Atomenergie in Bayern:Verschärfter Stresstest für die Grünen

Lesezeit: 3 min

Sicherheitshinweise im Reaktorgebäude des Atomkraftwerks Isar 2. (Foto: Sebastian Beck)

Die Anti-Atompartei vollzieht einen Kurswechsel und stimmt einer möglichen Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerks Isar 2 zu. CSU und Grüne geben sich gegenseitig die Schuld für die drohende Stromknappheit.

Von Heiner Effern und Andreas Glas, München

Tut es sehr weh? Natürlich, sagt Ludwig Hartmann, "das sind alles Sachen, die schmerzen". Die Waffenlieferungen in die Ukraine, dann die Kohle-Kehrtwende - und jetzt könnte es plötzlich schnell gehen mit dem Weiterbetrieb des letzten bayerischen Kernkraftwerks Isar 2 bei Landshut, das eigentlich am 31. Dezember 2022 abschalten sollte.

Ob es weiterläuft, hängt am Ergebnis des neuerlichen Stresstests, mit dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) prüfen will, ob die Energieversorgung im kommenden Winter wirklich sicher ist - insbesondere in Bayern. Für Hartmann, Grünen-Fraktionschef im Landtag, ist die Kernkraft immer noch eine "Hochrisikotechnologie", der Kampf gegen die Atomenergie gehört zum Markenkern seiner Partei. Den Grünen, das spürt man, droht jetzt ebenfalls ein Stresstest.

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Im Münchner Stadtrat, wo Grüne und SPD regieren, hat die Koalition am Donnerstag den Weg freigemacht für einen längeren Betrieb des Kraftwerks Isar 2, an dem die Stadt zu 25 Prozent beteiligt ist. Damit rühren die Münchner Grünen an einem Tabu ihrer Partei. Der Ausstieg aus dem Ausstieg von der Atomkraft, wenn auch zeitlich begrenzt und ohne zusätzlichen Atommüll, würden viele Mitglieder nicht mal dem politischen Feind verzeihen. Doch Bürgermeisterin Katrin Habenschaden stellt die Versorgungssicherheit Münchens über Parteiraison. "Ich bin für alle Münchner da", sagte sie. Sollte der Stresstest ergeben, dass "ein Engpass bei der Stromversorgung droht, darf ein Streckbetrieb von Isar 2 kein Tabu sein".

Landtagsfraktionschef Hartmann findet es "unglücklich", dass die Stadtratsgrünen so offensiv über einen Weiterbetrieb sprechen - schließlich stehe das Ergebnis des verschärften Stresstests ja noch nicht fest. Noch strenger geht Hartmann mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ins Gericht. Dass Bayern nun doch länger an der Kernkraft hängen bleiben könnte, dafür macht er die Staatsregierung verantwortlich, die Bayern von russischem Gas "abhängig gemacht", den Windkraftausbau "verschlafen" und den Netzausbau "boykottiert" habe.

Staatskanzleichef Herrmann schießt gegen Habeck

So ähnlich, wenn auch nicht so deftig, hatte das Bundesminister Habeck formuliert. Definitiv in die Rubrik "deftig" fällt die Replik aus Söders Staatskanzlei. "In den Aussagen von Robert Habeck zeigt sich nur sein schlechtes Gewissen. Der Wirtschaftsminister hat sich bei der Kernkraft komplett geirrt und befindet sich schon seit Wochen auf einem energiepolitischen und argumentativen Rückzug", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann am Freitag der Süddeutschen Zeitung.

Darüber hinaus warf er Habeck vor, in der Sicherheitsdebatte um die Kernkraft "nicht die Wahrheit gesagt" zu haben. Die Risiken einer Laufzeitverlängerung seien widerlegt, "selbst die Münchner Grünen fallen ihm in den Rücken", sagte Herrmann. Dass Habeck offenkundig der Meinung ist, dass der Netzausbau in Bayern zu langsam geht, lässt der Staatskanzleichef ebenfalls nicht unkommentiert. Der Ausbau der Stromleitungen sei vor allem Habecks Aufgabe und komme "in ganz Deutschland nicht voran", sagte Herrmann.

