Konsequenz aus der Energiekrise:Atomkraftwerk Isar 2 soll weiterlaufen

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Das Atomkraftwerk Isar 2 bei Landshut könnte auch nach 2022 noch Strom liefern. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Grüne und SPD machen den Weg für einen längeren Betrieb des Meilers nahe Landshut frei. Ende des Jahres hätte dieser abgeschaltet werden müssen. Um Engpässe bei der Stromversorgung zu vermeiden, will Oberbürgermeister Dieter Reiter nun Druck bei der Bundesregierung machen.

Von Heiner Effern

München legt angesichts der Energiekrise eine scharfe Wende beim Atomausstieg hin. Eine breite Mehrheit im Stadtrat befürwortet nun eine Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerks Isar 2 bis etwa Mitte 2023. Der Meiler nahe Landshut soll Strom für Bayern liefern, wenn die Gaslieferungen aus Russland weiterhin so spärlich fließen oder ganz versiegen. Dafür könnte Isar 2 die jetzt eingesetzten Brennstäbe bis zum Ende ihrer technischen Lebenszeit nutzen und so noch etwa fünf Terawattstunden Strom erzeugen. Streckbetrieb wird das genannt. Nach bisheriger Beschlusslage hätte das Kernkraftwerk, an dem München zu 25 Prozent und die Eon-Tochter Preussen Elektra zu 75 Prozent beteiligt sind, Ende 2022 komplett abgeschaltet werden müssen.

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Hinter den Kulissen wurde in der grün-roten Koalition schon länger darum gerungen, wie die Stadt reagieren soll, wenn der Krieg Russlands in der Ukraine die Versorgungssicherheit der Menschen in Bayern gefährdet. Ende vergangener Woche gab es eine Sitzung des Aufsichtsrats der Münchner Stadtwerke (SWM), denen die Anteile am Atommeiler gehören. Dort deutete sich an, dass die Koalition die bisher ablehnende Haltung mit dem Verweis auf die Zuständigkeit des Bundes aufgeben und aktiv für eine Laufzeitverlängerung eintreten könnte. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der auch Chef des Aufsichtsrats ist, verkündete am Donnerstag dann den Beschluss, "dass ich an die Bundesregierung herantrete und sie auffordere, unter anderem die gesetzlichen Voraussetzungen für einen sogenannten Streckbetrieb für das Atomkraftwerk Isar 2 zu schaffen".

Die Grünen hadern spürbar mit der Entscheidung

Der Beschluss im Aufsichtsrat fiel nach Informationen der SZ einstimmig. Das heißt, auch die Vertreter der Grünen mit ihrem Fraktionschef Dominik Krause stimmten für einen zeitlich begrenzten Ausstieg aus dem Atomausstieg. "Angesichts der uns vorliegenden Informationen halten wir es in der aktuell sehr angespannten Versorgungslage für notwendig, zu prüfen, ob ein Streckbetrieb zu einer Entspannung beitragen kann", sagte er am Donnerstag. Allerdings betonte Krause, dass der OB vom Aufsichtsrat nur das Mandat erhalten habe, die Bundesregierung vorsorglich um gesetzliche Erlaubnis für den Streckbetrieb zu ersuchen. Auch Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) wirbt für eine Notlösung mit Atomstrom. "Sollte der Stresstest des Bundeswirtschaftsministeriums ergeben, dass München ein Engpass bei der Stromversorgung droht, darf ein Streckbetrieb von Isar 2 kein Tabu sein."

Die Grünen hadern spürbar mit einer Entscheidung, die an die Genetik ihres politischen Handelns und Denkens geht. "Die Verlängerung des Betriebs von Atomkraftwerken, wenn auch nur für wenige Monate, widerspricht unseren politischen Zielen als Grüne", räumte Krause ein. Er führt den aktuellen Gesinnungswandel auf neue Erkenntnisse bei den Stadtwerken zurück. Diese würden nun in Aussicht stellen, dass sie im Notfall die Fernwärmeversorgung "nahezu ohne Gas" organisieren könnten, sagte Krause. Das bedeutet, dass die Wärme fast ausschließlich aus der Kohle- und Müllverbrennung im Kraftwerk Nord, der Geothermie und von den auf Öl umgerüsteten Heizwerken kommen könnte. Auf Gas könnte weitgehend verzichtet werden, allerdings würde dann der in diesen Anlagen auch produzierte Strom fehlen. Den könnte Isar 2 liefern.

"Dass der OB in dieser Frage umgefallen ist, das freut mich"

Die CSU im Rathaus dringt schon seit November 2021 mit mehreren Anträgen auf eine längere Laufzeit des Atomkraftwerks. Bisher vergeblich, die Debatten im Stadtrat dazu verliefen emotional bis hitzig. Insbesondere der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hans Theiss und der Oberbürgermeister rasselten aneinander. "Dass der OB in dieser Frage umgefallen ist, das freut mich", kommentierte Theiss nun die Entscheidung des Aufsichtsrats. In der letzten Stadtratssitzung habe sich Reiter geweigert, inhaltlich zu diskutieren und nur auf seinen alten "Atomkraft - Nein Danke"- Aufkleber verwiesen. "Eine späte Einsicht ist besser als gar keine. Wenn man aber früher auf uns gehört hätte, wären wir mit den Planungen schon deutlich weiter."

Die CSU bringt nun für die nächste Vollversammlung des Stadtrats am kommenden Mittwoch einen Antrag zur dringlichen Behandlung für die Laufzeitverlängerung ein. "Ich bin gespannt, ob Grün-Rot mitstimmt oder ob sie sich wieder in die Büsche schlagen", erklärte Theiss. Eine breite Mehrheit dürfte trotz des parteipolitischen Geraufes in dieser Frage sicher sein. Auch FDP und die SPD hoben die Bedeutung der Versorgungssicherheit der Menschen hervor. "Niemand soll frieren müssen. Deshalb unterstützen wir, dass die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit Isar 2 diesen Winter noch am Netz bleibt", sagte SPD-Stadträtin Simone Burger.

Die Koalition aus Grünen und SPD schob aber dem Wunsch der CSU, möglichst gleich noch neue Brennstäbe zu kaufen und das Atomkraftwerk bei Bedarf bis 2024 oder darüber hinaus laufen zu lassen, einen massiven Riegel vor. "Zu einer Lösung trägt diese Forderung in der jetzigen Lage in keiner Weise bei und ist somit nichts anderes als der Versuch, die derzeitige Krise zu instrumentalisieren, um den Atomausstieg durch die Hintertür zu kippen", sagte Grünen-Stadtchef Joel Keilhauer. Auch OB Reiter legt sich fest, für ihn komme das "nach wie vor aufgrund der völlig ungelösten Endlagerproblematik keinesfalls in Betracht".

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