Landespolitik:Hitzige Landtagsdebatte nach umstrittenem Aiwanger-Auftritt

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Im Landtag saßen Minister und Staatssekretär (rechts) oft nebeneinander. Im selben Ministerium wie Aiwanger will Weigert aber nicht mehr arbeiten. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hält eine Regierungserklärung, doch das eigentliche Thema sind seine Äußerungen bei der Demo in Erding. Die CSU hält nun wieder zu ihm, die Opposition fordert seinen Rücktritt. Alles wie immer?

Von Andreas Glas und Johann Osel

Die Debatte ist eine halbe Stunde jung, da bittet Ilse Aigner erstmals um Ruhe. Nach einer Dreiviertelstunde greift die Landtagspräsidentin zur Glocke. Sie unterbricht Katharina Schulze, die gerade über Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und dessen Rede am vergangenen Samstag in Erding spricht, bei der Anti-Heizungs-Demo, 13 000 Leute. Der Aufritt sei "die Lehrbuchbeschreibung eines astreinen Rechtspopulisten und geistigen Brandstifters", hat die Grüne gesagt - und Aiwangers Entlassung gefordert. Unruhe im Saal, Empörung, Zwischenrufe, es ist der Sound dieses Sitzungsnachmittags, auf allen Seiten. Als Schulze fertig ist, gibt es eine Wortmeldung, aus der AfD. Warum solle Aiwanger denn "zurücktreten, wenn er in vier Jahren einmal eine vernünftige Rede hält?", fragt Gerd Mannes. Man sieht, welche Freude ihm die Frage macht.

Es ist Mitte Juni, noch vier Monate bis zur Landtagswahl. Aber an diesem Mittwoch im Landtag bekommt man ein Gefühl, wohin der Wahlkampf sich jetzt bewegt. Eigentlich sollte es ja um Fachpolitik gehen, um die Regierungserklärung des Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger, Titel: "Wohlstand sichern durch eine starke Wirtschaft". Aber es geht jetzt um mehr. Um rote Linien, um Brandmauern, und nicht zuletzt um Aiwangers Job, jedenfalls für die Grünen, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) per Dringlichkeitsantrag dazu bewegen wollen, den Minister zu feuern.

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Und Aiwanger? Tritt im Trachtenjanker und ohne Manuskript ans Rednerpult, wie immer. Er lobt seine Bilanz als Minister, wie immer, den Beistand für die Chemieindustrie, die Metzger. Er kritisiert die Bundesregierung für ihre "wirtschaftspolitischen Sünden", wie immer, vor allem das Heizgesetz, dessen Kritik schon jetzt der offizielle Sommerhit ist von CSU und FW. Alles wie immer? War was?

Ach was, ein "Sturm im Wasserglas", sagt FW-Geschäftsführer Fabian Mehring über das Entsetzen, das sein Chef losgetreten hat in Erding, mit dem Satz, dass die Menschen sich die "Demokratie zurückholen" müssten. Deswegen Aiwangers Rauswurf zu fordern, sei ein "Manöver" der Grünen, um vom "Totalversagen der Ampel auf Bundesebene" abzulenken. Für Mehring hat sein Chef nur "ein reales Demokratiedefizit" benannt, weil die Mehrheit der Bürger ja gegen das Heizgesetz sei. Den FW gehe es darum, die Leute wieder "aus den Fängen politischer Rattenfänger zu befreien und in die politische Mitte zurückzuholen".

Aiwanger, der Freiheitskämpfer, die fleischgewordene Brandmauer gegen rechts? So ungeniert muss man erst mal sein. Es ist die Umkehr dessen, was Aiwanger praktisch alle bescheinigen, von links bis rechts, selbst in der AfD stellen sie jetzt fest, dass er wie einer von ihnen spreche. "Wie ein sehr engagierter AfD-Minister" habe Aiwanger bei seinem Duktus in Erding geklungen, findet Uli Henkel (AfD) im Plenum. Man werde ihm einen Aufnahmeantrag ins Fach legen. Auch der Koalitionspartner, die CSU, hatte Aiwanger kritisiert. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) attestierte ihm bereits am Montag eine "unangemessene" Wortwahl und erinnerte an ihn die Verantwortung seines Amtes. Am Mittwoch im Landtag rücken CSU und FW wieder zusammen. Nach der Regierungserklärung klatschen sie demonstrativ lange für Aiwanger, nicht nur seine Leute, auch die CSU-Minister.