Konsequenz aus der Energiekrise
:Atomkraftwerk Isar 2 soll weiterlaufen

Grüne und SPD machen den Weg für einen längeren Betrieb des Meilers nahe Landshut frei. Ende des Jahres hätte dieser abgeschaltet werden müssen. Um Engpässe bei der Stromversorgung zu vermeiden, will Oberbürgermeister Dieter Reiter nun Druck bei der Bundesregierung machen.

Von Heiner Effern

Durch die in Deutschland einzigartige Situation der Stadt sehen sich die Grünen in München zum Handeln gezwungen, auch wenn sie wohl zur schnellen Festlegung von SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter auch gedrängt wurden. Keiner anderen Kommune gehört ein Viertel eines noch laufenden Atomkraftwerks. Gleichzeitig schaffen es die Stadtwerke, durch einen Mix aus Kohle, Öl, Geothermie und Müllverbrennung im kommenden Winter, ganz oder nahezu ganz auf Gas in der Wärmeproduktion zu verzichten.

Diese positive Botschaft hat allerdings einen Haken. An der jetzigen Gasverbrennung in der Stadt hängt nicht nur die Wärme, sondern auch der Strom. Fährt man diese auf Null herunter, muss eine andere Energiequelle gefunden werden. Die offenbar einzige Option will die Stadt jetzt ziehen: Atomstrom aus dem eigenen Meiler.

Bund Naturschutz auf Distanz zu den Grünen

Den Kauf neuer Brennelemente und den Weiterbetrieb von Isar 2 über den Sommer 2023 hinaus, wie in die CSU fordert, schließen die Grünen ebenso wie OB Reiter aus. Die Münchner Stadtregierung kann sich nur vorstellen, das Kraftwerk mit den bereits genutzten Brennelementen bis ans technische Ende ihrer Lebensdauer laufen zu lassen. Streckbetrieb nennen das Experten, und genau für diesen soll die Bundesregierung vorsorglich die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. So beschloss es der Aufsichtsrat der Stadtwerke einstimmig, mit den Stimmen der Grünen.

In der Partei fürchten nun einige, dass es nicht beim Streckbetrieb bleiben könnte. "Das wäre der Einstieg in eine Laufzeitverlängerung", sagt auch Richard Mergner, Landeschef des Bundes Naturschutz. Laufen die Grünen etwa Gefahr, nun die Umweltbewegung zu verlieren? Von "Irrwegen" spricht Mergner, der die Sicherheitsrisiken der Kernkraft betont. Auch von Profitinteressen ist in Reihen der Kritiker die Rede. Eine sechs oder maximal acht Monate längere Laufzeit, die aktuell im Raum steht, wäre für München als Anteilseigner sehr lukrativ. Etwa fünf Terrawattstunden Strom zusätzlich würde Isar 2 liefern und könnten die Eigentümer auf einem erhitzten Markt teuer verkaufen.

Und was sagt die Betreiberin des Isar 2-Kraftwerks zu alldem? Man wolle die Debatte "nicht weiter kommentieren", teilt ein Sprecher der Eon-Tochter Preussen-Elektra mit. Sein Unternehmen habe aber früh signalisiert, dass "ein Weiterbetrieb von Isar 2 unter bestimmten Voraussetzungen technisch möglich wäre, wenn unser Kraftwerk gebraucht würde". Dass die Bundesregierung sich zunächst dagegen entschieden hat, "respektieren wir".

Und wenn sich diese Entscheidung nun ändert? Dazu will man bei Preussen-Elektra nichts sagen. Man darf aber davon ausgehen, dass die Isar 2-Verantwortlichen sich nach einer raschen Ansage der Politik sehnen. Personal, Brennstoff, Sicherheitsprüfungen, um all das müssten sich die Betreiber kümmern, wenn Isar 2 weiterlaufen soll. Die Zeit drängt.

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