Mitten in Bamberg:Politik und Schauerromantik

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Wie kommt jemand dazu, sich als Fake-Account-Figur selbst "Sandmann" zu nennen? Eine literarhistorische Annäherung.

Glosse von Olaf Przybilla, Bamberg

Gewiss seid ihr alle voll Unruhe, dass ich so lange, lange nicht geschrieben. So beginnt eine Meistererzählung der deutschen Schauerromantik, die in der Literaturwissenschaft als Virtuosenstück gilt und an der sich sämtliche Deutungsschulen mindestens einmal abzuarbeiten haben. "Der Sandmann" heißt der Text, geschrieben hat ihn der große Teilzeit-Bamberger E.T.A. Hoffmann.

Ein "Sandmann" treibt dieser Tage auch den Blutdruck von Bambergern wie wenig anderes in die Höhe. Da geht es freilich nicht um Hoffmanns Erzählung, sondern um einen gewissen "Stefan Sandmann", einen lokalen Dauerschwätzer der Sozialnetzwerke, der unter schriftlicher Logorrhö zu leiden schien, nun aber schon - um es mit dem Dichter zu sagen - "lange, lange nicht geschrieben" hat.

Warum? Der Kabarettist und IT-Spezialist Florian Herrnleben ist ihm auf die Schliche gekommen. Jener "Sandmann" war offenbar ein Propagandaphantom mit SPD-Brille, eine virtuelle Fake-Figur zur Meinungsmanipulation in schwerer lokalpolitischer See. Nur: Wie kommt einer darauf, sich so zu nennen?

Womöglich hilft der Blick in den Text, jedenfalls hätte die psychoanalytische Literaturwissenschaft eine Freude an dem Fall. "Es gibt keinen Sandmann", wird dort gleich zu Beginn erklärt. Wenig später bekommt man es noch deutlicher kredenzt: Sandmann? Das sei einer, der einem "Händevoll Sand in die Augen" streue. Oder schlicht: ein "Gespenst".

Hat sich da einer den alten Hoffmann als Blaupause hergenommen? Im Text ist vom "Sandmann aus dem Ammenmärchen" die Rede. Einen "großen breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf", solle man sich bitte vorstellen; einen mit "buschigen grauen Augenbrauen" und "großer, starker über der Oberlippe gezogener Nase".

Wer den zweiten Bamberger Sandmann, den im Labor entworfenen Händevoll-Sand-in-die-Augen-Streuer aus Facebook erschaffen hat? Weiß man nicht. Aber die SPD hat nun einen der ihren ausgeschaut und versucht, ihn aus der Partei zu werfen.

Auch im Text glaubt eine Figur, den Sandmann enttarnt zu haben ("der alte Advokat Coppelius"). Ob das auch so ist, bleibt verschwommen. Ein Schauermärchen eben.

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