Corona-Debatte im Landtag:Söder zeigt ein bisschen Demut

Lesezeit: 3 min

Ministerpräsident Markus Söder bei seiner Regierungserklärung im Landtag. Er plädierte wieder für mehr Impfungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Ministerpräsident räumt ein, dass auch er die Dynamik der vierten Welle unterschätzt habe. Die Einsicht ändert aber nichts an der harten Debatte danach.

Von Andreas Glas und Johann Osel, München

Fast eine Stunde lang wird Markus Söder (CSU) sprechen. Nur einmal wird er ins Stocken geraten, als für ein paar Sekunden das Licht ausgeht im Plenarsaal des Landtags. Ansonsten wird der Ministerpräsident erzählen, erklären, einmal fast flehen, um Impfbereitschaft. Und zwischendrin wird er diese zwei Sätze über die vierte Pandemiewelle fallen lassen. "Die Dynamik und Geschwindigkeit haben viele nicht gesehen", sagt Söder. Dann, tatsächlich: "Ich auch nicht."

Vieles, was Söder in seiner Regierungserklärung sagt, hat man in den vergangenen Tagen bereits gehört. Dass Bayern vor einem "Corona-Drama" stehe, "eine komplette Überlastung" drohe, selbst renommierte Wissenschaftler nicht gesehen hätten, wie rasch sich die vierte Welle aufbaut. Was man von Söder bisher so kaum gehört hatte: Dass er sich selbst zu diesen Menschen zählt. Allein das macht diesen Dienstag im Landtag besonders.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Nur einen Tag zuvor hatte Söder noch gesagt, dass es nichts bringe, sich immer nur zu "rechtfertigen für die Vergangenheit" und dass man jetzt "nach vorne schauen" müsse. Aber jetzt steht er da, am Rednerpult, und wirft doch noch mal einen Blick zurück auf die Kritik, die ihm zuletzt immer wieder begegnet ist, scharf wie nie in der Corona-Krise: Zu spät, zu sorglos habe Söder auf die vierte Welle reagiert. Was Söder nun im Landtag sagt, ist ein Eingeständnis, aber auch der Versuch eines Befreiungsschlages. Seine Botschaft: Die Politik muss sich schon auf die Empfehlungen der Wissenschaft verlassen können. Er listet Zitate von Virologinnen und Virologen auf, die sagen, dass die Vehemenz der vierten Welle nicht vorhersehbar gewesen sei. "Meistens hinken die Empfehlungen der Lage hinterher", sagt Söder etwa über das Impfen, "das ist doch die Schwierigkeit." Dass es auch Experten gab, die die Dynamik bereits im Sommer ziemlich exakt prophezeit haben? Sagt er nicht.

Teil-Lockdown für Hotspots

Vor allem wirbt Söder am Dienstag aber für neue, schärfere Maßnahmen in Bayern. Ein Quasi-Lockdown für Ungeimpfte durch den 2-G-Modus überall im Freistaat, dazu für alle Bürger schärfere Regeln wie eine Sperrstunde in der Gastronomie, und auch ein Teil-Lockdown für Hotspots mit Inzidenz über 1000 - am Vormittag hat der Ministerrat dies beschlossen, nun soll der Landtag zustimmen. Die Maßnahmen werden beschlossen - nicht aber ohne hitzige Debatte, nicht ohne Schelte für Söder.

