen Fragenkatalog abgegeben und mit Söder, nach dessen Angaben, am Samstagabend ein langes Gespräch geführt. Söder äußerte auch Kritik an seinem Vize: Nicht alle Fragen seien befriedigend beantwortet worden. Es habe wenig Neues gegeben, vieles sei Aiwanger nicht mehr erinnerlich. "Leider" sei dessen Krisenmanagement nicht gut gewesen, sagte Söder. Ein "Schwamm drüber" könne es daher nicht geben. "Daher mein ernst und gut gemeinter Rat: Auch wenn all die Sachen lang her sind, ist es wichtig, Reue und Demut zu zeigen", sagte Söder. Nachfragen der anwesenden Journalisten wurden nach Söders Erklärung nicht zugelassen. Im Anschluss veröffentlichte die Staatskanzlei den Fragenkatalog samt Antworten. Damit wolle er für Transparenz sorgen, sagte Söder.

Bei einem gleichzeitig stattfindenden Bierzelt-Auftritt im Landkreis München wiederholte Aiwanger seinen Vorwurf, die Anschuldigungen gegen ihn seien Teil einer "Schmutzkampagne", um die Freien Wähler zu schwächen. "Das war ein schmutziges Machwerk." Tatsächlich aber sei seine Partei nun gestärkt worden. "Wir haben ein sauberes Gewissen."

Antisemitisches Flugblatt
:"Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger"

Der bayerische Vizeministerpräsident hat sich am Nachmittag vor Kameras zu den Vorwürfen rund um das antisemitische Flugblatt erklärt. Er entschuldigt sich - und sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne.

Mit dem Festhalten an Aiwanger verbindet Söder auch den Wunsch, mit den Freien Wählern weiter zu regieren. "Wir werden in Bayern die bürgerliche Koalition fortsetzen können", sagte er am Sonntag. Der CSU-Chef betonte: "Es wird definitiv in Bayern kein Schwarz-Grün geben." Angebote der Opposition für eine andere Regierungskoalition "laufen ins Leere", sagte er. Die SPD etwa hatte signalisiert, eine Minderheitsregierung der CSU zu dulden, sollte Söder die Koalition mit den FW aufkündigen wollen.

Die Flugblatt-Affäre

Hintergrund sind die Vorgänge um ein antisemitisches Flugblatt, das 1987/1988 an Aiwangers ehemaliger Schule in Niederbayern aufgetaucht ist und in dem die Opfer des Holocaust verhöhnt werden.

Aiwanger hat wiederholt bestritten, das Flugblatt, welches vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden wurde, verfasst zu haben. Das tat er auch am Donnerstag, als er sich erneut öffentlich äußerte. Der Freie-Wähler-Chef räumte Fehler ein, sprach jedoch nicht explizit von Rücktritt. "Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe", sagte er.

Es seien Aussagen aufgetaucht, "die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten". Er habe als "Jugendlicher auch Fehler gemacht" und er entschuldigte sich bei den Opfern des NS-Regimes sowie bei "allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit".

Gleichzeitig betonte Aiwanger, dass er sich als Opfer einer politischen Kampagne sieht. "Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind", sagte er. Es sei in den vergangenen Tagen ein negatives Bild von ihm gezeichnet worden. Das Statement schloss der Politiker mit den Worten: "Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger."

Söders 25 Fragen an Aiwanger

Zwei Tage zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder - nach einer Krisensitzung der Regierungskoalition in Bayern - betont, dass die bisherigen Erklärungen Aiwangers in der Angelegenheit nicht ausreichten. Das Flugblatt sei "ekelhaft und widerlich", es sei "übelster Nazi-Jargon" und nicht "ein Dummer-Jungen-Streich oder eine bloße Jugendsünde". Allein der bloße Verdacht beschädige das Ansehen Bayerns und die persönliche Glaubwürdigkeit des bayerischen Wirtschaftsministers.

Eine Entlassung sei jedoch auf Basis der bisher vorliegenden Informationen nicht gerechtfertigt, sie wäre "ein Übermaß", so Söder. Der Wirtschaftsminister müsse die Möglichkeit haben, die Vorwürfe gegen ihn vollständig auszuräumen. Allerdings dürften auch keine neuen Vorwürfe mehr dazu kommen. Söder und die CSU verlangten von Aiwanger, 25 Fragen in Zusammenhang mit dem Flugblatt zu beantworten. Aiwanger sagte zu, diese "zeitnah" zu beantworten - und schickte die Antworten am Freitag an die Staatskanzlei.

