Flugblatt-Affäre:Bayerns Ampel-Opposition will nicht warten

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Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, seine Kollegin Katharina Schulze und Florian von Brunn, Vorsitzender der Bayern-SPD, bei einer Sitzung im Bayerischen Landtag in diesem Sommer. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Grüne, SPD und FDP wollen eine Sondersitzung des Landtags beantragen, um dort Hubert Aiwanger ihre vielen Fragen öffentlich zu stellen.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Der Bayerische Landtag ist gerade eine Baustelle, es brummt im Plenarsaal. Hinter Plastikplanen arbeiten die Handwerker, die Luft riecht nach Staub und Holz, als sich drei Männer vor dem Saal beraten: Ludwig Hartmann, Florian von Brunn und Martin Hagen, die Fraktionsvorsitzenden von Grünen, SPD und FDP. Es ist früher Dienstagnachmittag, keine Stunde ist es her, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sich erklärt hat. Zu seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und dem antisemitischen Flugblatt, das dieser als Elftklässler in seiner Schultasche hatte, das aber nach dessen Aussage nicht von ihm verfasst wurde, sondern von seinem Bruder. Aiwanger spricht von einer "Schmutzkampagne", Söder sieht offene Fragen, 25 an der Zahl, die soll ihm sein Vize nun beantworten, schriftlich. Die Koalition ist nun auch eine Baustelle. Und die Opposition macht Druck. "So geht das nicht weiter!", sagt Grünen-Fraktionschef Hartmann.

Grüne, SPD und FDP haben sich am Dienstag darauf verständigt, eine Sondersitzung zur Flugblatt-Affäre im Landtag einzuberufen. Sie wollen Hubert Aiwanger die offenen Fragen selbst stellen. Der Vizeministerpräsident soll sich öffentlich erklären, vor dem Parlament, nicht nur vor Söder und der CSU, und nicht nur schriftlich. Auch die Frist möchte die bayerische Opposition per Antrag selbst setzen - und Aiwanger in den Landtag zitieren, sollte er nicht von sich aus kommen. Und die Oppositionsparteien wollen, dass alles schneller geht. "Hubert Aiwanger hatte jetzt zehn Tage Zeit, alle offenen Fragen zu dem widerwärtigen Nazi-Flugblatt zu klären. Das hat er nicht getan", sagt SPD-Fraktionschef Brunn. "Die Hängepartie jetzt vergrößert den Schaden für den Freistaat noch weiter."

Auch FDP-Mann Hagen findet: "Die Erklärung des Ministerpräsidenten reicht nicht aus", Aiwanger müsse dem Landtag Rede und Antwort stehen. "Allein der Anschein von Antisemitismus in der Staatsregierung schadet dem Ansehen Bayerns", sagt Katharina Schulze von den Grünen. Ihr Co-Fraktionschef Hartmann sagt: "Söder duckt sich weg. Anstatt Konsequenzen zu ziehen, will er lieber weiter mit einem Stellvertreter regieren, der größte Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung hinterlässt." Der Ministerpräsident sei "zu schwach, um sich gegen Hubert Aiwanger durchzusetzen", sagt Brunn weiter. Markus Söder spiele "auf Zeit, um seine Koalition bis zum Wahltag zu retten". Für die SPD wäre das Mindeste gewesen, dass Aiwanger sein Amt zumindest vorläufig ruhen lasse.

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Ob Grüne, SPD und FDP eine Sondersitzung des Plenums oder einen Sonderausschuss beantragen, ist am Dienstag zunächst offen. Die Abläufe wären in beiden Fällen ähnlich. Am Nachmittag arbeiten die drei Fraktionen schon am nötigen Antrag, die erforderlichen Mandate haben sie, ein Drittel der Abgeordneten. Laut Geschäftsordnung reicht dieses Quorum, um die Abgeordneten zusammenzutrommeln. Ansonsten könnten nur Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) und die Staatsregierung selbst die Parlamentarier außerplanmäßig zur Sitzung laden. Ein Raum wird sich finden, trotz der Renovierungsarbeiten im Plenarsaal. Aber der Landtag ist ja nicht nur eine Baustelle, es ist Sommerpause, alle sind im Urlaub. Oder im Wahlkampf. Eigentlich sollte der Landtag erst im Spätherbst wieder zusammentreten, ein neues Parlament, nach der Bayern-Wahl am 8. Oktober.

Und mit dieser Landtagswahl dürfte es schon auch zu tun haben, dass die Opposition nun derart in die Offensive geht. Es ist ja nicht nur die glaubwürdige Empörung über Aiwangers Flugblatt-Affäre und dessen Umgang damit, die aus den Reaktionen spricht. Sondern auch die zuletzt für unwahrscheinlich gehaltene Aussicht, dass sich neben der CSU doch wieder ein Platz in der Regierung auftun könnte. Nämlich dann, wenn Markus Söder die Erklärungen seines Stellvertreters auch weiterhin nicht reichen und es nicht nur zum Bruch mit Hubert Aiwanger käme, sondern mit dessen Partei. Grüne, SPD und FDP stünden wohl allesamt bereit für eine Junior-Partnerschaft.

Wer sich umhört in der bayerischen Ampel-Opposition, dem begegnen bereits Spekulationen, die nun schwirren, wer die besten Chancen haben könnte. Die Grünen? Sicher nicht. Die CSU hat so ein Bündnis kategorisch ausgeschlossen, die Anti-Grünen-Rhetorik ist ein zentraler Baustein ihres Wahlkampfes. Die FDP? Muss kämpfen, überhaupt wieder in den Landtag zu kommen. Falls es doch knapp reicht, bräuchte es ein sehr starkes CSU-Ergebnis, damit Schwarz-Gelb möglich wäre. Bliebe noch die SPD, die jahrzehntelang die Nummer zwei in Bayern war. Zuletzt kam sie auf neun Umfrageprozent - und könnte urplötzlich wieder gefragt sein.

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