Neues Buch:Tödliche Spuren in Ostbayern

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Im April 2019 suchte die Polizei wieder einmal nach der Leiche von Monika Frischholz - 42 Jahre nach ihrem Verschwinden. Ohne Erfolg. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Der Fall Maria Baumer, ein erschossener Nachtclubbesitzer in Weiden, das verschwundene Mädchen in Flossenbürg - eine Journalistin hat bedrückende Kriminalfälle gesammelt.

Von Johann Osel, Regensburg

Natürlich der Mord an Maria Baumer, er darf nicht fehlen. Erst vor einigen Wochen hat das Landgericht Regensburg den Verlobten der jungen Frau wegen Mordes verurteilt. Er hatte die Landesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung 2012 heimtückisch mit Medikamenten getötet, ihr Verschwinden inszeniert und die Leiche im Wald vergraben. Beim Prozess war Isolde Stöcker-Gietl stets anzutreffen im Gerichtssaal, die Reporterin der Mittelbayerischen Zeitung gehörte zum Stammpublikum. Sie schrieb aus der Verhandlung heraus einen Nachrichtenticker für ihre Leser in der Region, die gut ein Jahrzehnt lang umgetrieben wurden von diesem Mordfall. Der Prozess war so reich an Wendungen und pikanten Details, dass der Staatsanwalt meinte: "Wenn man das alles verfilmen wollte, würde man wohl sagen, das war etwas too much, was passiert ist." Selbiges gilt wohl auch für eine Kurzgeschichte.

Eine Art Kurzgeschichten sind es tatsächlich geworden, die Stöcker-Gietl in ihrem Buch "Auf den Spuren des Todes" sammelt. Nicht aber ohne den Untertitel als nötigen Zusatz: "Wahre Verbrechen in Ostbayern." Taten, die schockieren, bei denen der Leser rufen möchte: "Das kann doch nicht wahr sein." Taten aus Verzweiflung, Rache und Wut, zur Lustbefriedigung. Oder mit bis heute ungeklärter Motivlage.

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Wie beim Mord am Weidener "Rotlichtkönig" Walter Klankermeier 1982. Der gelernter Metzger war seit Ende der Sechzigerjahre zu einer schillernden Größe in der Stadt geworden, zum erfolgreichen Geschäftsmann mit mehreren Nachtlokalen. Die Autorin nimmt ihre Leser mit in diese skurrile, protzige Halbwelt. "Der härteste Strip außerhalb von St. Pauli" wurde laut Eigenwerbung in seinem verruchtesten Lokal geboten, Dinge, die man in der Nordoberpfalz bis dato kaum gesehen hatte: nackte Frauen aus Jamaika, eine Show samt Verkehr, "gertenschlanke Tänzerinnen neben üppigen Damen mit riesiger Oberweite und dicken Oberschenkeln, die bis zu 150 Kilo auf die Waage bringen", hat Stöcker-Gietl recherchiert.

Der Pfarrer im Sonntagsgottesdienst wetterte, die Bevölkerung war neugierig; sogar Weidener Stadträte sollen gesichtet worden sein. 1982, es lief gerade die Fußball-WM in Spanien, verschwand Klankermeier spurlos, seine Leiche fand man später in einem Wald im Weidener Umland. Gezielter Schuss ins Herz. Wie ein Exekutionskommando? War es die Konkurrenz im Milieu, die auf die Umtriebe und den Erfolg des Rotlichtkönigs aufmerksam wurde? Aufwendig wurde ermittelt, auch Spuren gab es; doch niemals einen Ermittlungserfolg.

Ebenso 1980, bei der Toten im Amberger Stadtgraben - der Fabrikarbeiterin Traudl Kalweit. Sie wurde vergewaltigt, erschlagen, erdrosselt, erstochen. Nicht aus einem wütenden "Overkill" heraus, glauben die Ermittler, eher aufgrund einer Art Dilettantismus. Trotz heißer Spur durch eine seltene Blutgruppe des Mörders ist das ein Cold Case geblieben. Stöcker-Gietl erzählt auch vom Brandanschlag eines Neonazis 1988 in Schwandorf, bei dem drei Türken und ein Deutscher starben - lange vor den fremdenfeindlichen Krawallen von Mölln oder Rostock. Sie berichtet vom Verschwinden des Mädchens Monika Frischholz 1976 in Flossenbürg, das Jahrzehnte später noch zu Grabungen nach der vermeintlichen Leiche führte. Oder vom Sexualmord an einer Joggerin in Kelheim 1997. Ein Fall, der auch Justizgeschichte schrieb: wegen eines DNA-Massentests, umfangreich wie nie, und der Neuheit einer nachträglich verhängten Sicherungsverwahrung für den heranwachsenden Mörder.

Das Baumer-Kapitel ist das umfangreichste. Hier zeigt sich ein Grundprinzip vieler Fälle: dass das Unfassbare hereinbricht in eine "vermeintlich heile Welt". Oft werden kleine Orte Tatorte - "ausgerechnet hier", heißt es dann gerne. Es sind aber nicht selten Gemeinden, in denen jeder jeden kennt; Gerüchte und Hobby-Ermittler inklusive. Stöcker-Gietls jahrelange Berichterstattung zu spektakulären Fällen in der Oberpfalz und in Niederbayern floss ein in diese Sammlung, aber auch Gespräche mit Ermittlern, Fallanalytikern, Richtern und Anwälten, Prozessbeobachtern, wenn möglich, mit Familien von Betroffenen. Sie widmet sich mehr den Menschen als den Taten an sich. Dabei gelingt ihr der passende Tonfall, sie gleitet nie ins Reißerische. Die Texte sind nicht überfrachtet mit Einzelheiten, die meist monatelange Beweisaufnahmen benötigten; die Autorin findet aber stimmige, vielsagende szenische Details. Dazu kommen Fotos und historische Zeitungsausschnitte.

Es bleibt Bedrückung nach der Lektüre. Aber auch manche Einsicht: Dass man in Ostbayern erstaunlich viele Kriminalfälle hatte, die ein bundesweites Echo hervorriefen. Dass Täter keine augenscheinlichen Monster sind, sondern meist nette Typen von nebenan. Und dass es Polizisten gibt, die sich festbeißen, teils über Jahrzehnte nicht locker lassen. So schreibt die Autorin: "Kein Täter - und liegt das Verbrechen noch so lange zurück - kann sich sicher fühlen." Siehe Mordfall Maria Baumer und das Urteil etwa acht Jahre nach der Tat von Pfingsten 2012.

Isolde Stöcker-Gietl: Auf den Spuren des Todes, MZ-Buchverlag, 200 Seiten, 17,90 Euro.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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