Die Redner der CSU, Walter Nussel und Steffen Vogel, sprechen nach der Regierungserklärung nur über Wirtschaftspolitik. Kein Wort zu Erding. Am späten Abend, bei der Aussprache über den Entlassungsantrag der Grünen, sagt Vize-Fraktionschef Tobias Reiß dann, dass sich Söder in Erding "klar abgegrenzt" habe von "den Feinden der Demokratie" - und dass er dies "auch von anderen Mitgliedern der Staatsregierung" erwarte. Ansonsten nutzt Reiß seine Redezeit dafür, den Grünen vorzuhalten, dass sie mit "gewaltbereiten Linksextremisten" bei Demos gewesen seien, etwa gegen das Polizeiaufgabengesetz. In Erding habe sich "auch der Protest aus der Mitte der Gesellschaft" gezeigt und von "besorgten Bürgern".

Florian von Brunn (SPD) wirft Aiwanger vor, er schade mit seinem "primitiven und rüpelhaften Auftreten dem Ansehen Bayerns und Deutschlands in der Welt", sei somit kein verlässlicher Ansprechpartner für die Unternehmer im Land. Sogar der belarussische Autokrat Alexander Lukaschenko dient dem SPD-Fraktionschef als Vergleich, wenn es um Aiwanger geht. FW-Fraktionschef Florian Streibl sagt: "Wenn man von der linken in die rechte Ecke und von der rechten Ecke in die linke gestellt wird, weiß man, man ist in der bürgerlichen Mitte." Seine Fraktion blicke auf Aiwanger "mit Stolz" - er habe den Freistaat durch wirtschaftlich schwierige Jahre geführt, während in Berlin "das Narrenschiff mit vollen Segeln fährt".

Was dieser Mittwoch noch offenbart: Die Grünen haben jetzt ein Wahlkampfmotiv, das sie vor der Erdinger Demo verzweifelt gesucht hatten. Vor einigen Monaten etwa wollte man die Landtagswahl zur "Volksabstimmung zur Energiezukunft Bayerns" stilisieren - hat nicht so funktioniert. Aber jetzt hat Katharina Schulze die Bayern-Wahl zur Abstimmung über "unsere Demokratie" erklärt. In Erding habe Aiwanger "Verschwörungsideologen, Verfassungsfeinde und Querdenker" bedient, an Donald Trump und Ex-AfD-Chef Alexander Gauland erinnert. Ein "Heranwanzen an Populisten und Rassisten". Aber, "auch heute, kein Wort der Entschuldigung", sagt Schulze im Landtag. Für sie ist Ministerpräsident Söder am Zug, der ebenfalls an der Demo in Erding teilgenommen und dafür Kritik geerntet hat. Söder könne "nicht zulassen", dass ein Regierungsmitglied "rote Linien" übertrete, deshalb die Entlassungsforderung.

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Ihr Satz über Aiwanger als "geistiger Brandstifter" hat vielleicht ein Nachspiel. Das Präsidium des Hohen Hauses will die Formulierung prüfen, ob sie im Rahmen oder rügenswert ist. Dass der grüne Antrag zur Entlassung erst gegen Mitternacht terminiert ist, viele Stunden nach der Regierungserklärung, hat damit zu tun, dass Plenarsitzungen kurz vor dem Ende einer Wahlperiode maximal vollgepackt sind. Am Ende, gegen 22.30 Uhr, lehnen CSU und Freie Wähler den Grünen-Antrag ab, trotz des jüngsten Kriselns in der Koalition. Auch FDP und AfD stimmen dagegen.

Der Stuhl des Ministerpräsidenten bleibt während Aiwangers Erklärung leer, mal wieder. Aus Kabinettskreisen heißt es, er habe Aiwanger schon am Dienstag nach der Sitzung die Meinung gegeigt. Martin Hagen (FDP) interpretiert das Fehlen anders: Es sei wohl Söders "Signal", dass man an die Bilanz dieses Wirtschaftsministers gar keine Erwartungen haben müsse.

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