"Noch vor fünf Wochen schien alles stabil", sagt Söder. Als sich die Lage zuspitzte, habe die Koalition aber "sofort gehandelt, ohne Verzug". Die neuen Maßnahmen seien abgewogen und angemessen, aber: "Ohne Impfen gibt es Dauer keine Freiheit", sagt der Ministerpräsident und erneuert seine Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht. "2G wird auf Dauer 1G sein. Aber nicht getestet, sondern geimpft." Dass die Impfquote in Bayern relativ gering ist, erklärt Söder erneut mit einer Impfmüdigkeit, die im Freistaat "leider traditionell" groß sei.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze will Söder damit "nicht durchkommen lassen". Die Wissenschaft habe geliefert mit präzisen Voraussagen, die forschenden Unternehmen hätten geliefert mit dem Impfstoff, die Menschen in Gesundheitsberufen lieferten ohnehin, jeden Tag. Wer aber diesen Sommer nicht geliefert habe, "ist diese Regierung". Die Politik habe auch "viel zu lange der lauten schreienden Minderheit der Impfgegner und Vulgär-Freiheitsideologen zugehört". Der Dringlichkeitsantrag der Grünen fordert, umgehend Amtshilfe von der Bundeswehr zu erbitten, auch zur Akutversorgung in Kliniken. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer kontert: Längst seien dort Soldaten im Einsatz. Die Grünen könnten "nur kritisieren und auf den Busch klopfen", ohne Bescheid zu wissen. Auch könne er sich nicht an Forderungen der Grünen noch bis in den Herbst hinein erinnern, Maßnahmen zu verschärfen.

Brunn moniert "Versagen" und "Verantwortungslosigkeit"

Florian von Brunn, Fraktionsvorsitzender der SPD, bestätigt die Notwendigkeit der Maßnahmen, will aber auch "die Vorgeschichte analysieren", es gebe "keinen Blankoscheck". Der von Söder selbst eingesetzte Ethikrat habe vor den Entwicklungen im Herbst gewarnt. Söder sei da aber "tatsächlich mit anderen Dingen beschäftigt" gewesen, nämlich "sich an Herrn Laschet abzuarbeiten und ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen." Brunn nennt das "Versagen" und "Verantwortungslosigkeit".

AfD-Fraktionschef Christian Klingen warnt davor, dass "die Zwangsimpfung durchgepeitscht" werde; auch in Grippewellen früher hätten Kliniken über Überlastung geklagt. Dennoch fordert die AfD ebenfalls mehr Einsatz der Bundeswehr sowie eine Prämie für Ex-Pflegekräfte bei Rückkehr in den Job, 1500 Euro steuerfrei.

FDP-Fraktionschef Martin Hagen beginnt seine Rede mit einem Plädoyer fürs Impfen - und für die Debatte um eine Impfpflicht. Ja, auch die FDP habe mit der vierten Welle "in dieser Vehemenz nicht gerechnet". Hagen sagt aber auch: Hätte die Staatsregierung die Lage besser eingeschätzt, "wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel". Dann hält er einen Zeitungsausschnitt hoch, vom 10. Oktober, darauf zu sehen: eine Anzeige, in der Söder den Omas und Opas zum Großelterntag gratuliert. Statt einen "von Ihnen selbst erfundenen Großelterntag" zu bewerben, hätte man besser "die Großeltern auf diesem Weg zum Boostern" aufgerufen.

Beide Seiten werfen sich Versäumnisse vor

Der ganze Nachmittag gibt Vorzeichen auf den künftigen Schlagabtausch zwischen der CSU und der Ampel im Bund, die drei Berliner Partner sitzen in Bayern der Regierungsbank gegenüber; und beide Seiten werfen sich die Debatte hindurch laufend Versäumnisse vor. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) geht auf die Abgeordnetenbank und stellt mehrmals scharfe Fragen an die Opposition, testet bei SPD-Mann Brunn das Corona-Wissen aus, zur Zahl der Impfzentren in Bayern. Söder sagte zuvor in Richtung der Grünen: "Regieren wird noch schwer werden, sie werden das erleben. Regieren heißt manchmal leiden."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusImpfungen
:Eine Idylle, in der man mit der Katastrophe kämpft

Schon seit Monaten warten sie im Corona-Hotspot Miesbach auf Leute, die sich impfen lassen. Viel los war nie, bis jetzt. Zeit also, mal nachzufragen in der Warteschlange: Wo wart ihr?

Von Marlene Knobloch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: