Bayern:Wie die SZ in Sachen Flugblatt vorgegangen ist

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Ein Blick in die Redaktion der "Süddeutschen Zeitung". (Foto: Natalie Neomi Isser)

Gegen Wirtschaftsminister Aiwanger stehen schwere Vorwürfe im Raum. Warum berichtet die "Süddeutsche Zeitung" darüber? Wie hat sie recherchiert? Und warum wird dies alles vor der Landtagswahl öffentlich? Antworten auf die wichtigsten Leser-Fragen.

Die Süddeutsche Zeitung hat in der vergangenen Woche öffentlich gemacht, dass Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in seiner Schulzeit wegen eines rechtsextremistischen Flugblatts bestraft worden war. Seitdem werden immer mehr Vorfälle bekannt, die auf eine damals rechte Gesinnung des heutigen Wirtschaftsministers hinweisen. Die SZ-Redaktion erreichen viele Fragen zu diesem Fall, auf die wir Antworten geben wollen.

Wieso wurde die Recherche jetzt veröffentlicht?

Der Zeitpunkt unserer Veröffentlichung hat nichts mit der bevorstehenden Landtagswahl zu tun. Die SZ publiziert die Ergebnisse von Recherchen immer dann, wenn sie öffentlich relevant sind und wenn die Geschehnisse so weit recherchiert sind, dass die SZ sie guten Gewissens veröffentlichen kann. Ganz egal, ob das vor oder nach einer Wahl oder sonst irgendwann der Fall ist. Die Recherche zum Flugblatt hat die SZ Anfang August begonnen, als der entsprechende Hinweis einging. Vorher wusste die Redaktion nichts von dem Flugblatt.

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Wieso findet die SZ, dass es relevant ist, einen Vorfall aus Aiwangers Schulzeit zu thematisieren?

Hubert Aiwanger ist Wirtschaftsminister und stellvertretender bayerischer Ministerpräsident. Er hat ein öffentliches Amt, gestaltet die Politik in Bayern maßgeblich mit und repräsentiert das Land. Außerdem geht es nicht um eine lässliche Jugendsünde. Das Pamphlet ist methodisch menschenverachtend in Anlehnung an zynischsten Nazi-Jargon und verhöhnt die Opfer der NS-Konzentrations- und -Vernichtungslager in übelster Weise. Eine solche Angelegenheit lässt möglicherweise Rückschlüsse zu auf die Gesinnung und demokratische Einstellung jener, die es verfasst oder verteilt haben.

Wer hat das Flugblatt an die SZ gegeben?

Die Redaktion ist vor wenigen Wochen auf das Flugblatt aufmerksam gemacht worden. Wir hatten vielfach und persönlich Kontakt mit einem Informanten, der uns namentlich bekannt ist und absolut glaubwürdig erscheint.

Wieso nennt die SZ die Quellen nicht namentlich?

Das hängt mit dem Informantenschutz zusammen. Die SZ hat mit vielen Personen gesprochen, die Konsequenzen fürchten, entweder dienstrechtlicher oder gesellschaftlicher Art, sollte ihr Name bekannt werden. In solchen Fällen dürfen Journalisten die Identität dieser Menschen verschweigen und wichtige Dinge dennoch an die Öffentlichkeit bringen. Natürlich nur, wenn die SZ davon überzeugt ist, dass die Informationen richtig sind und wenn uns diese Zeugenaussagen in verlässlicher Form vorliegen. Der Informantenschutz leitet sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes ab und ist eine wichtige Grundlage der Pressefreiheit.

Auf welche Quellen beruft sich die SZ in der Aiwanger-Recherche?

Die Basis unserer Arbeit sind Fakten. Dazu müssen wir profund recherchieren und nach Wahrheit in der Berichterstattung streben. Dazu gehört auch Fairness gegenüber den Personen, denen ein Fehlverhalten vorgeworfen wird. Sie müssen rechtzeitig vor einer Veröffentlichung mit diesen Vorwürfen konfrontiert werden und die Gelegenheit bekommen, dazu Stellung nehmen zu können. Redakteure der SZ haben für die Recherche mit mehr als zwei Dutzend Menschen gesprochen, mit ehemaligen Lehrern, Mitschülern und anderen Personen. Wir haben Dokumente vorliegen und in Archiven recherchiert. Zudem haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben.

Was wurde zur Urheberschaft des Flugblatts geprüft?

Da sind zunächst die Aussagen, wonach Hubert Aiwanger als Urheber des Flugblattes vom Disziplinarausschuss der Schule bestraft worden sein soll, weil in seinem Schulranzen eines oder mehrere Exemplare des Pamphlets entdeckt worden sein sollen, was er inzwischen beides eingeräumt hat. Diese Vorgänge bestätigten mehrere Zeugen übereinstimmend.

Auch hat die SZ ein Gutachten beauftragt, in dem festgestellt wurde, dass das Flugblatt wie auch eine Facharbeit von Hubert Aiwanger aus dem Jahr 1990 "sehr wahrscheinlich" auf derselben Schreibmaschine geschrieben wurden.

Inzwischen hat sich Helmut Aiwanger, der ältere Bruder, als Verfasser des Flugblattes bekannt. Warum Hubert Aiwanger sich demnach damals zu Unrecht vom Disziplinarausschuss bestrafen ließ und nicht gleich protestiert hatte, dazu gibt es von ihm bislang lediglich die Aussage, dass es nicht seine Art sei, jemanden zu verpfeifen.

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Wie hat die SZ Aiwanger dazu Stellung nehmen lassen?

Die SZ hat Hubert Aiwanger mehrmals mit dem Vorgang und detaillierten Fragen konfrontiert - zum ersten Mal am 17. August und insgesamt drei Mal vor der Veröffentlichung und auch noch mehrmals danach. Das heißt: Die Redaktion hat Aiwanger nicht nur mitgeteilt, dass sie in der Angelegenheit recherchiert, sondern sie hat ihm auch gesagt, was sie erfahren hat beziehungsweise was ihm vorgeworfen wird. Und sie hat ihn gebeten, dazu Stellung zu nehmen.

Aiwanger hatte mehrmals die Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. Das tat er jedoch lange nicht, stattdessen ließ er einen seiner Pressesprecher die Vorwürfe pauschal zurückweisen und mit juristischen Konsequenzen drohen. Seine Reaktion hat zusätzlich Zweifel aufgeworfen, ob ihm als bayerischem Wirtschaftsminister und stellvertretendem Ministerpräsidenten zu vertrauen ist. Denn wie er inzwischen einräumen musste, gab es die Sanktion seiner Schule gegen ihn, und es gab sie dafür, dass ihm die Urheberschaft und Verbreitung jenes Pamphlets vorgeworfen wurde. Dass er damals nicht bestritten habe, der Urheber zu sein, berichtet er auch. Konfrontiert mit den Zeugenaussagen hatte Hubert Aiwanger der SZ aber nicht etwa erklärt, dass die Geschichte so nicht stimme und er nicht der Urheber sei - er ließ zunächst pauschal dementieren.

Das stärkt seine Glaubwürdigkeit nicht und erhöht die öffentliche Relevanz der Berichterstattung. Das gilt auch für den Fall, dass es zutreffen sollte, dass sein Bruder der Verfasser des Pamphlets war.

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