Asylpolitik in Bayern:Ohne Straftat hinter Gittern

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Auf 150 Plätze ausgelegt ist die Abschiebungshafteinrichtung in Hof, die Ende 2021 in Betrieb genommen wurde. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Migrationszahlen steigen, Kommunen sind überfordert, die Staatsregierung plädiert für mehr Rückführungen abgelehnter Asylbewerber. Menschen, die abgeschoben werden sollen, landen in Bayern nicht selten zuvor in Haft - ein Streitthema.

Von Nina von Hardenberg und Johann Osel

Eine Ausreisepflicht, sagt Gülseren Demirel (Grüne), mache Menschen nicht zu Straftätern. Darum sei es nicht richtig, wenn in Bayern bei der Abschiebehaft einfach das Strafvollzugsgesetz angewendet werde. Ein eigener gesetzlicher Rahmen sei notwendig, wie etwa in Baden-Württemberg. Kürzlich haben die Grünen im Landtag einen Entwurf dazu vorgestellt. Wenn Abschiebehaft "schon als allerletztes Mittel angeordnet werden muss, dann darf diese eben nicht wie die Strafhaft vollzogen werden", forderte die asylpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Ziel sei es vielmehr, sie "so human wie möglich und so wenig einschränkend wie nötig zu vollziehen". Im Entwurf der Grünen ist davon die Rede, dass die Grundrechte untergebrachter Personen derzeit "nicht lückenlos sichergestellt" seien - Rechtslage "mangelhaft". Zudem sollten Beiräte für Hafteinrichtungen eingesetzt werden, um die Praxis zu prüfen. Sie bitte, so Demirel im Plenum, für die weitere Beratung um "wohlwollenden Umgang" mit dem Vorstoß.

Angesichts der hohen Zahl von Geflüchteten ist Zuwanderung wieder politisches Großthema geworden. Kommunen in Bayern beklagen, dass sie die vielen Menschen kaum unterbringen können. Die allermeisten Ankommenden sind Ukrainer: 155 000 haben sich seit Kriegsbeginn vor einem Jahr registriert. Dazu suchten 2022 insgesamt 38 850 Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Türkei oder dem Irak in Bayern Asyl, die meisten von ihnen hatten ebenfalls Anspruch auf Schutz. Addiert sind damit mehr Menschen angekommen als zu Hochzeiten der Fluchtbewegung 2015/2016. Die CSU will das Thema Migration im Wahljahr durchaus wieder aufgreifen, schon die aktuelle Entwicklung erfordert es.

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Allerdings möchten Ministerpräsident Markus Söder und seine Partei nicht in die polarisierende, teils aggressive Debatte von 2015 und vom Wahlkampf 2018 zurückfallen, wie man hört. Zumal vor dem Hintergrund, dass Bayern Arbeitsmigration braucht; Söder reiste vergangene Woche zwecks Fachkräfte-Anwerbung nach Albanien. Die Akzeptanz der Bevölkerung für Zuzug aus dem Ausland und für die Aufnahme schutzbedürftiger Menschen werde nur bestehen, "wenn diejenigen, denen nach unserer Rechtsordnung kein Bleiberecht zusteht, unser Land auch wieder verlassen", gab neulich Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als Losung aus. "Erhebliche Defizite" sieht er bei der Bundesregierung, die stets nur die humanitäre Seite betone, aber Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung sowie Rückführungen sträflich vernachlässige. Bayern habe vergangenes Jahr wieder etwas mehr abgelehnte Asylbewerber abgeschoben, 2046 Menschen - aber noch nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht. "Nullkommanull" geschieht da laut Herrmann im Bund, der sich etwa um Rücknahme-Abkommen mit Herkunftsstaaten kümmern müsse.

Um Abschiebungen durchzusetzen, nimmt gerade Bayern ausreisepflichtige Menschen häufig zuvor in Haft. 2019 war das nach Angaben von Pro Asyl bei 1500 Menschen der Fall; 3500 wurden in dem Jahr abgeschoben. Im Bundesland Berlin hingegen wurden im gleichen Zeitraum lediglich 18 Menschen inhaftiert und trotzdem fast 1000 abgeschoben. Derzeit warten in Bayern in den Anstalten Eichstätt, Erding und Hof insgesamt 110 Geflüchtete auf ihre Abschiebung. Im Jahr 2022 insgesamt waren es mehr als 1600. Nach Paragraf 62 Aufenthaltsgesetz ist die Abschiebehaft in Ausnahmen zulässig, wenn etwa ein Untertauchen droht. Die Polizei stellt dann einen Haftantrag, über den ein Richter entscheidet. Der Freiheitsentzug ist allerdings auf die "kürzest mögliche Dauer zu beschränken", heißt es im Gesetz. Und er darf sich nach EU-Richtlinien auch eigentlich nicht wie Gefängnis anfühlen, erklärt der auf Migration spezialisierte Anwalt Peter Fahlbusch. Es handele sich um Menschen, die häufig schon Schlimmes erlebt hätten und oft nur für ihre Asylverfahren in ein anderes Land gebracht werden sollen, etwa nach Italien. "Man darf sie nicht wie Straftäter behandeln."

Kritik an Eichstätt

Genau hier aber hat Bayern offenbar Probleme. Darauf weisen nicht nur die Grünen hin. Auch etwa das Landgericht Coburg hat kürzlich die Bedingungen in der Einrichtung in Eichstätt scharf kritisiert. Abschiebehaftanstalten müssten "so weit wie möglich den Eindruck einer Gefängnisumgebung vermeiden", hieß es. Die hohen Mauern wollte das Gericht zur Vermeidung einer Flucht noch durchgehen lassen. In Eichstätt aber seien auch die Fenster vergittert, rügten die Richter. Außerdem dürften die Insassen weder ihr Handy benutzen noch eigene Kleidung tragen. Ausreisepflichtige würden da eben doch häufig wie normale Strafgefangene behandelt, erklärt Anwalt Fahlbusch. Ein Abschiebehaftgesetz könne dies ändern und genaue Regeln festlegen.

So schnell dürfte es indes nicht dazu kommen. Die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler jedenfalls signalisierten beim grünen Entwurf sogleich Ablehnung. Einen wohlwollenden Umgang, wie von Demirel gewünscht, könne er nicht versprechen, sagte Karl Straub (CSU), aber einen "ordentlichen Umgang miteinander" in der Debatte. "Es ist ganz klar, dass bei uns in Bayern die Grundrechte der Abschiebehäftlinge eingehalten und auch ständig verbessert werden", sagte er. Trennung von Strafgefangenen, Privatsphäre und Zugang von Hilfsorganisationen oder Anwälten seien klar geregelt. Die grüne Gesetzesidee sei "aufgebläht", so Straub, und letztlich unnötig. Auch Alexander Hold (FW) argumentierte in die Richtung. Es handele sich zudem um Menschen ohne Bleiberecht, die nicht freiwillig ausreisen und bei denen ein Gericht zum Ergebnis kam, dass ohne Gewahrsam die Abschiebung gefährdet wäre. "Das ist nichts Unmenschliches."

Eine Debatte tatsächlich ohne Schaum vorm Mund, gemäß neuer CSU-Linie. Umso auffälliger übrigens im Kontrast zu Rechtsaußen. Christoph Maier (AfD) meinte: Das Gesetz solle Abschiebungen, die "ein träger und fast unfähiger Staat" immerhin bis zur Abschiebehaft gebracht habe, auf der Zielgeraden verhindern; das sei das Ziel von "linksgrünen Volksfeinden". Für die Wortwahl ermahnte ihn Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU).

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Von Nina von Hardenberg

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