Es ist noch nicht lange her, als sie das "nächste große Ding" waren. Lieferdienste wie Flink, Getir und Gorillas, deren Angebot darin besteht, Lebensmittel binnen Minuten vor die Haustüren von Großstädtern zu radeln, starteten während der Pandemie voll durch. Vom Schokoriegel bis zum Feierabendbier war plötzlich alles nur noch einen Wisch in der App entfernt. Avocado vergessen? Egal. Lust auf 'ne Tüte Chips? Kommt gleich! Für manche war es ein wahr gewordener Traum: nie wieder weg vom Sofa.
Doch wie das mit Träumen manchmal so ist, kann es kompliziert werden, wenn sie auf die Realität treffen. Genau das passiert zunehmend in der Welt der Lebensmittel-Lieferdienste. Getir, eines der beiden verbliebenen großen Start-ups, die in Deutschland unterwegs sind, stellt laut Medienberichten zufolge sein Geschäft hierzulande ein. Auch aus anderen europäischen Ländern wolle sich das Istanbuler Unternehmen Mitte Mai zurückziehen. Getir werde künftig nur noch auf dem Heimatmarkt in der Türkei präsent sein. Zwischenzeitlich wurde auch vermutet, dass Getir mit dem Rivalen Flink fusionieren könnte.
Glaubt man einem Bericht des Busi ness Insider, könnte Getir sogar ganz vor dem Aus stehen. Demzufolge sei der Großaktionär Mubadala, ein Staatsfonds aus Abu Dhabi, verärgert über das Management. Mubadala hatte sich offenbar auch bei der Einschätzung der Geschäfte des österreichischen Unternehmers René Benko verspekuliert und Ende 2023 ein Schiedsverfahren angestrengt. Bis zuletzt war es der Unternehmensführung von Getir zudem nicht gelungen, das Liefergeschäft profitabel zu machen. Getir soll monatlich zwischen 50 und 100 Millionen Euro verloren haben. Das Unternehmen selbst äußerte sich nicht zu den Berichten.
Erst vor eineinhalb Jahren hatte Getir den taumelnden Konkurrenten Gorillas geschluckt. Das Start-up, das den größten Lärm machte, als es 2020 in Berlin seine ersten "Warehouses" eröffnete, wie das marketingorientierte Unternehmen seine Lagerhäuser nannte. Von dort aus brachten die sogenannten Rider bislang die Bestellungen auf dem Rad zu den Kundinnen und Kunden. Aufsehen erregte Gorillas vor allem durch das Werbeversprechen, nicht mehr als zehn Minuten für die kostenlose Lieferung zu brauchen.
Vor allem aber lieferte das Start-up des türkischen Gründers Kağan Sümer dann binnen kurzer Zeit ungewöhnlich viel Material für Berichterstattung. Fahrer klagten unter anderem über mangelnde Schutzausrüstung und verschleppte Gehaltszahlungen und legten in wilden Streiks die Lagerhäuser lahm. Das Management reagierte mit Ad-hoc-Entlassungen, später versuchte es erbittert, eine Betriebsratsgründung zu verhindern. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Gorillas-Management und den Fahrradkurieren zeugten davon, dass dieses Geschäft so kaum aufgehen konnte. Die Kosten für Personal und Material waren im Vergleich zu den oft spärlichen Warenkörben, die da ausgeliefert wurden, schlicht zu hoch, die Margen infolge zu gering.
Aber die Zinsen waren niedrig, genauso wie die Inflation, und Investoren aus aller Welt waren bereit, die wilden Gründer mit ihren verwegenen Ideen mit Geld zu überschütten. Getir wurde zwischenzeitlich mit zwölf Milliarden Dollar bewertet. Nun, da sich die Zeiten geändert haben, sieht es so aus, als ob Investoren und Lieferdienstunternehmer langsam aufwachen würden und die Fahrradkuriere von Getir und Gorillas von den deutschen Straßen verschwinden werden.
Ob der deutsche Rivale Flink nun das große Geschäft macht? Dem Lieferdienst geht es angeblich von Woche zu Woche besser. Flink sei eine neue Tranche aus der vergangenen Finanzierungsrunde zugestellt worden, etwa 30 Millionen Euro, berichtet die Lebensmittelzeitung. Das Unternehmen mit Rewe-Beteiligung sei damit bis Herbst finanziert. So oder so, das nächste große Ding kommt bestimmt.