Bayern
:Wie die SZ in Sachen Flugblatt vorgegangen ist

Gegen Wirtschaftsminister Aiwanger stehen schwere Vorwürfe im Raum. Warum berichtet die "Süddeutsche Zeitung" darüber? Wie hat sie recherchiert? Und warum wird dies alles vor der Landtagswahl öffentlich? Antworten auf die wichtigsten Leser-Fragen.

Die SZ-Recherche rund um das Flugblatt

Am vergangenen Freitag hatte die Süddeutsche Zeitung erstmals über das antisemitische Flugblatt berichtet. Zuvor hatte sie Aiwanger mehrmals mit den Vorwürfen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten, so wie es die Regeln bei einer Verdachtsberichterstattung vorsehen. Die SZ hatte dabei nicht nur gefragt, ob der Freie-Wähler-Chef in seiner Schulzeit Autor des Flugblattes war, sondern ihn auch konkret mit dem Fund in der Schultasche konfrontiert und der Aussage mehrerer Zeugen, dass er damals dafür bestraft wurde.

Aiwanger hat bei sämtlichen Anfragen im Vorfeld der Berichterstattung bestritten, mit dem Flugblatt in Verbindung zu stehen und für den Fall einer Berichterstattung mit juristischen Konsequenzen gedroht.

Reaktionen auf die SZ-Veröffentlichungen

Am Samstag, einen Tag nach den ersten SZ-Berichten, räumte Aiwanger schließlich ein, es seien damals "ein oder wenige Exemplare" des Flugblattes in seiner Schultasche gefunden worden. Außerdem sei er in der Schule dafür bestraft worden. Das sei jedoch fälschlicherweise geschehen. Der wahre Verfasser des Papiers sei ihm bekannt und werde sich in Kürze selbst erklären. Den Inhalt des Pamphlets erachte er als "ekelhaft und menschenverachtend".

Eine Stunde später meldete sich Aiwangers Bruder Helmut und bekannte sich als Verfasser. Zur Begründung, dass er das Flugblatt geschrieben habe, sagte er in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern: "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war."

Am Montag äußerte sich der Bruder des Ministers erneut. Dieses Mal ging es um das Verhalten Hubert Aiwangers zu jener Zeit. Angesprochen auf die Frage, warum dieser die Flugblätter in seiner Schultasche gehabt habe, sagte Helmut Aiwanger, sein Bruder Hubert habe womöglich damals die Flugblätter wieder eingesammelt, um zu "deeskalieren".

Ein Schriftgutachten im Auftrag der SZ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Facharbeit Aiwangers und das belastende Flugblatt "sehr wahrscheinlich auf ein und derselben Schreibmaschine geschrieben worden sind".

Warum das Flugblatt jetzt auftauchte

Es gibt darüber hinaus Hinweise darauf, dass die Angelegenheit nicht erst jetzt nach 35 Jahren erstmals wieder auftauchte, sondern dass das Flugblatt im Umfeld Aiwangers in der Vergangenheit bereits zweimal Thema war - weit vor der SZ-Veröffentlichung.

Bereits 2008, dem Jahr, als die Freien Wähler zum ersten Mal in den Bayerischen Landtag einzogen, soll eine Abgeordnete im Auftrag Aiwangers ausgekundschaftet haben, ob aus der Geschichte noch Ärger zu befürchten sei. Sie soll dazu einen ehemaligen Lehrer besucht haben, der am Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg unterrichtete, wo die Aiwanger-Brüder seinerzeit zur Schule gingen. Weder die Abgeordnete noch Aiwanger äußern sich dazu. Die Abgeordnete soll vor Kurzem dann noch ein zweites Mal nachgefragt haben.

Der Lehrer habe 2008 erklärt, er gehe von einer "Jugendsünde" aus und sehe keinen Grund, die Disziplinarmaßnahme gegen Hubert Aiwanger öffentlich zu machen. Er änderte seine Meinung jedoch nach Aiwangers Rede gegen das Heizungsgesetz im Juni in Erding. Damals forderte der Minister, dass sich die "große schweigende Mehrheit" die "Demokratie wieder zurückholen" müsse. Diese Rede, so der Lehrer, habe ihn bewogen, zu den Ereignissen um das Flugblatt nicht länger zu schweigen. Der Mann ist eine von mehreren Quellen, die die Recherchen der SZ übereinstimmend bestätigen.

Das BR-Magazin " Report München" zitierte in einem Bericht einen früheren Klassenkameraden Aiwangers, der sich offen zu erkennen gab und aussagte, dass Aiwanger in der Schule mehrfach "einen Hitlergruß gezeigt", Hitler-Reden imitiert und Witze über Juden gemacht habe. Aiwanger wies die Vorwürfe teilweise zurück oder gab an, sich nicht mehr daran erinnern zu können.

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