Antisemitisches Flugblatt:"Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger"

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Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler in Bayern - und derzeit massiv unter Druck. (Foto: Lennart Preiss/dpa)

Der bayerische Vizeministerpräsident hat sich am Nachmittag vor Kameras zu den Vorwürfen rund um das antisemitische Flugblatt erklärt. Er entschuldigt sich - und sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne.

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger hat sich zu den Vorwürfen gegen ihn erklärt. Aiwanger bestritt erneut, ein antisemitisches Flugblatt, welches vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden wurde, verfasst zu haben. "Es sind Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten. Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht. Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe", las Aiwanger vor Journalisten im bayerischen Wirtschaftsministerium von einem Blatt Papier ab.

Er entschuldigte sich dann bei Opfern des NS-Regimes sowie bei "allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit" - und sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne. Er betonte erneut, das Pamphlet nicht verfasst zu haben und distanzierte sich von dessen Inhalt. "Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind." Er könne sich "nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert." Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze könne er aus der Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. "Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form."

Er habe den Eindruck, er sei Opfer einer politischen Kampagne. Es sei ein negatives Bild von ihm gezeichnet worden. Das Statement schloss der Politiker mit den Worten: "Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger."

Ein Sprecher teilte kurz zuvor mit, dass Aiwanger die 25 Fragen des Ministerpräsidenten Markus Söder zu dem Fall zeitnah beantworten werde.

Sehen Sie hier Aiwangers Statement in voller Länge.

Aiwangers Statement kommt zwei Tage nach einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses in Bayern, zu der Söder Aiwanger und die Freien Wähler einbestellt hatte. Die dort vom Wirtschaftsminister gelieferten Erklärungen, so Söder danach in einem Pressestatement, genügten nicht, um den Sachverhalt völlig aufzuklären.

Das Flugblatt sei "ekelhaft und widerlich", es sei "übelster Nazi-Jargon", sagte Söder am Dienstag. Es sei nicht "bloß ein Dummer-Jungen-Streich oder eine bloße Jugendsünde". Allein der bloße Verdacht beschädige das Ansehen Bayerns und die persönliche Glaubwürdigkeit des bayerischen Wirtschaftsministers.

Eine Entlassung, das sagte Söder am Dienstag, sei auf Basis der bisher vorliegenden Informationen jedoch "ein Übermaß". Aiwanger müsse die Möglichkeit haben, die Vorwürfe gegen ihn vollständig auszuräumen. Allerdings dürften auch keine neuen Vorwürfe mehr dazu kommen.

Das BR-Magazin " Report München" zitierte am Dienstagabend einen früheren Klassenkameraden Aiwangers, der sich offen zu erkennen gab und aussagte, dass Aiwanger in der Schule mehrfach "einen Hitlergruß gezeigt", Hitlerreden imitiert und Witze über Juden gemacht habe.

Die Recherche rund um das Flugblatt

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Gegen Wirtschaftsminister Aiwanger stehen schwere Vorwürfe im Raum. Warum berichtet die "Süddeutsche Zeitung" darüber? Wie hat sie recherchiert? Und warum wird dies alles vor der Landtagswahl öffentlich? Antworten auf die wichtigsten Leser-Fragen.

Aiwanger hatte am Samstag schriftlich zurückgewiesen, das Flugblatt verfasst zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung erstmals am Freitagabend berichtet hatte. Er erachte den Inhalt als "ekelhaft und menschenverachtend". Der Freie-Wähler-Chef räumte allerdings ein, es seien damals "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Außerdem sei er in der Schule dafür bestraft worden. Das sei jedoch fälschlicherweise geschehen. Der wahre Verfasser des Papiers sei ihm bekannt und werde sich in Kürze selbst erklären.

Eine Stunde später meldete sich Aiwangers Bruder Helmut und bekannte sich als Verfasser. Zur Begründung, dass er das Flugblatt geschrieben habe, sagte er in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern: "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war."

Am Montag äußerte sich der Bruder des Ministers erneut. Dieses Mal ging es um das Verhalten Hubert Aiwangers zu jener Zeit. Angesprochen auf die Frage, warum dieser die Flugblätter in seiner Schultasche gehabt habe, sagte Helmut Aiwanger, sein Bruder Hubert habe womöglich damals die Flugblätter wieder eingesammelt, um zu "deeskalieren".

Ein Schriftgutachten im Auftrag der SZ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Facharbeit Aiwangers und das belastende Flugblatt "sehr wahrscheinlich auf ein und derselben Schreibmaschine geschrieben worden sind".

Bevor sich Aiwanger am Samstag schriftlich zur Angelegenheit äußerte, hatte er auf mehrfache Anfragen stets bestritten, mit dem Flugblatt in Verbindung zu stehen. Bis zur ersten Veröffentlichung am Freitag hat die Süddeutsche Zeitung binnen elf Tagen drei Mal bei Aiwanger angefragt. Die SZ konfrontierte den Minister unter anderem konkret mit dem Fund in der Schultasche und der Bestrafung, basierend auf den Erinnerungen mehrerer Zeugen.

Es gibt darüber hinaus Hinweise darauf, dass die Angelegenheit nicht erst jetzt nach 35 Jahren erstmals wieder auftauchte, sondern dass das Flugblatt im Umfeld Aiwangers in der Vergangenheit bereits zweimal Thema war - weit vor der SZ-Veröffentlichung.

Bereits 2008, dem Jahr, als die Freien Wähler zum ersten Mal in den Bayerischen Landtag einzogen, soll eine Abgeordnete im Auftrag Aiwangers ausgekundschaftet haben, ob aus der Geschichte noch Ärger zu befürchten sei. Sie soll dazu einen ehemaligen Lehrer besucht haben, der am Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg unterrichtete, wo die Aiwanger-Brüder seinerzeit zur Schule gingen. Weder die Abgeordnete noch Aiwanger äußern sich dazu. Die Abgeordnete soll vor Kurzem dann noch ein zweites Mal nachgefragt haben.

Der Lehrer habe 2008 erklärt, er gehe von einer "Jugendsünde" aus und sehe keinen Grund, die Disziplinarmaßnahme gegen Hubert Aiwanger öffentlich zu machen. Er änderte seine Meinung jedoch nach Aiwangers Rede gegen das Heizungsgesetz im Juni in Erding. Damals forderte der Minister, dass sich die "große schweigende Mehrheit" die "Demokratie wieder zurückholen" müsse. Diese Rede, so der Lehrer, habe ihn bewogen, zu den Ereignissen um das Flugblatt nicht länger zu schweigen. Der Mann ist eine von mehreren Quellen, die die Recherchen der SZ übereinstimmend bestätigen.

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Von Roman Deininger, Florian Fuchs, Maximilian Gerl, Nina von Hardenberg und Patrick Wehner

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